Junge Muslime in der Schweiz

Viele muslimische Jugendgruppen sind an eine Moschee angegliedert - vergleichbar mit christlichen Jugendgruppen.  Auf dem Bild eine Moschee in Zürich. (Foto: PD) Viele muslimische Jugendgruppen sind an eine Moschee angegliedert – vergleichbar mit christlichen Jugendgruppen. Auf dem Bild eine Moschee in Zürich. (Foto: PD)

Die Lebenswelt von muslimischen Jugendlichen in der Schweiz ist vielfältig. Streng religiöse Junge sind in der Minderheit, die Mehrheit praktiziert den Glauben selektiv. Eine Studie der Universität Luzern zeigt auch: Die Schweiz könnte das Potenzial muslimischer Jugendgruppen besser nützen

Von Benno Bühlmann

Um mehr über die Lebenswelten muslimischer Jugendlicher in der Schweiz zu erfahren, hat ein Forscherteam der Universität Luzern mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds während zwei Jahren muslimische Jugendgruppen besucht und dabei «eine äusserst vielfältige Szene entdeckt», wie Andreas Tunger-Zanetti vom Zentrum für Religionsforschung (ZRF) feststellt. «Mit unserem Forschungsprojekt haben wir Neuland betreten, denn dieses Thema ist in der Schweiz bislang noch nicht wissenschaftlich untersucht worden.»

«Selektiv religiöse» Mehrheit

Mehr als 80 islamische Jugendgruppen sind in die Studie einbezogen worden. Dabei handelt es sich um einen Personenkreis, der im Zusammenhang von Integrationsfragen von besonderer Bedeutung ist, da Kinder und Jugendliche einen Drittel der rund 450’000 in der Schweiz lebenden Muslime ausmachen. «Aus ihren Reihen rekrutieren sich jene Persönlichkeiten, die in den nächsten Jahrzehnten dem Islam in der Schweiz ein Gesicht geben werden», meint der Islam- und Politikwissenschaftler Jürgen Endres, der ebenfalls am Forschungsprojekt beteiligt war.  Er weist gleichzeitig darauf hin, dass nur etwa 10 bis 15 Prozent der Jugendlichen  ihren muslimischen Glauben «streng religiös» praktizieren. Etwa 70 Prozent der Jugendlichen könne man der Gruppe der «selektiv religiösen» Muslime zuordnen, welche die rituellen Vorgaben ihres Glaubens nur punktuell leben. «Sie meiden durchaus Schweinefleisch oder verzichten teilweise auf Alkohol, suchen aber bei der Einhaltung der täglichen Pflichtgebete oder beim Fastenmonat Ramadan nach Kompromissen, die in vielen Abstufungen möglich sind.» Eine Gruppe von etwa 10 Prozent der Jugendlichen schliesslich könne man als «säkular» bezeichnen: Für sie spiele Religion im Alltag keine Rolle.

Für Schweizer Jugendliche ist Religionsvielfalt Alltag. Junge Frauen bei einem interreligiösen Treffen in der Moschee in Emmenbrücke. (Foto: Benno Bühlmann Für Schweizer Jugendliche ist Religionsvielfalt Alltag. Junge Frauen bei einem interreligiösen Treffen in der Moschee in Emmenbrücke. (Foto: Benno Bühlmann

Keine fundamentalistischen Gruppen

Der Hauptfokus des Luzerner Forschungsprojektes lag bei den «religiös aktiven Muslimen», bei denen der muslimische Glaube den Alltag massgeblich prägt: «Neben einer grossen Zahl von Jugendgruppen, die an eine Moschee angebunden sind, gibt es eine kleinere Anzahl selbstorganisierter Gruppen», erklärt Endres: «Die Aktivitäten reichen vom Studium religiöser Fragen über gemeinsame Ausflüge und Spiele bis zur Teilnahme an öffentlichen Anlässen und Debatten.» Viele muslimische Jugendgruppen seien in ihren Aktivitäten durchaus vergleichbar mit anderen Gruppen, beispielsweise aus dem Kontext christlicher Landes- und Freikirchen. Die in der Bevölkerung verbreitete Meinung, wonach die muslimischen Jugendgruppen fundamentalistisch geprägt seien, habe sich nicht bestätigt: «Es gibt zwar ein breitgefächertes Spektrum von Frömmigkeitsstilen mit vielen Abstufungen. Wir sind aber auf keine einzige Gruppe gestossen, die man als ‚radikal‘ oder ‚extrem‘ bezeichnen könnte», betont Andreas Tunger und fügt an: «Das muss natürlich nicht unbedingt heissen, dass es solche Gruppen nicht gibt, aber die Wahrscheinlichkeit ist insgesamt doch sehr klein.»

Sozialkapital besser nutzen

Welche Konsequenzen ergeben sich nun aus der neuen Studie der Universität Luzern? – Das Forscherteam ist überzeugt davon, dass die Ideale und Werte der heranwachsenden Generation das Gesicht des Islams in der Schweiz entscheidend prägen werden. Schon heute verstünden sich muslimische Jugendliche ganz klar als Teil der Schweizer Gesellschaft. Sie verfügen nach Ansicht der Forscher über beachtliches «Sozialkapital» und auch deren Vernetzung durch moderne Kommunikationsmittel wie Internet und Facebook spiele eine zentrale Rolle. «Dieses Potential liesse sich noch besser nutzen im Sinne eines Brückenschlags zu anderen gesellschaftlichen Akteuren», ist Andreas Tunger überzeugt: «Es wäre sicher lohnenswert, wenn man diese Gruppen in Zukunft noch vermehrt in Quartierprojekte, in die Jugend-, Sozial- und Integrationsarbeit sowie in den Schulunterricht über bestimmte Themen einbeziehen könnte.»

Lesen Sie dazu auch den Beitrag «Was junge Leute heute glauben» im neuen aufbruch Nr. 203.

Die Ergebnisse des erwähnten Forschungsprojektes der Universität Luzern sind kürzlich in einer Publikation mit dem Titel «Jung, muslimisch, schweizerisch. Muslimische Jugendgruppen, islamische Lebensführung und Schweizer Gesellschaft. Ein Forschungsbericht» veröffentlicht worden. Das Büchlein ist erhältlich beim Zentrum für Religionsforschung (ZRF), Universität Luzern, Froburgstrasse 3, 6002 Luzern.

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