„Vorwürfe halten den Fakten nicht stand“

Interview: Wolf Südbeck-Baur, Rom

Christian Rutishauser, wie haben Sie auf die Wahl ihres Ordensbruders Jorge Mario Bergoglio zum neuen Papst reagiert?

Christian Rutishauser: Mit grosser Überraschung und Freude. Auf den zweiten Blick dachte ich, ja klar, Kardinal Bergoglio hatte bei der Papstwahl 2005 bereits 40 Stimmen auf sich vereinen können und damals schon viel Zuspruch. So gesehen folgt diese Wahl auch einer gewissen Logik.

Christian Rutishauser


In die grossen Hoffnungen, die auf Papst Franziskus gesetzt werden, mischt sich in den Medien bereits der Vorwurf, der Argentinier habe sich damals als Jesuitenprovinzial nicht vor seine Ordensbrüder gestellt. Was sagen Sie zu diesen gravierenden Vorwürfen?

Christian Rutishauser: Mit Pater Franz Jalics SJ bin ich gut befreundet und kenne ihn von der Bildungsarbeit im Lassalle-Haus her. Er arbeitete mit der Erlaubnis des damaligen Jesuitenprovinzials Jorge Bergoglio ab 1974 in einem Armenviertel von Buenos Aires. 1976 wurde Jalics von der Militärdiktatur verhaftet und für fünf Monate gefesselt und mit verbundenen Augen ins Gefängnis geworfen. Nach der Wahl von Jorge Bergoglio haben wir den Jesuiten, der heute in Deutschland lebt, um eine Stellungnahme zu diesen Vorwürfen gebeten, die jetzt in den Medien erhoben werden. In dieser Stellungnahme erklärt Pater Jalics, er wolle zu der Rolle von Pater Bergoglio bei diesen Vorgängen nichts sagen. Faktisch gesicherter jedoch ist, dass Bergoglio mitbeteiligt war, Jalics und seinen Kollegen Pater Orlando Yorio SJ aus dem Gefängnis geholt zu haben. Daraufhin sind die beiden ins Ausland gegangen. Jalics schreibt, später habe er mit Bergoglio – er war inzwischen Erzbischof von Buenos Aires – die Angelegenheit besprochen und sich nach der Feier eines gemeinsam, öffentlichen Gottesdienst umarmt und versöhnt. Die Sache sei für ihn abgeschlossen.

Versöhnung setzt aber Schuld oder ein Verschulden voraus?

Christian Rutishauser: Die Militärdiktatur war sicher eine sehr schwierige Zeit für Jorge Bergoglio, eine Zeit, in der die Verantwortung für die Leitung einer Ordensgemeinschaft schwer auf seinen Schultern lastete. Selbst in friedlichen Zeiten wie hier in der Schweiz kann das jede Führungspersönlichkeit gut nachempfinden.

Es heisst, der neue Papst habe damals mit der Militärjunta (1976 -1984) kollaboriert. Auf welcher Seite stand Jorge Bergoglio?

Christian Rutishauser: Der auch in der Schweiz bekannte brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff und der argentinische Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Escrivel haben sich gestern unmissverständlich hinter Franziskus gestellt. Diese beiden durchaus kirchenkritischen Geister betonen, dass gegen Bergoglio nie ein Verfahren angestrengt wurde, obwohl die Zeit der Militärdiktatur in Argentinien derzeit gründlich durchleuchtet wird.

Sind Sie sicher, dass auch hartnäckige Nachforscher nichts Kompromittierendes finden?

Christian Rutishauser: Man findet vermutlich immer irgendwas. Wenn jemand unter einer Militärdiktatur eine opponierende Organisation oder Gemeinschaft führen muss, muss der Mann an der Spitze verhandeln und taktieren. Anders wird es kaum gehen, um Kollegen, Mitbrüder und -schwestern frei zu bekommen. In einer gewaltsamen politischen Situation kommt niemand ohne Kompromisse davon. Was hat man den Judenräten damals in der Nazizeit vorgeworfen….!?

Das trifft demnach aber auch auf den damaligen Jesuitenprovinzial Jorge Bergoglio zu…

Christian Rutishauser: Wenn es zu irgendwelchen konkreten Vorwürfen käme, was ich nicht denke, bleibt für mich zentral, ob sie für die Gegenwart, für das Heute noch von gewichtiger Bedeutung ist. Auch Petrus hat damals Jesus verraten und verleugnet – dreimal krähte der Hahn – und ist trotzdem der Fels geworden, auf dem die Jesusbewegung zu einer weltumfassenden Kirche wuchs. Welche Kategorien wenden wir an, wenn wir mit dem neuen Bischof von Rom wirklich geistlich unterwegs sein wollen?

Es geht um die Glaubwürdigkeit, die Integrität von Papst Franziskus…

Christian Rutishauser: … die Mächtigen versuchen stets, sich gegenseitig zu decken, um zu zeigen, dass sie keinen Dreck am Stecken haben. Die Untergebenen hingegen versuchen, zu kritisieren, um die da oben runter zu ziehen. Dabei sind beide in ihren gegenseitigen Machtspielen gefangen. Gibt es aber nicht einen dritten Weg, den die Bibel nahelegt? Der heisst: Hinschauen, nichts vertuschen und sich die Frage stellen, wie ich konstruktiv nach vorne gerichtet mit allfällig schwierigen Situationen umgehen kann. Kurz: wenn mehr Vorwürfe an den Tag kämen, wird der Bischof von Rom erklären müssen, was geschehen ist. Die aktuellen Vorwürfe jedenfalls halten den Fakten nicht stand und sind deshalb gegenstandslos.

Franziskus wird als Pontifex der Armen eingestuft. Wie steht er zur Befreiungstheologie, die von seinen päpstlichen Vorgängern bekämpft wurde?

Christian Rutishauser: Pater Bergoglio stand in den 70er, 80er Jahren eindeutig nicht auf der befreiungstheologischen Seite, aber auch ebenso klar nicht auf der bürgerlichen Seite der Kirche. Bei der Auseinandersetzung darüber, wie die Parteinahme für die Armen praktisch gelebt werden soll, setzten die einen auf marxistisch sozialistische Methoden und Änderung der gesellschaftliche Unterdrückungsstrukturen, die anderen setzten eher spirituell an und gingen von der Volksfrömmigkeit aus. Diese wiederum führe zu einer geistlichen Erneuerung und in der Folge zu verbesserten Lebensbedingungen für die Armen. Dieser Theologie für die Armen fühlt sich der neue Papst heute noch immer verpflichtet.

Kennen Sie Papst Franziskus persönlich?

Christian Rutishauser: Ich habe ihn 2004 kennengelernt, als ich Mitglied der vatikanischen Delegation für die Beziehungen zum Judentum war. Nach den Anschlägen auf jüdische Einrichtungen und der Wirtschaftskrise in Argentinien tagten wir bewusst in Buenos Aires. Der Empfang bei Erzbischof Bergoglio war sehr herzlich. Erstaunt mussten wir damals feststellen, dass die jüdische Bevölkerungsgruppe in Argentinien die drittgrösste weltweit ist. Wir wurden zu einer Suppenküche und einem Sozialzentrum geführt, die von Caritas in Zusammenarbeit mit dem amerikanisch-jüdischen Komitee organisiert wird. Wir waren von der tollen Zusammenarbeit zwischen der katholischen Kirche – sie wurde in Buenos Aires von Erzschiof Bergoglio geführt – und jüdischer Gemeinschaft sehr beeindruckt.

Was schliessen daraus?

Christian Rutishauser: In Sachen interreligiöser Zusammenarbeit hat Papst Franziskus ein gutes Händchen und ist hoch sensibilisiert. Hier können wir noch einiges erwarten.

 

 

 

2 Gedanken zu „„Vorwürfe halten den Fakten nicht stand““

  1. Sehr gutes, kritisches Interview mit mehrstufigem Nachhaken und Stellen der wesentlichen Fragen. Und ebenso authentische, überzeugende und biblisch fundierte Antworten, die von einer grossherzigen Menschlichkeit zeugen.
    Beat Schwab

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