Grundrisse eines päpstlichen Programms

Foto: flickr/Fabio Santoro Foto: flickr/Fabio Santoro

Nachdenkliche Betrachtung zur Brasilienreise des Papstes

Von Norbert Arntz

Die bombastisch-hierarchisch gegliederten Aufbauten an der Copacabana machen den Widerspruch sichtbar: eine Organisation, die monarchischem Prunk selbst im Pop-Format immer noch huldigt, steht im Widerspruch zu einem Papst, der seinem Amt durch Verhalten und Botschaft ein anderes Gesicht gibt. Ja, Papst Franziskus ist zum Weltjugendtag gereist. Aber er hat dort auch Botschaft und Programm seines Petrusdienstes vor der Weltöffentlichkeit skizziert.

Er kam in ein Land, das soeben von sozialen Unruhen erschüttert wurde. Jugendliche, Basisgemeinden, Arbeiter- und Landpastoral waren daran beteiligt. Sie nutzten den Confederations-Cup, die Weltöffentlichkeit aufmerksam zu machen: In Brasilien wird nicht mehr mit dem Volk für das Volk regiert, sondern am Volk vorbei. Der ökonomische Aufschwung Brasiliens kommt bei den meisten Brasilianern nicht an: nicht in den Bildungssystemen, nicht in den Gesundheitssystemen, nicht in der Sicherung des öffentlichen Nahverkehrs. Die Menschen auf den Strassen demonstrierten gegen Korruption, für soziale Gerechtigkeit und für eine partizipative Demokratie.

Diesen Menschen sagt der Papst in der Favela Varginha: „Ihr seid besonders sensibel angesichts des Unrechts, aber oftmals fühlt ihr euch durch die Korruption getäuscht, von Menschen, die ihre eigenen Interessen verfolgen, statt für das Gemeinwohl da zu sein. – Lasst Euch nicht entmutigen: Die Realität kann sich ändern, die Menschen können sich ändern. Seid ihr die ersten, die versuchen, das Gute zu tun und dadurch das Böse zu besiegen.“

Aber der gespaltenen Weltgesellschaft schreibt er von Rio aus auch ins Stammbuch: „Friedvolles Zusammenleben und Glück wird es in einer Gesellschaft nicht geben, die einen Teil ihrer selbst ignoriert, ausgrenzt und am Rand sich selbst überlässt. Eine solche Gesellschaft macht sich selber arm, mehr noch, sie verliert das, was für sie wesentlich ist. Wir dürfen unsere Herzen nicht von der Wegwerfgesellschaft bestimmen lassen.“ 

Die heutige Zivilisation ist in ihrem Götzendienst, in ihrem „Fetischismus des Geldes“ (Rede v.16. Mai 2013) zu weit gegangen. Mit ihren beiden Dogmen „Effizienz“ und „Pragmatismus“ hat sie die beiden Pole des Menschenlebens ausgeschlossen: die Jugendlichen und die Alten. Ja, sie begeht so etwas wie „eine verschwiegene kulturelle Euthanasie“. Schärfer als Bergoglio in Rio die Religion des Marktes analysiert, könnte man nicht beschreiben, was vor sich geht. Jugendliche erfahren keine menschliche Würde, weil ihnen der Zugang zum Arbeitsplatz verweigert wird; die Alten sperrt man weg ins Schweigen…. 

Foto: flickr/Jonas Pavão Foto: flickr/Jonas Pavão

Gegen die „Wegwerf-Kultur“ die „Kultur der Begegnung“ Bereits durch die Bischofsversammlung von Aparecida (2007) formuliert wird dies eine der Grundlinien seiner Botschaft: Sie stammt aus dem Evangelium; sie wird ökonomisch-politisch konkret in der Compassion mit den Leidenden und wirkt verändernd in der Solidarität, damit eine geschwisterliche Welt entstehen kann, in der alle Platz haben. 

Franziskus fordert die Menschen nicht nur auf zu beten, sondern ermutigt sie, „Krach zu schlagen“. Er drängt alle Zuhörenden, die in Rio Versammelten, alle, die über Internet und Fernsehen teilhaben: sich die göttliche Würde nicht rauben zu lassen, vielmehr die der anderen und die eigene aktiv zu verteidigen. Als Leitfaden sollen ihnen zwei Kapitel aus dem Evangelium genügen: Die Seligpreisungen und das Kapitel 25 des Matthäusevangeliums, demzufolge die Nutzung der eigenen Talente im Dienst an den anderen und die Solidarität mit den Geringsten zum Dienst vor Gott werden.

In den ersten vier Monaten seines Pontifikats hat der lateinamerikanische Papst in Gesten und Symbolen von Rom aus angedeutet, was sein Programm enthalten könnte. Die Brasilienreise hat er dazu genutzt, sein Programm zu profilieren. Es unterscheidet sich erheblich von dem, was europäische Kleriker als Programm der Kirche bezeichnen. Franziskus rückt die soziale Dimension des Evangeliums in den Mittelpunkt, um die göttliche Würde allen Lebens zu unterstreichen, die Ökonomisierung aller Lebensbereiche zu kritisieren und die Kirche aus ihrer gesellschaftlichen Apathie herauszureißen. Wir werden bald erfahren, wen dieser Papst stört.

Norbert Arntz ist emeritierter Pfarrer und lebt in Kleve, Deutschland.

Schreibe einen Kommentar