Ökologie nur vorgeschoben

In der Argumentation der Ecopop-Initianten vermischen sich ökologisches, bevölkerungspolitisches und koloniales Denken auf unheilvolle Weise. Dies ist die These einer Podiumsdiskussion in Bern

von Judith Albisser

Der kleine Raum im Kulturpunkt des Progr in Bern ist gestossen voll. Eine gute Stunde lang sprechen Balthasar Glättli, Leena Schmitter und Thomas Haemmerli unter der Moderation von Stella Jegher von Amnesty International über das Buch »Die unheimlichen Ökologen«. Dieses kritisiert den Teil der bevölkerungspolitisch argumentierenden ökologischen Bewegung und damit auch die aktuelle Initiative »Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen« der Schweizer »Vereinigung Umwelt und Bevölkerung«, besser bekannt als Ecopop. Ziel der Diskussion ist es, auf die Vermischung von Ökologie und Bevölkerungspolitik aufmerksam zu machen.

Balthasar Glättli und Pierre-Alain Niklaus, die Herausgeber und Mitautoren des Buches, zeichnen im ersten Kapitel die Entwicklung dieser »unheimlichen« Umweltbewegung auf. Es geht um die Vermengung der Themen Umweltschutz und Bevölkerungspolitik, und damit auch um die überlappenden Argumentarien der Umwelt- und Überfremdungsbewegung sowie um die Theorien verschiedener »Wegbereiter« der unheimlichen Ökologen, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen. Politisches Handeln werde dann gerechtfertigt, wenn es darum geht, den eigenen Lebensraum zu verteidigen, erläutert Glättli. Auch Theorien der Eugenik, die im ausgehenden 19. und anfangs des 20. Jahrhunderts von politisch rechts bis links salonfähig waren, stehen in diesem Kontext. Ab dem zweiten Kapitel kommen Gastautoren und Gastautorinnen zu Wort, wie Leena Schmitter, die aus feministischer Sicht aufzeigt, wie die Anstrengungen der Frauenbewegung für mehr Selbstbestimmung durch die »unheimlichen Ökologen« instrumentalisiert und korrumpiert wurden und werden.

Ist ein Kind aus dem Westen wertvoller als ein Kind aus dem Süden?

Auf die Frage der Moderatorin, worin sich Feministinnen von Ecopop abgrenzen müssen, erläutert Schmitter, Historikerin und Assistentin an der Universität Bern, die Logik von Ecopop: Die Initiative suggeriere eine sogenannt freiwillige Steuerung der Reproduktion und proklamiere dadurch die Verringerung der Armut. Frauen seien dabei mehr von der Armut betroffen als Männer. Durch die Einschränkung der Kinderzahl könne mehr in die Bildung der Frauen investiert werden, und damit seien sie vor Armut besser geschützt. Das sei die vermeintliche Familienplanung der Ecopop-Initianten. Sie wollen 10% der Schweizerischen Entwicklungsgelder für die Geburtenregelung in der Dritten Welt investieren, und das auch so in der Bundesverfassung verankern.

Für Schmitter stellt sich die Frage, wer in der Ecopop-Logik denn als überflüssig gilt. Und wer sagt, wer wertvoller ist? Ist es ein Kind aus dem reichen Westen oder ist es ein Kind aus dem armen Süden? Dass die Armen als nutzlos oder überflüssig dargestellt werden, hat bereits der Autor Ilija Trojanow in seinem Essay »Der überflüssige Mensch« aufgezeigt. In Wirklichkeit ist der Pro-Kopf-Verbrauch und somit die Umwelt- und Klimabelastung im Westen aber viel höher als im Süden!

Punkto Selbstbestimmung greift Schmitter zwei bedeutende Aspekte von Ecopop auf: Erstens wird die freiwillige Familienplanung bei anderen und nicht bei uns in der Schweiz angesetzt, und zweitens wird das freiwillige Disziplinierungsprogramm von postkolonialem Denken durchdrungen. »Wir gehen zu den Frauen in die Länder des Südens und klären sie über Familienplanung auf.«

Unsinniger »Dichtestress«

Der letzte Podiumsgast Thomas Haemmerli, Autor des Buches »Der Zug ist voll« und Präsident der GomS (Gesellschaft für eine offene und moderne Schweiz), bringt den Begriff »Dichtestress« ein. Mit vielen absurden und amüsanten Beispielen erläutert er den Begriff, der in Deutschland geprägt und in der Biologie bei Tierexperimenten entstanden ist. Dichtestress wird nun aber auch im Zusammenhang mit Überbevölkerung verwendet. Der Begriff ist nicht neutral. Wir haben Stress, weil es dicht ist (Wohnraum, beim Pendeln im Zug oder Auto). Mit Dichtestress die Ausländerpolitik zu umschreiben sei Unsinn, meint Haemmerli.

Die Moderatorin stellt gegen Schluss die wichtige Frage, was die Initiative denn so gefährlich mache. Nach Balthasar Glätti könnte der Ausgang der Abstimmung knapp werden. Es stellt sich die Frage, ob neben den unheimlichen Ökologen all jene Menschen, die am 9. Februar bei der Masseneinwanderungsinitiative »ja« stimmten, jetzt auch ja stimmen werden. Schmitter meint, dass die Ökologie nur vorgeschoben werde und dass es in Wahrheit um die Einwanderungspolitik gehe. Und gerade das sei das Gefährliche an der Ecopop-Initiative.

Das Podiumsgespräch fand am 8. September 2014 in Bern statt.

Glättli, Balthasar/Niklaus, Pierre-Alain: Die unheimlichen Ökologen. Sind zu viele Menschen das Problem? Rotpunkt Verlag, Zürich 2014. 176 Seiten, CHF 25.-

Ilija Trojanow: Der überflüssige Mensch. Ein Essay zur Würde des Menschen im Spätkapitalismus. Residenz Verlag 2013. 96 Seiten, CHF 25.30

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