Lampedusa und die Flüchtlinge

Zu: »Wir hätten ja Platz« (Nr. 202/2013)

Ich bin die Bürgermeisterin von Lampedusa. Ich wurde im Mai 2012 gewählt, und bis heute wurden mir bereits mehr als 400 Leichen von Menschen übergeben, die ertrunken sind, weil sie versuchten, Lampedusa zu erreichen.

Das ist für mich unerträglich und für unsere Insel ein grosser Schmerz. Wir mussten andere Bürgermeister der Provinz um Hilfe bitten, um die Leichen würdig zu bestatten. Wir hatten keine Gräber mehr zur Verfügung. Wir werden neue schaffen, aber jetzt frage ich: Wie gross muss der Friedhof auf meiner Insel noch werden? Ich bin über die Gleichgültigkeit entrüstet, die alle angesteckt zu haben scheint. Mich regt das Schweigen von Europa auf, das unlängst den Friedensnobelpreis erhalten hat und nichts sagt, obwohl es hier ein Massaker gibt, bei dem Menschen sterben, als sei es ein Krieg.

Ich bin mehr und mehr davon überzeugt, dass die europäische Einwanderungspolitik diese Menschenopfer in Kauf nimmt, um die Migrationsflüsse einzudämmen. Vielleicht betrachtet sie solche Opfer sogar als Abschreckung. Aber wenn für diese Menschen die Reise auf den Kähnen den letzten Funken Hoffnung bedeutet, dann meine ich, dass ihr Tod für Europa eine Schande ist.

Wenn Europa aber so tut, als seien dies nur unsere Toten, dann möchte ich für jeden Ertrunkenen, der mir übergeben wird, ein offizielles Beileidstelegramm erhalten. So als hätte er eine weisse Haut, als sei er unser Sohn, der in den Ferien ertrunken ist.

Giusi Nicolini, Bürgermeisterin von Lampedusa

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