Gamification des Terrors

Wie der Schrecken sich online verbreitet.
Christchurch, El Paso und Halle: Die Attentäter filmten ihre Taten, die sie zuvor online angekündigt hatten. Welche Rolle spielen soziale Medien und online Plattformen in der Verbreitung von Hass und menschenverachtenden Ideologien?

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Wenige Minuten nach den ersten Schüssen in Halle wurde auf dem Imageboard «Meguca» ein Post mit Link zum Livestream des Attentäters veröffentlicht. In der Tatankündigung sind auch Dateien verlinkt, in denen sich ein Manifest befindet, in dem der Täter drei Ziele und ein Bonus nennt, die er erreichen will. Am Ende des Dokuments folgt eine Liste von «Achievements» (Erfolgen), was an die Xbox-Achievements erinnert. Hier geht es jedoch um das Töten von Menschen – alle, die nicht in das rassistische und antisemitische Weltbild des Attentäters passen.

Über 15’500 Personen haben das Video des Attentats in Halle gesehen. Der Täter benutzte den Streaminganbieter Twitch als Platform. Twitch gehört seit 2014 Amazon und ist eine der beliebtesten Streamingplattformen in der Gaming-Community. Alle Nutzer streamen ihre Spiele, von Shooter-Games wie Fortnite zu Sportsimulationen wie Fifa. Jeder Person mit einem Benutzerkonto kann einen Kanal erstellen. Auf Twitch finden eSport Turniere statt, aber auch Musik Broadcasts und Austausch von kreativem Material. Eine Community eben.

Der Stream des Anschlags in Halle wurde von fünf Personen live verfolgt. Danach hat sich das Video über Online Messaging wie Telegram verbreitet. In den 30 Minuten bevor das Video von Twitch gelöscht wurde, hatten rund 2200 Personen den Inhalt gesehen. Nach Angaben des Unternehmens Twitch war der Attentäter kein regelmässiger Nutzer, sein Konto wurde erst zwei Monate vor seiner Tat eröffnet und er hatte nur einmal gestreamt.

 

Gamification of Terror

Diese Bezugnahme auf die Gaming-Kultur durch die Inszenierung des Attentats in einem Livestream wird im Englischen als «Gamification of Terror» bezeichnet: In online Communities vergeben Nutzer Bewertungen auf Anschläge mit Punkten. Auch einen Highscore gibt es, Terror und Gewalt werden in diesen Kreisen zynisch behandelt, als ob alles ein Spiel ist. Die Opfer werden verhöhnt, Hass gegen Minderheiten und Frauen sind fester Bestandteil dieser Gruppen.

Gaming ist bei unter 35-Jährigen Mainstream und längst in der Pop- und Jugendkultur angekommen. Täter, die ihre Verbrechen in einem Livestream inszenieren, müssen nicht unbedingt Gamer sein, selbst wenn sie auf Gamer spezialisierte Plattformen wie Twitch benutzen. In der aktuellen Diskussion zu den Attentaten in Christchurch, El Paso und Halle geht es darum, dass Terroristen Kommunikationsplattformen benutzen, die unter Gamer verbreitet sind. Dazu gehört auch die Gaming-Plattform «Steam» und das Chat Programm «Discord», sowie Imageboards.

Imageboards sind Internetforen, in denen hauptsächlich Bilder geteilt werden. Memes* sind besonders beliebt und werden oft als Medium verwendet, um antisemitische, rassistische und antifeministische Inhalte zu verpacken. Verschwörungstheorien und Memes sind auch oft auf Plattform für Gamer zu finden. Diskussionen innerhalb der Gamer-Community werden wiederum oft auf Imageboards ausgetragen, dies gilt auch für rechtsextreme Propaganda.

 

Attentäter haben ihre Taten angekündigt

Kurz vor dem Attentat in Christchurch schrieb der Täter auf 8chan im Board «/pol/ – Politically Incorrect», dass es Zeit sei, das Sh*tposting zu stoppen und einen Beitrag im «echten Leben» zu leisten. Er werde die «Eindringlinge» angreifen und dies live streamen, was er mit einer Helmkamera tatsächlich tat. Sein Manifest «Der grosse Austausch» und seine Ideologie wurden von der «Identitären Bewegung» inspiriert, sowie durch den Täter des Anschlags in Norwegen 2011. Nach seiner Tat wollte der Attentäter von Christchurch über 8chan möglichst viele Memes verbreiten, um Nachahmer zu motivieren – mit Erfolg. In der «Steam» Community begannen hunderte den Namen des Terroristen von Christchurch zu benutzen und auf «Discord» wurde der Täter als Heiliger verehrt. Sein Manifest wurde in dutzende Sprachen übersetzt und verbreitet. Das Muster des Attentats in Halle zeigt deutliche Parallelen zu Christchurch.

Nach dem Amoklauf in El Paso ging das Imageboard 8chan offline, technische Dienstleister wie Amazon haben den Stecker gezogen. Mehrere Attentäter hatten ihre Taten bereits auf 8chan angekündigt. Soziale Medien und online Plattformen arbeiten nun auf Hochtouren, Hassreden und Gewaltverbreitung zu unterbinden. Keine einfache Aufgabe, da immer wieder Schlupflöcher auftauchen oder Backlashes aus den Communties bezüglich Redefreiheit folgen. Die Hilflosigkeit der Tech Giganten gegenüber Videos von Attentaten lässt zweifeln, ob online Foren und Communities überhaupt jemals «gebändigt» werden können.

* Memes entstehen aus Bildern, Videos, Blogs, Texten oder ganzen Webseiten, die sich wie Lauffeuer über das Internet verbreiten

Celia Gomez hat Religion in Global Politics studiert und macht jetzt ein Praktikum beim Strong Cities Network am Institute for Strategic Dialogue in London

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