Die Kirchen lassen die Muslime im Regen stehen

Letzte Arbeiten an der Moschee im Haus der Religionen in Bern. (Bild: Stefan Maurer/flickr) Letzte Arbeiten an der Moschee im Haus der Religionen in Bern. (Bild: Stefan Maurer/flickr)

Muslime und Musliminnen sind Teil der Schweizer Gesellschaft. Nimmt der Staat seine religionspolitische Aufgabe ernst, dürfen sie nicht länger ausgegrenzt werden. Zudem müssen die Kirchen aktiv den Dialog mit Muslimen aufnehmen und dazu beitragen, dass der Islamophobie Respekt entgegengesetzt wird.

Von Xaver Pfister

Nach den Pariser Terroranschlägen, die wie dunkle Schatten auch über der Schweizer Religionslandschaft liegen, wäre eine deutliche Stellungnahme der Kirchen dringend nötig. Die Aufforderung an die Muslime, sich deutlich vom Terror zu distanzieren, ist gut gemeint, aber bei genauem Hinsehen doch sehr fragwürdig. Was wäre von denen zu halten, die alle Schweizerinnen und Schweizer auffordern, sich ausdrücklich von den Sexualtätern und Frauenschändern zu distanzieren. Solche Forderungen erschweren die Kommunikation und belasten den Dialog.

Die dumpfe Angst vor dem Islam

Den Muslimen begegnet man bei uns wie in vielen europäischen Ländern einmal mehr mit grossen Vorbehalten und Ängsten. Das Fremde macht eben immer Angst. Und die Anerkennung der Unterschiede der Lebensstile ist eine anspruchsvolle Sache. Sie ist aber eine Grundhaltung, die in einer pluralen Gesellschaft unverzichtbar ist. Auch die Schweizerinnen und Schweizer leben ja ganz unterschiedliche Lebensstile. Unerträglich ist es, dass eine hasserfüllte Angst vor dem Islam weit verbreitet ist und auch der Antisemitismus sich in Wort und Tat immer wieder formiert. Dagegen muss angekämpft werden.

Die Anerkennung der Unterschiede der Lebensstile ist anspruchsvoll. Sie ist aber eine Grundhaltung, die in einer pluralen Gesellschaft unverzichtbar ist.

Den Kirchenräten in der Region Basel lag ein ausführliches Konzept für eine Kundgebung vor. Sie sollte für Werte einstehen. Einstehen für den Respekt voreinander. Gegen die Islamophobie, gegen den Antisemitismus auftreten im Sinn der küngschen Formel: »Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen. Kein Dialog zwischen den Religionen ohne Grundlagenforschung in den Religionen.« Keiner der Kirchenräte ist auf diesen Vorschlag eingegangen. Das spiegelt die Tatsache, dass auch viele Christinnen und Christen unter dem Verdacht der Islamophobie stehen.

Schweigen ist unchristlich

Haus d.Religionen 1_flickr Die Moschee im Berner Haus der Religionen wird gebaut. (Bild: Stefan Maurer / flickr)

Zum Glück gibt es Ausnahmen. Eine Basler Pfarrei, die Pfarrei St.Clara, macht da eine vorbildliche Ausnahme. Der Kontakt mit dem Imam und den Gläubigen der Moschee im Kasernenareal wird ständig gepflegt. Dabei beschränkt man sich nicht auf einen intellektuellen Diskurs, sondern die Begegnungen finden im Alltag, etwa beim gemeinsamen Fussballspiel statt. Das freut mich. Stark aber ist mein Ärger über das Schweigen der kantonalen Kirchenleitungen.

Nimmt man etwa die Texte das Zweite Vatikanischen Konzils zur Hand und nimmt die Bemühungen der Päpste im Dialog mit den Muslimen ernst, dann ist dieses Schweigen schlicht unchristlich. Die Kirchen müssen aktiv den Dialog mit Muslimen aufnehmen und dazu beitragen, dass der Islamophobie Respekt entgegengesetzt wird.

Die Kirchen sind dreifach gefordert

  1. Zunächst gälte es festzuhalten: Keine Religion, die nicht irgendwann auch Gewalt gegen Fremde ausgeübt hat. Es ist ungenau zu behaupten Terroristen und Gewalttäter missbrauchten die Religion. Keine Religion, die unter ihren Gläubigen nicht auch zu Gewalt neigende und gewalttätige Menschen hat. Deshalb muss jede Religion, durch den Feuerbach der Religionskritik hindurchschreiten. Religion, die die Religionskritik nicht als notwendige Begleiterin an ihre Seite nimmt, ist gefährlich, gewaltanfällig.
  2. Der alltägliche Austausch mit den Gläubigen in den verschiedenen Moscheen wäre dringend aufzunehmen. So wäre zu entdecken, dass Muslime und Musliminnen Menschen sind wie wir Christinnen und Christen, mit ihren Sonnen- und Schattenseiten.
  3. Das Bemühen der Muslime um die öffentliche Anerkennung des Islams, wie das Schweizer Soziologe iranischer Herkunft und Präsident der Koordination Islamischer Organisationen Schweiz (KIOS) Farhad Afshar formuliert hat, müsste von den Kirchen aktiv unterstützt werden.

Damit sind wir mitten in den Fragen um die »Religionspolitik« der Kantone. Die Geschichte lehrt, dass sich die Religion nicht ins Private wegdrängen lässt. Diese Option gefährdet den religiösen Frieden. Der Staat darf sich deshalb nicht einfach indifferent und abstinent verhalten; er besitzt vielmehr einen religionspolitischen Auftrag. Dieser Auftrag bezieht sich namentlich auch darauf, dass die Religionsgemeinschaften, welche die Grundwerte des Rechtsstaates anerkennen, unterstützt werden. Im Gemeinwesen ist daher ein für solche Religionsgemeinschaften günstiges Klima zu schaffen.

Die Geschichte lehrt, dass sich die Religion nicht ins Private wegdrängen lässt. Der Staat darf sich nicht indifferent verhalten; er besitzt vielmehr einen religionspolitischen Auftrag.

Der Kanton Basel-Stadt hat mit der 2005 vom Volk angenommenen Kantonsverfassung das Instrumentarium dafür geschaffen. Neben der öffentlich-rechtlichen Anerkennung ist neu die öffentliche Anerkennung geschaffen worden (§ 132 – § 134). Die Bedingungen für diese Anerkennung sind klar geregelt: »Privatrechtlich organisierte Kirchen und Religions-gemeinschaften können mit der Verleihung besonderer Rechte vom Kanton anerkannt werden, sofern sie »gesellschaftliche Bedeutung haben; den Religionsfrieden und die Rechtsordnung respektieren; über eine transparente Finanzverwaltung verfügen; und den jederzeitigen Austritt zulassen«.

Die Muslime sind Teil unserer Gesellschaft

Moschee_flickr Bild: Stefan Maurer / flickr

In Basel bilden die Konfessionslosen die grösste Konfession (44,7 %), 16,5 % sind evangelisch-reformiert, 15,3 % römisch-katholisch. Die Christkatholiken umfassen 0,7 % der Kantonsbevölkerung, und zur Israelitischen Gemeinde gehören 0,6 %. 9,3 % der Einwohnerschaft des Kantons sind Muslime und Musliminnen. Einige von Ihnen sind konvertierte Schweizerinnen und Schweizer, andere haben das Bürgerrecht erhalten. Diese Zahlen müssten notwendig zu einer Anerkennung der Muslime führen. Sie können nicht einfach ausgegrenzt bleiben, wenn der Staat seine religionspolitische Aufgabe ernst nimmt.

Der Schutz von Minderheiten ist eine der Erfolgsstrategien der Schweiz. So gelten die Sprache der Rätoromanen, die nur 0,5 % der Bevölkerung ausmachen, und das Italienisch, das 8,3 % sprechen, als Landessprachen. Diese rein quantitativen Prozentzahlen sprechen dafür, dass die Muslime zu anerkannten Religionsgemeinschaften werden müssen. In dem politischen Prozess der Anerkennung der Muslime müssen die Kirchen eine aktive Rolle spielen, ihre Dienste den Muslimen anbieten, die eine Anerkennung anstreben.

Xaver Pfister ist Theologe und aufbruch-Vorstandsmitglied

4 Gedanken zu „Die Kirchen lassen die Muslime im Regen stehen“

  1. Sehr geehrter Herr Pfister

    Herr Afshar vertritt eigentlich nur einen kleinen Teil der muslimischen Mitbürger hierzulande. Das ist vermutlich auch das Problem, dass es keine repräsentative Vertretung gibt. Erst recht nicht derjenigen, die sich einen anderen, moderneren, sich reformierenden Islam wünschen. Dies ist die Aufgabe der gesamten muslimischen Gesellschaft, nicht die der Mehrheitsgesellschaft. Diese muss jedoch offen sein und klar definieren, wie in Basel, was sie erwartet und bieten kann. Diese Prozesse brauchen Zeit.
    Als Steuerzahlerin wäre mir wichtig, dass z. Bsp. im „Haus der Religionen“ der vorhandene Platz proportional verteilt würde und dass insbesondere gläubige Frauen und Männer gleich behandelt werden (wie ich las, sind z.T. die Räume der Männer grösser als jene der Frauen). Davon ist aber kaum zu hören, nicht mal von Seiten der Gleichstellungsbüros.
    Wieso tun sich auch kirchliche Kreise schwer, Rechtspluralismus zu kritisieren?

    Freundlich grüsst Sie
    Marie-Theres Weingartner Bucher

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  2. Der französische, christliche Philosoph Louis Cattiaux (1904-1953) zitiert in seiner “Wiedergefunde Botschaft” (Verlag Herder, Basel, 2010) sehr oft den Koran, mit Einverständnis, und das scheint mir ein gute Beginn zum Religionsfrieden.

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