Schweizer Waffen gegen die Bevölkerung in Chile

50 Jahre staatliche Gewalt dank Schweizer Waffentechnologie.

Bild oben: Caterina Muñoz Ramírez
Soldaten mit Panzern auf der Plaza Italia in Santiago. Die Soldaten tragen das israelische GALIL ACE, dieses wird mittlerweile unter Lizenz in Chile produziert und soll das schweizer SIG 510 ersetzen.

 

20. Oktober 2019. Auf dem zentralen Platz in Santiago de Chile, der Plaza Italia, steht ein Soldat. In seiner Hand ein Sturmgewehr der Schweizer SIG. Neben ihm, ein paar Meter entfernt ein Panzer der Mowag. An den Vortagen hatte es massive Proteste gegeben, die nun mit brachialer Militärgewalt unterdrückt werden sollten. Dies ist nicht gelungen. Bis heute, fast 3 Monate nach dem Auftreten der Panzer in Santiago gehen die Proteste weiter. Mittlerweile wird die Plaza Italia nur noch liebevoll «Plaza de la Dignidad», Platz der Würde, genannt. Doch die Schweizer Waffen sorgen für ein triumphales Comeback. Seit der Militärdiktatur von 1973 bis 1990 waren sie nicht mehr so präsent in den Strassen Santiagos.

Waffen für die Diktatur

Die Geschichte der Schweizer Waffen geht bis in die 60er Jahre zurück. Damals erneuerte das chilenische Militär sein Waffenarsenal. Gebraucht wurden automatische Sturmgewehre und leicht fahrbare, urbane Panzerwagen. Beides kam aus dem Alpenstaat, gefördert durch die Exportsicherung des Bundes. Mit der sozialistischen Regierung Salvador Allendes und dem Militärputsch von 1973 legte die Schweiz ein Waffenembargo auf Chile. Dies hielt das dortige Militär nicht davon ab, weiter sein Interesse an den Waffen zu zeigen. Ab 1980 schafften es sowohl die Mowag als auch die SIG das Embargo zu umgehen. Mit der Hilfe von Carlos Cardoen, einem wegen illegalem Waffenhandel international gesuchten Waffenfabrikanten, verkauften sie die Lizenzen zur Produktion von Sturmgewehren und Radwagenpanzer an das chilenische Militär. Die staatliche Waffenschmiede FAMAE produzierte ab Mitte der 80er Jahre mehrere hundert Panzer der Mowag und unzählige SIG 510 und 540. Aufgrund der Geschäfte der FAMAE und Cardoen mit anderen Ländern ist davon auszugehen, dass über Chile auch Schweizer Waffen nach Südafrika gelangten.

 

Schweizer Waffen nach der Diktatur

12. März 1990, einen Tag nach Amtsübernahme des demokratisch gewählten Präsidenten hebt der Bund sein Waffenembargo auf. Dokumente des chilenischen Aussenministerium sprechen von diesem Tag an von einer hohen Zahl an Waffenimporten aus der Schokoladenrepublik. Der neue Präsident, Patricio Aylwin, überzeugte weite Teile der Welt von seinen demokratischen Absichten. Die dunkle Epoche der Diktatur schien vorüber. Doch die staatliche Gewalt ging weiter. Der Menschenrechtsanwalt Nicolás Toro spricht in diesem Zusammenhang von einer konstanten Gewalt, vor allem gegenüber marginalisierten Gruppen. Im Interview erklärt er «Vor dem 18. Oktober waren es vor allem die Mapuche, die die staatliche Gewalt zu spüren bekamen». Dies ist eine indigene Gruppe im Süden Chiles welche seit Jahrzehnten gegen die Besetzung ihrer Ländereien durch Grossgrundbesitzer und Forstunternehmen kämpft. Seit Beginn der Regierung Sebastían Piñera im Jahr 2018 hat sich die Gewalt gegen diese Bevölkerungsgruppe verstärkt. Im Juni präsentierte dieser eine Sondereinheit um gegen den angeblichen «Terrorismus» der Mapuche vorzugehen. Bei der Vorstellung stand das sogenannte «Junglekommando», ausgebildet im Antiguerillakrieg in Kolumbien, auf einer Grüne Wiese. Im Hintergrund vier Radwagenpanzer der Mowag, heute Teil des Konzerns General Dynamics, hergestellt in den Hallen der FAMAE. Kurz danach, im November des gleichen Jahres, tötete das Kommando den Mapuche Camilo Catrillanca durch mehrere Schüsse in den Rücken. «Carabineros», die chilenische Polizei, «bauen Sicherheitsposten um unsere Dörfer, die aussehen wie kleine Festungen» erzählt der Mapucheaktivist Vicente Painel. «Wenn wir uns von einem Ort zum anderem bewegen, werden wir ständig kontrolliert». Häuser und ganze Mapuchegemeinschaften werden unter verschiedenen Vorwänden durchsucht. Dafür taucht die Polizei mit  Radwagenpanzern und Sturmgewehren auf. «In der Praxis agieren die Carabineros wie eine Besetzungsmacht» schlussfolgert Painel.

 


Bild: Caterina Muñoz Ramírez
Soldaten auf einem Mowag Panzer auf der Plaza Italia in Santiago. Im Hintergrund ist Tränengas zu sehen. Der hintere Soldat hat ein Schrotgewehr in der Hand. Durch Schrotschüsse verloren während der Proteste mehrere hundert Menschen mindestens ein Augenlicht.

Vom Land in die Stadt: Mowag Panzer in Santiago

Am 19. Oktober 2019 rief Piñera über eine Woche den Ausnahmezustand in weiten Teilen des Landes aus. Das Militär übernahm die Kontrolle der öffentlichen Sicherheit. In einer Pressekonferenz sprach der Präsident von einem Kriegszustand. In einer Metrostation stand, mit einem SIG 510 in der Hand Rodrigo*. Er ist Berufssoldat, in der Woche des Ausnahmezustandes musste er die Station bewachen. «Wir schliefen um die drei Stunden pro Nacht und tagsüber wurden wir von den Menschen beschimpft». Rodrigo versteht den Aufschrei nicht: «wir waren da, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, die U-Bahn vor Vandalen zu beschützen». Das Sturmgewehr setzte er nie ein, denn «es wäre zu gefährlich gewesen, da wir damit mehrere Menschen auf einmal umgebracht hätten. Es gehörte aber zu unserer Ausrüstung. Das Militär ist nicht für solche Situationen vorbereitet.» Es ist daher davon auszugehen, dass einfach eine alte Strategie wieder eingesetzt wurde. Panzer und Sturmgewehre zur Einschüchterung der Bevölkerung, wenn nötig auch zum töten. Dies geschah zum Glück nur in Einzelfällen. In Curicó wurde ein Demonstrant von einem Soldaten erschossen und aus mehreren Städten wurde über Schusswunden durch Einsatz der Sturmgewehre berichtet.

Bereits 2014 meldeten die chilenischen Streitkräfte, dass sie zukünftig auf ein israelisches Sturmgewehr setzen würden. Dies entspricht einer allgemeinen Tendenz der Armee, die mehr und mehr israelische und US-amerikanische Waffen einkauft. Die Mowag konnte sich bislang gegen diese Trend durchsetzen. Bis heute werden Radwagenpanzer für das Militär und die Polizei unter Lizenz in Chile produziert. Der Kauf US-amerikanischer Waffen war Chile in den 80er Jahren aufgrund eines internationalen Waffenembargos verwehrt. Damals war die Schweiz der einzige Staat ausserhalb von Lateinamerika, der grosszügig Waffentechnologie lieferte. Bis heute sind vor allem die Panzer der Mowag in ganz Lateinamerika im Einsatz. So etwa auch in den brasilianischen Favelas. Adi Feller von der GSOA meint dazu «Die Strategie militärischer Gewalt im Umgang mit Armut und sozialen Problemen ist zum Scheitern verurteilt und schafft nur mehr Unsicherheit für die dort lebende Zivilbevölkerung. Denn eine demokratische Kontrolle der Streitkräfte ist beinahe inexistent, immer wieder werden ZivilistInnen bei Militäreinsätzen getötet. Die Schweiz unterstützt mit ihren Waffenexporten unverständlicherweise ein solches Vorgehen.»

Trotz internationaler Verurteilungen aus Deutschland, der UNO oder Argentinien hat sich die offizielle Schweiz bislang nicht zur Gewalt in Chile geäussert. Und diese geht weiter: In der Neujahrsnacht verloren zwei Demonstrierende jeweils ein Auge durch den Schuss einer Gasgranate.

*Name geändert.

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