Mexikaner hoffen auf einen politischen Tsunami

Die Korruption hat in Mexiko unerträgliche Ausmasse angenommen. Sie erschwert das tägliche Leben und bringt viel Leid mit sich. Deshalb lechzen Mexikaner und Mexikanerinnen nach einem politischen Wandel. Ob der neu gewählte Präsident Andrés Manuel López Obrador diese hohen Erwartungen tatsächlich erfüllen kann, darf angezweifelt werden.

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Bilder: Darius N Meier

Am 1. Juli 2018 war es endlich so weit. Mexiko wählte auf lokaler und föderaler Ebene seinen Präsidenten und sämtliche Abgeordneten. Die letzten sechs Jahre waren von einer sich stetig verschlechternder Sicherheitslage durch ausufernde Drogenkriege, Korruption und enorme Migrationsströme geprägt. Als Krönung dieser schwierigen Zeit kränkte Donald Trump den Nationalstolz vieler Mexikaner.

Der Autor begab sich am Wahltag unter die Abstimmenden, um die Stimmung rund um die sogenannten «Casillas», den Wahlhäuschen, wahrzunehmen, auch wenn der Zutritt für Ausländer verboten war. Vier ernstzunehmende Kandidaten blieben zum Schluss noch. Darunter der diesjährige Favorit und ewige Kandidat, Andres Manuel Lopez Obrador, auch AMLO genannt. Bereits zweimal war er schon gescheitert und gilt gemeinhin als gemässigt links. In den letzten Jahren war der 64-Jährige als Kämpfer gegen das Establishment aufgefallen und hatte sich als Bürgermeister von Mexiko-Stadt einen guten Ruf erarbeitet. Umfassende Sozialprogramme mit Rücksicht auf die Staatsfinanzen haben ihn im Volk beliebt gemacht. Der studierte Politologe stammt aus einer Händlerfamilie und wuchs in einem kleinen Dorf in Tabasco auf.

«Wenn Obrador gewählt wird, ist das wie wenn wir Hitler gewählt hätten. Er verbündet sich mit Kriminellen und Drogenhändlern auf lokaler Ebene, nur um gewählt zu werden. An seinen Händen klebt viel Blut», berichtete die 55-jährige Leticia Barajas Duarte aufgebracht beim Gespräch kurz vor der Wahlabgabe im Bezirk Lindavista im Norden von Mexiko-Stadt. Der Stadtteil ist ärmlich, aber nicht von Gewalt geplagt. «Mit Obradors linker Politik werden wir Zustände erleben wie in Venezuela – mit noch mehr Korruption und Gewalt. Für Ausländer wie Sie wird es hier nicht mehr sicher sein. Deshalb werde ich für den Meade stimmen, der spricht mit Englisch wenigstens noch eine weitere Sprache», sagt sie über den Kandidaten der Partei PRI, welche seit 80 Jahren praktisch durchgehend an der Macht ist. Damit drückt sie die Angst vieler Bewohner armer Viertel aus, dass sich durch einen Regierungswechsel die fragile Lage in Gewalt ummünzen könnte.

WhatsApp Image 2018-07-01 at 17.10.07 (1)Während des Wahlprozesses sassen Wahlhelfer unter einem Metallzelt und erklärten die Funktionsweise der Stimmabgabe. Flankiert wurde das Zelt von bewaffneten Polizisten und Wahlbeobachtern verschiedener Parteien. Auf Plakaten waren übergrosse Wahlzettel mit den Symbolen der Parteien angebracht, die es den Wahlberechtigten vereinfachen sollten, sich im Dschungel der Abgeordneten-, Präsidenten- und Gouverneurswahlen zurechtzufinden. Für den Einwurf der Wahlzettel standen Kartonschachteln mit einem durchsichtigen Plastikfenster bereit.

AMLO wurde klar mit über 50 Prozent der Stimmen gewählt. Am Wahlabend bevölkerten AMLO-Anhänger die Strassen Mexikos und zelebrierten mit lauten Hupkonzerten ihren Sieg. Sprechchöre waren zu hören, wie etwa das Wortspiel „¡Es un honor estar con Obrador!“ (Es ist eine Ehre, bei Obrador zu sein). Am Zentralplatz Zócalo wurde der frischgewählte Präsident frenetisch wie ein Nationalheld gefeiert. Mein Uber-Fahrer Jorge war hell begeistert: «Endlich kommt eine grosse Veränderung. Die Wahl war klar, es gibt keinen Grund, sie anzuzweifeln». Zu später Stunde, etwa um ein Uhr morgens, trat AMLO nochmals vor seine Anhänger: «Wir werden das grösste Problem unseres Landes, die Korruption, besiegen! Gemeinsam werden wir Geschichte schreiben», verkündete ein etwas müder, aber glücklicher Sieger treu nach seinem Kampagnenmotto. Ob er das schaffen wird, wurde bereits im Vorfeld der Wahl von vielen angezweifelt, da die Korruption in Mexiko schon so weit ausgebreitet hat.

2018 hat die bereits sehr hohe Mordrate in Mexico noch einmal um 20 Prozent zugenommen, Tausende fallen dem Drogenkrieg zum Opfer. Die Drogenkartelle versuchten, vor den Wahlen politischen Einfluss zu gewinnen. Dafür ermordeten die Gangster über hundert Politiker und schafften so ein Klima der Angst. Auch Amtsträger gaben Morde in Auftrag.

AMLO verspricht, vor allem die Korruptionskultur auf den verschiedenen Ebenen zu bekämpfen. Als konkrete Massnahme will er die Privilegien von höheren Staatsangestellten kürzen, um mehr Geld für die arme Bevölkerung zur Verfügung zu haben.

«Bei der Wahl stand der Wunsch nach einem Wechsel der regierenden Partei klar an erster Stelle und weniger AMLOs Regierungsprogramm, welches immer nur vage blieb», sagte die 22-jährige Journalistin Ana. Dem pflichtete der 25-jährige Guadalupe bei: «AMLO gibt sich Mühe, in seinen Reden für das Volk verständlich zu artikulieren, jedoch hat er keine wirklichen Umsetzungspläne, wie er die Korruption effektiv bekämpfen will. Grosse Hoffnungen habe ich auf die Leute, die hinter ihm stehen und ihn in den nächsten Jahren unterstützen werden».

Für eine Mehrheit der Wähler war in diesem Wahlkampf entscheidend, endlich einen grundsätzlichen Wechsel in der Regierung herbeizuführen. Ob AMLO die grassierende Korruption auf allen Ebenen unter Kontrolle bringen kann oder ihr wie schon Lula oder Hugo Chavez erliegt, wird sich zeigen.

Von Darius N. Meier, Ciudad de México und Stephanie Weiss

1 Gedanke zu „Mexikaner hoffen auf einen politischen Tsunami“

  1. Ein klug abgestimmter Kommentar, muchas gracias. Die Zeichen der Zeit werden hoffentlich von vielen Mexikanerinnen und Mexikanern erkannt und genutzt!

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