Der Geist weht, wo er will

rom 234Es mag ein Zeichen des Himmels gewesen sein, als sich eine Stunde vor dem Aufstieg des weissen Rauchs eine weisse Lachmöwe auf dem Schornstein der Sixtina niederliess und die Füsse wärmte. Warmherzig klingt es denn auch, als der neue Papst Franziskus auf der Loggia des Petersdoms die fiebernde Menge mit „fratelli e sorelle“, Brüder und Schwestern, „bona sera“, guten Abend begrüsst. Zur Überraschung aller bittet der etwas zerbrechlich wirkende 76-jährige Jesuit aus Buenos Aires zuerst die Gläubigen um ihr Gebet, bevor er ihnen den päpstlichen Segen zuspricht. Diese demütige Geste unterscheidet sich deutlich vom pompösen Auftreten seiner päpstlichen Vorgänger.

Papst Franziskus LeuteKündigt sich mit dieser hoffnungsvollen Kontaktaufnahme zu den Menschen  ein neuer Stil auf Augenhöhe, ein neuer Aufbruch im Vatikan an? Die Hoffnung zumindest ist nicht unbegründet. Der argentinische Kardinal Jorge Bergoglio kennt die Sorgen der kleinen Leute, ist viel mehr Seelsorger als theologischer Muskelprotz, eher ein spiritueller Mann als einer mit dem Kirchenrecht unter dem Arm. Sicher, er ist kein Befreiungstheologe, aber wenn die armen Leute in der Millionen-Metropole Buenos Aires wieder einmal über den Tisch gezogen werden sollten, mischte er sich oft zu ihren Gunsten in die argentinische Politik ein. Die mörderischen Seiten eines entfesselten neoliberalen Kapitalismus hat der Argentinier Bergoglio viele Jahre lang am eigenen Leib erfahren. Aufgrund dieser Erfahrungen hat er anders als Benedikt XVI. den Armen dieser Erde viel zu geben. Zwar will Bergoglio die Verhältnisse nicht auf den Kopf stellen, aber er hat sich in dem gebeutelten Land immer wieder dafür stark gemacht, auch den Verlierern der Globalisierung Raum und Luft zur Verbesserung ihrer prekären Lebensbedingungen zu verschaffen. Da passt es ins Bild, dass Bergoglio mit seiner Papstnamenswahl Franziskus sein Pontifikat gleichsam unter die Schirmherrschaft von Franz von Assisi, dem Gründer des Bettelordens der Franziskaner, stellt. Ein wahrlich starkes Zeichen, das auf einen Neuanfang im Vatikan hoffen lässt.

Offene Fragen gibt es allerdings zur Rolle, die der frühere Jesuitenobere Argentiniens während der Militärdiktatur (1976-1983) spielte. Hat er damals zu oft die Augen zu und zu viele Kompromisse gemacht, als die rechte Militärjunta wütete, und viele Christen, auch einige Jesuiten und andere Ordensleute, gefoltert und ermordet wurden? Wie stand er zu dem Märtyrerbischof Enrique Angelelli, den die Militärdiktatur mittels eines LKW-Unfalls ermordete, weil er hartnäckig für die Bedrohten eingetreten war? Wie wird der neue Papst diese Fragen aus dieser gewalttätigen und unglücklichen Vergangenheit antworten?

Und in der römischen Kurie wartet auf Franziskus I. eine Herkulesaufgabe. Er, der aus einer einfachen Eisenbahnerfamilie stammt – sein Vater wanderte mit vielen anderen Italiern nach Argentinien aus – , kennt das Räderwerk der Ränkespiele im Vatikan nicht. Entsprechend wird es für ihn sehr wichtig sein, Kardinäle seines Vertrauens für die Schlüsselpositionen in Rom zu gewinnen.

Trotz all dieser erwartungsvollen Perspektiven auf einen neuen Aufbruch im Vatikan darf nicht übersehen werden, dass Jorge Bergoglio ein konservativer Kirchenmann ist. Für die wohlbekannten Reformanliegen – Frauenordination und gleiche Rechte für Frauen und Männer in der Kirche, Ende des Pflichtzölibats, Brücken zu den anderen Religionen, Transparenz in Sachen Vatikanbank, Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften,  moderne Sexualmoral und, und, und – wird man realistischerweise die Latte nicht zu hoch hängen dürfen. Gleichwohl, warten wir es ab, denn der Geist weht, wo er will.

Wolf Südbeck-Baur, Rom

 

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