Der interreligiöse Dialog leistet Friedensarbeit

Gestern Abend fand in Zürich die Feier zum zehnjährigen Jubiläum des Interreligiösen Think-Tank statt. Im Podiumsgespräch zogen die sieben Frauen Bilanz über die Herausforderungen und die Erfolge der letzten zehn Jahre.

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Bilder: Stephanie Weiss

Der Saal im Zentrum Karl der Grosse war bis auf den letzten Platz besetzt, als Amira Hafner-Al Jabaji, Präsidentin des Interreligiösen Think-Tank, das Wort ergriff. Die Think Tank-Frauen, eine Jüdin, zwei Musliminnen und drei Christinnen hatten zum zehnjährigen Jubiläum eingeladen. Der Verein wurde 2009 in Basel gegründet und erlangte rasch Resonanz in der Öffentlichkeit, da damals die Minarett-Initiative ein grosses Thema war. «Das war ein Steilpass und eine gute Gelegenheit, um in die öffentliche Diskussion einzugreifen». Dabei sei der Interreligiöse Think-Tank gendersensibel unterwegs, ohne sich in die Frauenecke drängen zu lassen, betonte Hafner-Al Jabaji.

 

«Religionen tragen sowohl ein Gewalt- und Konfliktpotential als auch ein Versöhnungspotential. Religionen sind das, was die Menschen aus ihnen machen.» Georg Kreis

 

In seiner Würdigung betonte der Historiker Georg Kreis, dass Religion nicht nur Privatsache sei, sie müsse sich auchIRTT im öffentlichen Raum ausbreiten. Allerdings sei ‚Dialog‘, so der Laudator, ein schillernder Begriff, der nicht als Katechismus oder Monolog zu verstehen sei, sondern die Offenlegung der eigenen Position bedeute. Diese werde von Hoffnung begleitet und sei eine kreative Kommunikation, die das Denken voraussetze. Bei der Auseinandersetzung mit der Andersgläubigkeit gehe es darum, negative Vorurteile abzubauen. Dabei erfahre man mehr über die eigene Religion. Deshalb müsste gleichzeitig der Binnendialog mit der eigenen Religion stattfinden. «Religionen tragen sowohl ein Gewalt- und Konfliktpotential als auch ein Versöhnungspotential in sich. Religionen sind das, was die Menschen aus ihnen machen.» Dabei seien sie häufig von machtpolitischen Interessen geprägt. «Der interreligiöse Dialog wirkt dem entgegen und leistet Friedensarbeit, deshalb braucht es den Interreligiösen Think-Tank.»

 

Im interreligiösen Dialog die eigene Religion entdecken

In einem Rückblick auf die letzten zehn Jahre stellte Gründungsmitglied Doris Strahm fest: «Ich glaube, dass wir immer besser gelernt haben, diesen Dialog auch mit religiösen Minderheiten zu führen und uns dabei unsere eigene Machtposition bewusst zu machen.»

Dass der Dialog mit anderen Religionen die Auseinandersetzung mit der eigenen fördert, hatten alle Podiumsteilnehmerinnen erlebt. «Im Dialog entdecke ich mein Eigenes. In der Diversität und auf Augenhöhe in Dialog zu treten stärkt auch mich in meiner Religiosität», bringt es Heidi Rudolf, ebenfalls Gründungsmitglied, Journalistin und Mitglied des Katharina-Werks auf den Punkt. Durch das Kennenlernen der Bedürfnisse anderer breche auch das Innerreligiöse auf, was zu Konflikten führen könne.

Als feministische Theologin, ergänzte Doris Strahm, habe sie mit dem innerreligiösen Dialog Mühe, weil sie eine bestimmte Position vertrete und in Konflikt mit der Definitions- und Interpretationsmacht gerate. Da sei es schwierig, auf Augenhöhe und versöhnlich in Dialog zu treten. «Bei anderen Religionen geht mich das nichts an, da muss ich mich nicht einmischen.»

Heute fühle sie sich fitter, auch einen binnenreligiösen Dialog führen zu können, so Amira Hafner-Al Jabaji. «Man lernt zuzuhören und zu argumentieren.»

Gabrielle Girau Pieck, jüdische feministische Theologin, Mathematik- und Englischlehrerin, macht diese Erfahrung: Wenn sie den Dialog von Herzen führe, gelinge dieser auch mit ultraorthodoxen Vertretern gut. «Wenn es nicht um den Wahrheitsanspruch geht, sondern wir als Menschen miteinander reden, ist das nicht schwierig.»

Für sie sei es ein Trainingsfeld gewesen, wie andere den Dialog führten, so Islamwissenschaftlerin, Rifa’at Lenzin, die auch Präsidentin von der Interreligiösen Arbeitsgemeinschaft IRAS COTIS ist. Der Koran habe eine andere Quelle und unterschiedliche Interpretationen, was einen Einfluss auf den Stellenwert des Gesagten oder Geglaubten habe. Es sei interessant, «herauszufinden, was hinter einer Reaktion steht. Zu verstehen, wieso das so wichtig ist oder wieso man sich nicht findet – das hat uns im Denken weitergebracht. In dieser Auseinandersetzung haben wir gelernt, unsere Erkenntnisse und Ergebnisse des Dialogs in die Öffentlichkeit hineinzutragen.»

 

«Durch den Dialog sehen wir uns in einem neuen, versöhnlichen Licht.» Reinhild Traitler

 

Annette M. Böckler, Dozentin für jüdische Liturgie und Bibelauslegung, schätzt den ehrlichen Meinungsaustausch mit gleichzeitigem Bildungsaspekt. «Durch den Dialog sehen wir uns in einem neuen, versöhnlichen Licht », schildert Reinhild Traitler, Germanistin, Mitgründerin des Europäischen Projekts für Interreligiöses Lernen EPIL ihre Erfahrungen.

Auf die Frage von Moderatorin Brigitta Rotach, was denn in den letzten zehn Jahren speziell gewesen sei, kommt als erstes der gemeinsam verfasste Leitfaden für den interreligiösen Dialog zur Sprache. «Das war eine einzigartige Sache», so Gabrielle Girau Pieck. Die Methode sei gelglückt, bestätigt auch Reinhild Traitler. Als Basis für den Leitfaden hatten die Mitglieder des Interreligiösen Think-Tank Thesen aufgestellt. Das Ziel sei dabei gewesen, dass Differenzen stehen bleiben können und sollen. Auch hatten die Think Tank-Frauen den Anspruch, dass jede hinter jedem Satz stehen könne, und das sei gelungen, so Doris Strahm. Der Leitfaden kam gut an, bereits nach einem Monat sei die erste Auflage verkauft gewesen. Die Resonanz sei auch international gross gewesen. Einige kirchliche Institutionen würden die Schrift als Grundlagetext verwenden. Für Heidi Rudolf war die Stellungnahme des Interreligiösen Think-Tank zum Burkaverbot ein eindrückliches Erlebnis, weil alle voll und ganz dahinter standen. Ebenso sei es beim Bericht zur interreligiösen Betrachtung zu Schöpfung und Ökologie gelaufen (siehe aufbruch Nr. 239, S. 58/59).

Heute sei es um die Religionsdebatte etwas ruhig geworden. «Deshalb wollen wir aber keine ruhige Kugel schieben und uns unserer Denk- und Beobachtungsaufgabe widmen», versichert Amira Hafner-Al Jabaji. Für die Zukunft des Interreligiösen Think-Tank wünschen sich die Mitglieder, wach zu bleiben, Ansatzpunkte zu sehen, wo sie wirken könnten, und die vielen Möglichkeiten zu nutzen, einander zu begegnen.                                                                                                     

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