Die Anteilnahme der Anderen tröstet

Seit den Anschlägen an Ostern auf Sri Lanka ist die Verfolgung von Christen ein grosses Thema. Kirchen sollen Rückgrat zeigen und nicht aus falsch verstandener Toleranz oder gar Angst vor dem islamischen Extremismus schweigen. Das hat Folgen für den interreligiösen Dialog

Blog 23.5.19 GV bosn. Moschee SG 2 (2)

Heute Abend ist Iftar. Im Ramadan hat der Dachverband der islamischen Gemeinschaften zum Fastenbrechen eingeladen; man feiert im Evangelischen Kirchgemeindehaus, «zur Vertiefung der bisher guten Zusammenarbeit». In die Freude über die Einladung mischt sich Schmerz. Die Bilder aus Sri Lanka sind noch so frisch im Gedächtnis: Hunderte betende Menschen in christlichen Kirchen getötet, am Ostersonntag, von islamischen Extremisten!

 

Unbehagen und Hilfslosigkeit sind bei allen, die sich im interreligiösen Dialog engagieren, spürbar. Umso mehr, wenn Nachrichten über weltweite Anschläge und Attentate näher rücken. Oder wenn man, wie die Autorin, mit Christen aus Sri Lanka zusammenarbeitet.

 

Nach Sri Lanka haben sich weltweit Medien und Politik eingeklinkt. Personen, deren Interesse und Engagement für Religion normalerweise kaum sichtbar ist, forderten lautstark, die weltweite Christenverfolgung anzuprangern, und schienen das fortwährend gesuchte Gespräch mit Musliminnen und Muslimen – und die Verweigerung, «den Islam» als Feindbild zu stilisieren – als «Verrat» an den christlichen Glaubensgeschwistern zu brandmarken.

 

Wohin soll das führen? Zuerst in Aufrechnung, wer sich zuerst und mit welchen Worten von etwas distanziert? Dann in Aufkündigung der religionsverbindenden Gespräche, weltweit und lokal vor Ort? Und zuletzt zu einer politischen Strategie, die sich an Samuel Huntingtons «Kampf der Kulturen» orientiert und Loyalitäten, Anteilnahme und Hilfsgelder strikt gemäss dieser Grenzen verteilt?

 

Nach dem Grund des interreligiösen Dialogs fragen

Viele Mitglieder im interreligiösen Dialog stammen aus Ländern, die seit Jahrzehnten von religiös motivierter Gewalt heimgesucht werden. Hindus, Sikhs, Baha’is und Israelis engagieren sich hierzulande in der Schweiz für den Dialog, weil sie erkannt haben, dass Abgrenzung und systematische Ab-Wertung anderer Religionen nie zu neuen Impulsen oder gar zum Frieden führen. Sie haben den Mut, oft als Einzelgänger innerhalb ihrer eigenen Religionsgemeinschaft aktiv auf Angehörige anderer Religionen zuzugehen.

 

Naiv oder blauäugig ist niemand. Einige lassen ihre Gotteshäuser schützen, andere fördern Programme, die sich an Jugendliche und deren Eltern richten, um diese vor den Verführungen extremistischer Gruppen zu schützen. Äusserst knappe Finanzen und mangelnde Expertise im Online-Bereich setzen aber Grenzen. Gemeindeengagement und interreligiöser Dialog vermögen vieles. Verfassungsschutz und Polizeiarbeit aber können sie nicht ersetzen.

 

Das macht den interreligiösen Dialog nicht weniger bedeutsam, denn er schafft neue Loyalitäten und aktiviert ein anderes Potenzial von Religion: Wer sich darauf einlässt, muss religiös verbrämten Nationalismus – auch in seiner türkischen oder israel-palästinensischen Spielart – ebenso wie absolut exklusive Wahrheitsansprüche hinter sich lassen. Und andere Aspekte von Religion werden wichtiger: geteilte Spiritualität, verstanden als gegenseitige Begleitung auf der Suche nach dem Wahren und Transzendenten, tatkräftige Gastfreundschaft und nicht zuletzt compassio, nicht nur ein zentraler christlicher Wert. Diese Anteilnahme hat die Verfasserin dieses Blogbeitrags zu spüren bekommen, im Entsetzen und der Anteilnahme von Angehörigen anderer Religionen nach Sri Lanka, von Hindus und Sikhs, aber auch von Muslimen.

 

Anteilnahme mag ein Weg sein: Betende Menschen, in der Zwiesprache mit Gott, die ihr Gewissen erforschen, die für das Wohl und Wehe der ihnen Nahe- oder Fernstehenden beten, zu töten, ist eine aussergewöhnlich niederträchtige Tat. Dies nicht nur verbal zu betonen, sondern den Schmerz gemeinsam mit anderen Betroffenen auszudrücken – zum Beispiel in einer interreligiösen Mahnwache – ist keine falsch verstandene Toleranz.

 

Natürlich lässt sich bei Gelegenheiten wie dem «Iftar» die Verfolgung und Bedrohung von Christen ansprechen. Meine Erfahrung zeigt: es scheint vertrauensbildender und zielführender zu sein, auf das gemeinsam Erreichte und die positiven Entwicklungen zu schauen, die weniger im Licht der Aufmerksamkeit stehen: zum Beispiel auf die «Erklärung zur Geschwisterlichkeit unter den Menschen für den Weltfrieden und das Zusammenleben», die von Papst Franziskus und Ahmad al-Tayyeb von der Kairoer al-Azhar am 4. Februar 2019 unterzeichnet wurde – noch vor Christchurch und Sri Lanka!

 

Ann-Katrin Gässlein ist kath. Theologin, Islam- und Religionswissenschaftlerin und Präsidentin des Runden Tisches der Religionen St. Gallen und Umgebung

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