Wie das Konzil vor 50 Jahren die Welt veränderte

kardinaele_body.5191361Das 50. Jubiläum der Konzilserklärung über die Religionsfreiheit kann nicht überschätzt werden. Anstelle der Ablehnung der „bösen Welt“ trat die Bejahung des demokratischen Rechtsstaats. Doch es bleibt noch viel zu tun.

Von Adrian Loretan

Das 50. Jubiläum der Konzilserklärung über die Religionsfreiheit kann nicht überschätzt werden.Hier hat sich die katholische Kirche fast 200 Jahre nach der Französischen Revolution zum modernen Verfassungsstaat bekannt. Dies ist nicht nur für die staatskirchenrechtlichen Strukturen in der Schweiz von grösster Bedeutung. Der moderne Staat ist von hier an nicht mehr „die böse Welt“, sondern ein demokratischer Rechtsstaat, den man auch aus lehramtlicher Sicht bejaht. Es ist ein Meilenstein in der Kirchengeschichte. Karl Rahner schreibt dazu: Es ist „der Schritt vom Recht der Wahrheit zum Recht der Person“. Damit wären die Grundlagen gelegt für die Menschenrechte in der Kirche, wie sie Paul VI. nach dem Konzil in einem Grundgesetz in Auftrag gegeben hat. Leider wurde dieser Verfassungsentwurf von Johannes Paul II. nicht in Kraft gesetzt.
Die Anerkennung der Personenwürde verändert das gesamtkulturelle Selbstverständnis des Katholizismus. So kam es zu neuen Verständnisweisen des kirchlichen Amtes, der Liturgie, der Offenbarung, der Gemeindepastoral, der Berufung der Laien, der Stellung der Frau, des gesamten Erziehung- und Bildungswesens usw. Gleichzeitig führte dieses andere Selbstverständnis der Kirche auch zur grundsätzlichen Anerkennung der anderen christlichen Bekenntnisse, der anderen Religionen und der säkularisierten, ja atheistischen Weltanschauungen. All dies war nur möglich, weil man davon ausging, dass jeder Mensch von Natur aus Person ist und daher in seinen Lebensentscheidungen unbedingt geachtet werden muss.

Wende zur Person. Kurz: Eine solche Wende zur Person und zu einem personalen Verständnis von Glaube, Kirche und Liturgie ist ein grundlegender Interpretationsansatz für die Theologie des Konzils. So entsteht eine dialogisch orientierte personale Sicht der Kirche.
Wie wurde das Verhältnis von personaler Freiheit und Wahrheit der Kirche vor dem Konzil gedacht? Die traditionelle katholische Lehre geht vom Primat der Wahrheit gegenüber der Freiheit aus. Nur die Wahrheit hat ein Recht der Irrtum hat keinerlei Recht. Welche institutionellen Konsequenzen hat das? Nur die Kirche als die Instanz, die konkret über die Wahrheit entscheidet, und diejenigen die ihr angehören, haben Recht. Das ist aber keine Rechtstheorie, sondern eine Machttheorie, und sie ist prinzipiell sozial unverträglich, so E.-W. Böckenförde.
Die Rechtsordnung dagegen ist allgemein. Thomas von Aquin betont darin die Gegenseitigkeit. „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch Ihnen!“ (Mt 7, 12) Mit dieser Goldenen Regel der Gegenseitigkeit beginnt auch die Kirchenrechtswissenschaft im Jahr 1140. Eine Maxime des Rechts gilt daher ihrer Natur nach allgemein, nicht nur für mich, sondern auch gegen mich. Ein Rechtsprinzip, dass die Gegenseitigkeit ausschliessen will, ist kein Rechtsprinzip mehr, sondern ein Machtprinzip. Dieses Akzeptieren der Goldenen Regel (Mt 7,12) im Recht verändert die Rechtstellung jeder Person in der Kirche.

Noch kein Allgemeingut. Das Recht der Person tritt an die Stelle des Rechts der Wahrheit. Eine kopernikanische Wende ist eingeleitet. Anstatt des Zwangs, der unter dem Titel ‚Recht der Wahrheit‘ legitimiert werden konnte, wurde das personale Recht der Freiheit gesetzt, wie auch die Pastoralkonstitution betont: „Die Würde des Menschen verlangt daher, dass er in bewusster und freier Wahl handle, das heisst personal, von innen her bewegt und geführt, und nicht unter blindem innerem Drang oder unter blossem äusserem Zwang.“ (GS 17). Aber 50 Jahre nach der Verabschiedung der Konzilserklärung über die Religionsfreiheit ist diese Lehre von der personale Würde noch kein Allgemeingut in der Kirche. Die Tagung „Die Würde der menschlichen Person
50 Jahre Konzilserklärung über die Religionsfreiheit «Dignitatis humanae [personae]»  am 12. Oktober in der Universität Luzern will dazu beitragen.

* Adrian Loretan, Professor für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht an der Uni Luzern, leitet die Tagung  «Die Würde der menschlichen Person 50 Jahre Konzilserklärung über die Religionsfreiheit «Dignitatis humanae [personae]», Montag, 12. Oktober 2015, 13.00 – 18.00 Uhr, Universität Luzern, Hörsaal 6, (Eintritt ist frei. Anmeldung erwünscht an Frau sabine.baggenstos@unilu.ch)

Flyer zur Tagung Personenwürde »

1 Gedanke zu „Wie das Konzil vor 50 Jahren die Welt veränderte“

  1. Die Konzilserklärung über die Religionsfreiheit kann in der Tat nicht überschätzt werden, kommt sie doch von einer Institution, die sich einer einzigen Wahrheit gewiss ist, nämlich der des Todes und der Auferstehung Jesu Christi. Diese Wahrheit muss jedoch wie alle Wahrheiten frei angenommen werden; das verlangt die Sicht von der Gottebenbildlichkeit des Menschen.

    Was zuerst nur wie ein Zugeständnis der Katholischen Kirche an die Welt aussehen mag, ist nichtsdestoweniger die Forderung an die Welt, der Kirche die Freiheit zu lassen, die sie für ihren Auftrag braucht.

    Karl Rahner wird zitiert mit: „ Es ist der Schritt vom Recht der Wahrheit zum Recht der Person.“ Das stellt die Frage nach Funktion und Verbindlichkeit von Wahrheit. Soweit es um christliche Wahrheiten geht, ist zu sagen, dass Offenbarung nur geglaubt werden kann. Der Großteil dessen, was unter christlichen, speziell katholischen, Vorzeichen daherkommt, ist allerdings nichts anderes als ein Ausfluss des Naturrechts, das beständig erinnert, gegebenenfalls angemahnt wird. Doch schon dies alleine kann unbequem sein und zu Ablehnung der Kirche insgesamt führen. Aus der Konzilserklärung aber ist zu folgern, dass allen Menschen aufgegeben ist, sich aufrichtig um Wahrheit zu bemühen.

    Ein anderer Punkt ist die lehramtliche Anerkennung des modernen Verfassungsstaates. Diese Anerkennung, als volle Anerkennung, geschieht auf der Grundlage des Naturrechts, das gerne als katholisches Eigengut angesprochen wird, um ausweichen zu können. Diese Sicht als Eigengut ist aber unzutreffend, sie konnte nur dadurch entstehen, dass in der Folge der Aufklärung andere Institutionen sich zunehmend vom Naturrecht entfernten und sich dem positiven Recht ergeben haben. – Die besondere Bedeutung der Konzilserklärung für die staatskirchenrechtlichen Strukturen in der Schweiz wurde vom Verfasser ausdrücklich erwähnt. Nach der Zurkenntnismahme von verschiedenen Besonderheiten sei die Frage erlaubt, ob diese Strukturen dem Anspruch von Mt 7, 12 entsprechen, der lautet: „Alles, was Ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen.“

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