40 Jahre ISKCON-Tempel Zürich

Seit den 1960-er Jahren sind in den Innenstädten der westlichen Hemisphäre buntgekleidete Mensch unterwegs. Mit ausdrucksstarken Tanzeinlagen und fernöstlichen Klängen ziehen sie die Umherstehenden zumindest für einen kurzen Augenblick in ihren Bann. Seit 40 Jahren ist die Hare-Krishna-Gemeinschaft auch am gutsituierten Zürichberg beheimatet. Dies gibt Anlass, im Zuge eines Podiums, diese aus dem indischen Subkontinent mit seinen vielstimmigen Ausdrucksformen religiösen Lebens entstammenden Gemeinschaft, genauer unter die Lupe zu nehmen. Dabei diskutierte ein Vertreter aus der Religionswissenschaft und der Beauftragte der Informationsstelle für Kirchen, Sekten und Religionen Georg Schmid mit Insidern und Sympathisanten der Bewegung.

 

Seit dem ersten öffentlichen Auftritt der Internationalen Gesellschaft für Krishna Bewusstsein (ISKCON) im Jahre 1971 in Genf hat sich einiges verändert. Nach einigen Ortswechseln ist die Gemeinschaft im Jahre 1980 in einem renovationsbedürftigen Haus des Bankier Julius Bär untergekommen und hat die ausstehenden Rennovationen voller Tatendrang selbst in die Hand genommen. In den 90-ern hat die Gemeinschaft einen Popularisierungsschub erlebt. So wurde sie von der Schweizer Illustrierten portraitiert und hat mit ihrer musikalischen Geschicklichkeit an Grossveranstaltungen wie dem Open Air St. Gallen für Entzücken gesorgt. Es war den devotees vergönnt ein sogenanntes Wagenfest (Ratha Yatra) mitten auf der Bahnhofstrasse zu organisieren und so ein Stück der farbenfroh-euphorischen Atmosphäre des indischen Subkontinents in die Limmatstadt zu tragen. Beim Wagenfest wird ein Bildnis des Gottes Krishna durch die Strassen gezogen und verehrt. Das Sehen der Gottheit (Krishna ist eine der irdischen Manifestationen Vishnus) ist ein wichtiger Bestandteil der Frömmigkeitskultur der Krishna-Geweihten (so eine mögliche Übersetzung des Begriffes devotee). Die Gottergebenheit durch liebende Hingabe (bhakti) an Krishna steht im Zentrum des religiösen Lebens. Das Rezitieren des Mahamantras verbindet die Menschen mit dem Göttlichen. So ist denn auch für Guido von Arx, langjähriges Mitglied der Tempelgemeinschaft, das wesentlicher Grund für die Popularität der Krishna-Verehrung die spielerische Leichtigkeit des flötenspielenden Hirtenknaben. Einer der vielen Namen Krishnas ist dann auch der «Allanzieher» (Alles-An-Sich-Ziehende).

Rückblickend lässt sich eine Entwicklungstendenz innerhalb der Gemeinschaft ausmachen. Die anfängliche charismatische Phase mit fanatischem Beigeschmack hat sich im Lauf der Zeit weiterentwickelt. Wie der Experte für Weltanschauungsfragen, Georg Schmid erzählt, sei die Bewegung zu Beginn ihrer Zeit in Zürich durch teilweise intransparenten und aggressive Geldsammelmethoden aufgefallen. Das Verteilen von Büchern als Beitrag zur spirituellen Bildung entpuppte sich als heimtückische Zuwendung, auf welche instantan mit einem finanziellen Gegengeschenk zu reagieren war. So kann sich Schmid auch an so manche Telefonate von besorgten Eltern erinnern, welche den plötzlichen Umzug ihres Kindes in die Tempelgemeinschaft mit besorgten Stirnfalten verfolgten. Aber auch in der Krishna-Gemeinschaft hat sich das Noviziat entwickelt, wo der jugendliche Eifer geprüft wird, denn ein Leben in einer monastisch-asketischen Gemeinschaft erfordert viel Geduld und Geistesstärke. Schmid attestiert der Gemeinschaft sodann einen hohen Grad an Lernbereitschaft und lobt ihre situationsbedingte Anpassungsfähigkeit. Sie wirkt auch als wichtige Integrationskraft innerhalb der indisch-tamilischen Diasporagemeinschaft. So hat der Krishna-Tempel in Zürich einen wichtigen Impuls für weitere Tempelgründungen in der Schweiz gegeben und einen hinduistischen Dachverband etabliert. Das Gemeindeleben hat sich ebenfalls verändert. So kommen viele Leute von ausserhalb zum Tempel, um dort an einer Zeremonie teilzunehmen oder sich mit Literatur einzudecken. Dieses Umfeld gehört auch zur finanziellen Trägerschaft von ISKCON Zürich. Aber auch viele Aussenstehende besuchen die Sonntagsfeste des Tempels, wobei die meditativ-stimmungsvolle Musik und die exquisite Kulinarik grossen Anklang finden. Die ekstatische Religiosität, welche sich beispielsweise im Tanz und der stetig ansteigenden Eindringlichkeit der Gesänge (chanting) zeigt, ist charakteristisch für die Krishna-Gemeinschaft und wohl auch ein Garant für deren Anziehungskraft. In Indien ist die Bewegung in den letzten Jahren gewachsen und hat manche jungen Menschen wieder ihren religiösen Wurzeln nähergebracht. So erhofft sich Georg Schmid hiervon für die Zukunft auch ein Entschärfungspotential in der zunehmend fundamentalistisch agierenden indischen Religionspolitik, die sich in einem Wiedererstraken des Hindunationalismus bemerkbar macht. Durch ihre Dialogbereitschaft ist ISKCON zu einer festen Grösse in der interreligiösen Landschaft Zürichs geworden. Das macht sich insbesondere an der seit mehreren Jahren andauernden Mitgestaltung der Woche der Religionen im November bemerkbar.

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