„Kichenasyl ist kein Rechtsbruch“

Wolf-Dieter Just ist Mitbegründer Arbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche. (Foto: Südbeck-Baur)

Richtig angewendet ist Kirchenasyl ein starkes Instrument, um Flüchtlinge vor der Ausschaffung zu schützen. Das zeigen die Erfahrungen der gut vernetzten Arbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche in Deutschland, wie Mitbegründer Wolf-Dieter Just berichtet. In der Schweiz steht die Institutionalisierung von am Kirchenasyl interessierten Kirchgemeinden und Pfarreien noch aus.

Von Wolf Südbeck-Baur

Zurzeit laufen in der Schweiz zwei Kirchenasyle. Eines in der Lausanner Pfarrei Sacre Ceur, wo in der Kapelle Mont-Gré derzeit 10 Asylsuchende Schutz vor der Ausschaffung finden. Da andere in der reformierten Kirchgemeinde Kilchberg ZH, die einer tschetschenischen Familie Schutz vor drohender Abschiebung bietet. In der Basler Matthäuskirche war im vergangenen März der Versuch, acht Asylsuchende zu schützen, kläglich an der mangelnden Solidarität des reformierten Kirchenrats gescheitert.

Angesichts der Aktualität des Kirchenasyls fällt immer wieder auf,  dass es in der Schweiz keine Anlaufstelle gibt, die Kirchgemeinden und Pfarreien bei Fragen und Herausforderungen in Sachen Kirchenasyl Hilfestellungen und Beratungen bieten könnte. Vor diesem Hintergrund sind die Erfahrungen und Entwicklungen in Deutschland besonders interessant. So berichtete Wolf-Dieter Just, Mitbegründer der Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, auf Einladung vom Freundeskreis Cornelius Koch in Zusammenarbeit mit dem Europäischen BürgerInnen Forum kürzlich in Basel von der inzwischen institutionalisierten Vernetzung in Deutschland, namentlich von den inzwischen über 20järhigen Erfahrungen der ökumenisch getragenen Arbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche.

Laut dem spiritus rector der deutschen Kirchenasyl-Bewegung  gewähren in Deutschland aktuell 271 Kirchgemeinden  insgesamt 425 Personen Kirchenasyl. 232 Fälle davon fallen unter das Dublin-Abkommen, müssten ihren Asylantrag also im Erstaufnahmeland stellen. „Wir sind nicht dazu da, das Gesetz zu brechen, sondern es zu verteidigen“, erklärt der Sozialethiker und tritt damit mit Nachdruck jenen Politikern entgegen, die den Kirchen vorwerfen, sie würden sich über die geltenden Gesetze stellen. Demgegenüber sei ein Kirchenasyl vielmehr als Schutz der verbrieften Menschenrechte zu verstehen, betont der Sozialethiker aus Duisburg. „Beim Kirchenasyl geht es darum, das Recht dort zu verteidigen, wo der staatliche Schutz der Menschenwürde und der Menschenrechte versagt.“ Von daher sei ein Kirchenasyl in erster Linie Menschenrechtsschutz. Allerdings sei das Kirchenasyl stets die ultima ratio, der eine eingehende auch juristisch Abklärung – so die Vereinbarung mit dem deutschen Bundesamt für Migration – der Situation der Asylsuchenden voranzugehen habe. Folgende Bedingungen für die Gewährung eines Kirchenasyls in Deutschland müssen gegeben sein:

  • ein negativer Asylentscheid, gegen den der Betroffene eine Berufung eingelegt haben muss;
  • Gefährdung an Leib und Leben, falls die Ausschaffung vollstreckt würde
  • Petition an die zuständige Härtefallkommission des Migrationsamts

„80 Prozent der Fälle sind erfolgreich und enden mit der Gewährung von Asyl“, berichtet Wolf-Dieter Just. Die erneute Überprüfung des Asylgesuchs brächten häufig triftige Asylgründe an den Tag, die das Asyl anders als der erstinstanzliche Entscheid der Behörden rechtfertigten. Dazu zählt zum Beispiel eine schwerwiegende Krankheit des Asylsuchenden. Allerdings könne die Härtefallkommission – und das rechnet sich die deutsche Arbeitsgemeinschaft Kirchenasyl durchaus ein wenig stolz als Verhandlungserfolg gegenüber dem Migrationsamt an – „in besonderen Härtefällen contra legem entscheiden „, also entgegen dem Buchstaben des Gesetzes, wie der Ehrenvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche berichtet. Dabei macht Just jedoch unmissverständlich klar, dass Kirchgemeinden und Pfarreien die Menschen, denen sie Kirchenasyl bieten, unverzüglich bei den Behörden melden und eine neuerlich Überprüfung der Entscheide verlangen müssen. „Ansonsten werten die Behörden das Kirchenasyl zu Recht als Verstecken“, so Just. Auch für den evangelischen Pfarrer ist die Rechtslage klar. So habe die Kirche keine Sonderrechte und könne den Behörden daher grundsätzlich den Zutritt zu sakralen Räumen nicht verbieten. Doch aufgrund des erwähnten Verfahrens, das die Kirchen in Deutschland mit der Regierung ausgehandelt haben, werde die Tradition des Kirchenasyl seitens der Behörden nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Im Vordergrund stünden ganz pragmatisch, so Theologe Just, „lösungsorientierte Einzelfallprüfungen nach Möglichkeit vor dem Eintritt in ein Kirchenasyl“.

2015 – in dem Jahr kamen rund eine Million Flüchtlinge nach Deutschland – seien die Erfahrungen mit dieser Regelung durchwegs positiv. „Von rund 300 Dossiers, die wir der Härtefallkommission vorgelegt haben, wurden die meisten anerkannt“, freut sich Wolf-Dieter Just. Und im Blick auf die Schweiz unterstreicht der Pionier der Kirchenasyl-Bewegung, dass vor allem die Schweizer Kirchenleitungen ihre defensiv zurückhaltende Haltung in Sachen Kirchenasyl überdenken und öffentlich klar Flagge zeigen müssten. Denn auch hierzulande seien Asylsuchende auf den Schutz der Kirchen angewiesen. Aber, so Just, „die Bewegung muss von unten kommen, es braucht eine Basis.“

Aufruf aus der Schweiz. Ganz in diese Richtung geht das Manifest aus der Feder des Theologen Pierre Bühler. Unter dem Titel „Die Kirchen als Asylorte – ein Manifest“ www.asulon.ch wirbt der renommierte reformierte Professor für eine grössere Bedeutung und die entsprechende Anerkennung des Kirchenasyls. Rund 120 Personen haben dieses Manifest seither unterzeichnet.

Weitere Infos: www.kirchenasyl.dewww.asulon.ch: Prof. Pierre Bühler, Die Kirchen als Asylorte – ein Manifest;  www.neuemigrationspolitik.ch

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