Die Unsichtbare

Isabelle ist Sans-Papier. Ihr Alltag ist von Angst geprägt, aber auch von Dankbarkeit. Und Isabelle fragt: „Wenn man sich anstrengt, arbeitet, die Regeln einhält – warum sollte man nicht hier leben dürfen?“ Ein Porträt

Bild Porträt Isabelle Von Martina Läubli

„Zehn Jahre in der Schweiz gleich zehn Jahre Kampf.“ Lapidar fasst Isabelle* ihr Leben ohne Aufenthaltspapiere zusammen. Doch diese Gleichung verrät nichts von der grossen Angst, die sie täglich aussteht: die Angst, von der Polizei kontrolliert zu werden. Die Gleichung sagt auch nichts über das Leben ohne festen Wohnsitz, über die Unmöglichkeit, eine Familie zu gründen oder über die kranke Mutter, die sie nicht besuchen kann. Ohne Papiere könne sie in der Schweiz kein richtiges Leben führen. Trotzdem sagt Isabelle: „Ich bin zwar Sans-Papiers, aber es geht mir besser als dort, wo ich herkomme.“

In Isabelles afrikanischem Heimatland** herrschen Diktatur und Korruption. „Es gibt viel Elend, und nichts ändert sich.“ So entschloss sich die tatkräftige Frau zur Flucht. In der Schweiz wurde ihr Asylgesuch jedoch abgelehnt. Seither lebt und arbeitet sie ohne Bewilligung hier. Das bedeutet, dass sie sich stets unauffällig verhält, um ja keine Aufmerksamkeit zu erregen, dass sie Orte vermeidet, wo die Polizei präsent ist, und dass sie nicht Zug fährt. Isabelle weiss nicht, wie lange sie in der Wohnung bleiben kann, in der sie zur Zeit mit einer Kollegin lebt. Als Papierlose kann sie keinen Mietvertrag unterschreiben; manchmal übernachtet sie bei Freunden, manchmal ist sie Untermieterin. Isabelle hat zwar keine Festanstellung – das ist ohne Aufenthaltsbewilligung unmöglich –, aber sie hat Arbeit. Manchmal mehr, manchmal weniger. Isabelle passt auf Kinder auf, pflegt ältere Menschen, putzt. „Arbeit vermeidet Stress“, weiss sie. Würde sie den ganzen Tag zu Hause sitzen, wäre alles noch viel schlimmer. Zudem liebt sie den Kontakt mit Menschen. Dass sie nicht viel verdient, ist zwar eine Tatsache, aber ausgenützt fühlt sich Isabelle nicht. Zu einigen Arbeitgebern pflegt sie freundschaftliche Beziehungen. Mit Hilfe der Sans-Papiers-Beratungsstelle konnte sie eine Krankenkasse abschliessen und ist so auch gegen Unfälle versichert.

Als Sans-Papiers ist Isabelle in der widersprüchlichen Lage, dass ihre Arbeitskraft hier gefragt ist, dass sie niemandem auf der Tasche liegt, aber dass sie trotzdem so tun muss, als existiere sie nicht. Die einzige Möglichkeit, ihre Situation zu verbessern, ist eine Regularisierung ihres Aufenthalts. Dafür kämpft die 48-jährige Frau gemeinsam mit dem Komitee „Nicht ohne unsere Freund*innen“. Isabelle und sieben weitere Personen haben sich entschieden, beim Kanton Basel-Stadt ein Härtefall-Gesuch einzureichen. Dies bedeutet ein Risiko, weil sie dafür ihre Identität offenlegen muss – und weil eine wohlwollende Weiterleitung des Gesuchs alles andere als sicher ist. Der Bund kann Personen ohne Aufenthaltsstatus eine Aufenthaltsbewilligung erteilen, wenn „ein schwerwiegender persönlicher Härtefall vorliegt“. Doch die allermeisten Kantone behandeln Härtefall-Gesuche äusserst restriktiv und nutzen den gegebenen Spielraum kaum.

„Wenn man sich anstrengt, arbeitet, die Regeln einhält – warum sollte man nicht hier leben dürfen?“  Isabelle, Sans-Papiers

 

„Wenn man sich anstrengt, arbeitet, die Regeln einhält – warum sollte man nicht hier leben dürfen?“, fragt sich Isabelle. Sie ist sicher: Eine Bewilligung würde ihr Leben verändern. Die Angst hätte ein Ende. Dann könnte sie auch endlich eine Ausbildung im Pflegebereich machen.  In der Schweiz bleiben will Isabelle, die gut Deutsch spricht, sowieso, unabhängig vom Entscheid der Behörden. „Hier habe ich meine Basis.“ Die Politik und die Neutralität der Schweiz findet sie gut, trotz der Blindheit der Schweiz für ihre Situation. Zwischen 90’000 und 250’000 Personen ohne Aufenthaltsbewilligung leben in der Schweiz.

Isabelle erwähnt im Gespräch mehrmals die Dankbarkeit. Immer wieder danke sie Gott – schliesslich habe er sie in die Schweiz geführt. „Ich Afrikanerin, ich bin sehr gläubig“, lacht sie. Jeden Sonntag geht Isabelle zur Kirche. In ihrer katholischen Gemeinde ist sie gut integriert, dort sind ihre Freunde, dort singt sie im Chor. „Ich danke Gott, dass ich noch nie in eine Polizeikontrolle geraten bin.“

*Name der Redaktion bekannt, ** Land der Redaktion bekannt.

Am 7. April 2016 reichte Isabelle mit sieben weiteren Sans-Papiers ihr Härtefall-Gesuch beim Kanton Basel-Stadt ein. Weitere Infos zur Kampagne „Nicht ohne unsere Freund*innen“ auf www.nichtohneunserefreundinnen.ch

Rede zur Abgabe der Härtefallgesuche »

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