Piusbrüder: Trojanisches Pferd

Prieserbruder Mitglieder der traditionalistischen Priesterbruderschaft St. Pius X. in Econe (Foto: Priesterseminar Herz-Jesu)

Will Papst Franziskus die traditionalistische Piusbruderschaft ohne Vorbedingungen  in die volle Gemeinschaft der Kirche führen? Demgegenüber kann nicht eine Relativierung des Konzils, sondern nur eine theologische Selbstkorrektur der Piusbruderschaft die Lösung sein.

Von Jan-Heiner Tück*

Es ist schon einige Zeit her, als ein kollektiver Entrüstungssturm durch die Medien ging. Benedikt XVI. hatte im Jahre 2009 die Exkommunikation der vier Bischöfe der Piusbruderschaft zurückgenommen. Ein Brückenschlag zu den Traditionalisten – diese päpstliche Offerte schien vielen das Erbe des Zweiten Vatikanischen Konzils zu gefährden, das für die dialogische Öffnung der katholischen Kirche zur Moderne steht.

Nun zirkulieren Gerüchte, dass Rom im Windschatten des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit eine eigene Strategie verfolgen könnte, die Aussöhnung zu beschleunigen. Schon im Sommer 2015 erklärte Franziskus seinen Gläubigen, dass die Beichte bei Priestern der Piusbruderschaft während des Heiligen Jahres legitim und gültig sei. Damit sah er grosszügig über deren irregulären Status hinweg. Diese Geste ist von den Piusbrüdern gleich registriert worden, wie eine Äusserung eines ihrer Bischöfe, Alfonso de Galarreta, zeigt: „Der Papst geht in Richtung einer einseitigen Anerkennung der Bruderschaft“. Einseitig, das heisst hier: ohne Vorbedingung! Dem entspricht eine Äusserung von Erzbischof Guido Pozzo, dem Sekretär der päpstlichen Kommission Ecclesia Dei, die hellhörig machen muss. Er gab zu Protokoll, Franziskus habe den Willen, die kanonische Anerkennung der Bruderschaft voranzutreiben.

Verwechselung der Ebenen. Damit steht die Sorge im Raum, dass das mühsame Ringen um theologische Über­ein­stim­mung, das bislang ohne Ergebnis geblieben ist, einer pontifikalen Pragmatik der schnellen Aussöhnung geopfert wird. In seinen Lehrschreiben tritt Franziskus bekanntlich für eine Gratwanderung ein, welche die Treue zur kirchlichen Lehrtradition zu verbinden sucht mit einer Barmherzigkeit ohne Vorbedingung in der Seelsorge. Er versteht die Kirche als „Feldlazarett“, die allen, die im Bemühen um einen christlichen Lebensstil ins Stolpern geraten, das Therapeutikum der Barmherzigkeit reicht. Bei der Haltung gegenüber den Piusbrüdern geht es allerdings nicht um Fragen der seelsorglichen Praxis, sondern um den Geltungsanspruch theologischer Lehrpositionen. Sollte der Papst versucht sein, im Umgang mit den Piusbrüdern eine Barmherzigkeit ohne Vorbedingung walten zu lassen, liefe das auf eine Verwechslung der Ebenen hinaus. Es wäre fatal, wenn Franziskus die rückkehrwilligen Söhne der Bruderschaft mit offenen Armen empfinge, ohne ihnen zuvor eine Korrektur ihrer problematischen Lehren abzuverlangen. Der Nachfolger Petri könnte dabei die Hoffnung hegen, dass sich im Wärmestrom der Barmherzigkeit das eingefrorene Traditionsverständnis der Piusbruderschaft kommunikativ verflüssigt. Auch soziologisch wäre eine Domestizierung durch Inklusion erfolgversprechend. Wenn die Traditionalisten erst einmal in den Schoß der Grosskirche zurückgekehrt sind, wird ihr zelotischer Widerspruchsgeist schon erlahmen.

pius-x-econe_0 Büste von Pius X. vor dem Priesterseminar in Econe im Kanton Wallis

Um die Brisanz der Vorgänge richtig einzuschätzen, muss man sich die Konfliktlinien erneut vor Augen führen. Erzbischof Marcel Lefebvre hat den Weg ins Schisma beschritten, weil er das Zweite Vatikanische Konzil, an dem er selbst noch teilgenommen hatte, als „das grösste Unglück der Kirchengeschichte“ ansah. Man habe ein Trojanisches Pferd in die Konzilsaula geschmuggelt und die Ideen der Französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ in der katholischen Kirche zum Durchbruch verholfen: Liberté – durch die Anerkennung der Religions- und Gewissensfreiheit habe man dem Irrtum Rechte eingeräumt, die Wahrheit des Glaubens verraten und dem Relativismus Tor und Tür geöffnet. Égalité – durch die Betonung der Kollegialität der Bischöfe habe man den Primat des Papstes angetastet und eine „Demokratisierung der Kirche“ eingeleitet. Fraternité – durch die ökumenische Öffnung habe man eine „Fraternisierung mit Schismatikern und Häretikern“ vollzogen, durch das Gespräch mit den „falschen Religionen“ dem Synkretismus Vorschub geleistet. Die Anerkennung der Religions- und Gewissensfreiheit, in der man den Lackmusstest für den Anschluss der Kirche an das moderne Menschenrechtsethos sehen kann, wird von der Piusbruderschaft ebenso verworfen wie der freiheitlich säkulare Staat. Lefebvre hat die Diktaturen von Pinochet, Franco und Salazar ausdrücklich als vorbildlich gelobt!

Gefährlicher Griff in die hermeneutische Trickkiste relativiert Theologie des Konzils. Um im Blick auf diesen Dissens weiterzukommen, hat nun Erzbischof Pozzo erneut ein fragwürdiges Instrument der Konzilsauslegung ins Spiel gebracht. Er spricht von einer abgestuften Verbindlichkeit im Textkorpus des Konzils und unterscheidet zwischen doktrinellen und pastoralen Dokumenten. Die Dokumente zur Ökumene, zum Gespräch mit den anderen Religionen, zur Religionsfreiheit seien bloß pastoral und daher von lehramtlich geringem Gewicht. Man könne von ihnen im Gespräch mit der Piusbruderschaft getrost absehen. Dieser Vorschlag ist kirchenpolitisch fragwürdig und konzilshermeneutisch falsch. Gerade die genannten Dokumente enthalten entscheidende Weichenstellungen, auf die sich die Bischöfe der Weltkirche nach einem langen Konsensfindungsprozess verständigt haben und an denen die katholische Kirche seitdem von außen gemessen wird. Diese Weichenstellungen als sekundär und damit zur Manövriermasse in den Verhandlungen mit den Traditionalisten herabzustufen, kommt einem dreisten Akt der Delegitimierung des Konzils gleich. Man stelle sich vor, die katholische Kirche würde nach Inklusion der traditionalistischen Reformverweigerer in so wichtigen Fragen wie der ökumenischen oder interreligiösen Verständigung oder der Verteidigung der Religionsfreiheit mit doppelter Zunge sprechen. Vor allem im Gespräch mit dem Judentum wären schwere Rückschläge zu erwarten. Das Konzil hat nach Auschwitz jeden Antijudaismus verurteilt und die bleibende theologische Dignität des Judentums herausgestellt. In der Piusbruderschaft aber zirkulieren bis heute antijudaistische Stereotypen. Pozzos Unterscheidung ist aber auch konzilshermeneutisch falsch, weil sie die intertextuelle Vernetzung der Konzilsdokumente ausblendet. Durch die formelle Degradierung will er den inhaltlichen Dissens mit den Piusbrüdern minimieren. Dabei übergeht er, dass die Erneuerungsimpulse der von ihm herabgestuften Dokumente zur Ökumene, zum Judentum und zur Religionsfreiheit grundgelegt sind in den dogmatischen Konstitutionen über die Kirche und die Offenbarung. Wer – wie Pozzo – die Dekrete und Erklärungen in ihrer lehramtlichen Verbindlichkeit degradiert, schwächt damit auch die Autorität der dogmatischen Konstitutionen, die diese begründen. Er relativiert letztlich die Theologie des Konzils.

Merkwürdige Absenz theologischer Kritik. Die katholische Kirche mag elastisch sein, wenn es darum geht, unterschiedliche, ja heterogene Positionen unter ihrem Dach zu versammeln. Der Begriff des Katholischen aber würde überdehnt, wenn darin nicht nur Ungleichzeitiges, sondern auch Widersprüchliches Platz hätte. Der umstrittene Verfassungsrechtler Carl Schmitt hat von der Catholica einmal als einer complexio oppositorum gesprochen. Franziskus würde dieses Diktum bestätigen, wenn er die Traditionalisten in den Schoss der Kirche zurückführte, deren Positionen bis heute in flammendem Widerspruch zu zentralen Konzilsaussagen stehen. Sie ohne lehrmässige Auflagen in die volle Gemeinschaft der Kirche zurückzuführen, das hiesse zuzulassen, dass intra muros ecclesiae ein Trojanisches Pferd postiert wird, das semantisches Dynamit von einiger Sprengkraft birgt: Antimodernismus, Antijduaismus, Intoleranz gegenüber anderen Religionen, Integralismus im Staat-Kirche-Verhältnis lauten die Problemanzeigen. Nicht eine Relativierung des Konzils, sondern nur eine theologische Selbstkorrektur der Piusbruderschaft kann daher die Lösung sein. Erstaunlicherweise haben die Frühwarnsysteme der akademischen Theologie bislang weithin versagt. Die Asymmetrie der kritischen Aufmerksamkeit ist jedenfalls frappant: Konnten die Einsprüche gegen Benedikts Aussöhnungsbemühungen mit der Piusbruderschaft nicht scharf genug sein, ist im Blick auf Franziskus von einem weitgehenden Ausfall der Kritik zu sprechen. Auch ein Papst aber kann Fehler machen – ob ihn die Theologie noch davon abhalten kann?

*Prof. Dr. Jan-Heiner Tück lehrt am Inastitut für Systematische Theologie der katholisch-theolischen Fakultät der Universität Wien

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