Warum Erkenntnis manchmal mühsam sein muss

Kunstperformance mit den 10 Geboten Vol. 2. Ein Erfahrungsbericht von Uwe Habenicht.

Warum tue ich mir das an?, frage ich mich, als ich kurz nach sieben am Morgen in den Bus steige. Meine beiden Mitstreiterinnen treffe ich wenig später am Bahnhof. Gemeinsam besteigen wir den Zug in Richtung Spreitenbach. Was uns an diesem Tag erwartet, wissen wir noch nicht so genau.

Patrik und Frank Riklin, die zusammen das „Atelier für Sonderaufgaben“ betreiben, hatten im Juli 10 Tage lang auf dem St. Galler Klosterplatz eine „öffentliche Meisselung“ durchgeführt. Auf zehn Steinplatten hatte das Zwillingspaar ihre neuen 10 Gebote in der Öffentlichkeit gemeisselt.

Auf dem Weg zur Arbeit war ich an den beiden mehrmals mit dem Velo vorbeigefahren und war neugierig stehen geblieben. Allerdings hinderte mich das aufgehängte Schild „Bitte nicht mit den Künstlern sprechen“, mehr über die Aktion zu erfahren. Die beiden Künstler hatten sich während der öffentlichen Arbeit ein Schweigegebot über ihr Tun auferlegt.

Neuformulierung der 10 Gebote

Bei einem Besuch in ihrem Atelier wenige Monate später waren die Brüder zum Glück gesprächiger. „Die 10 in englisch formulierten Gebote“, so die Riklins, „stellen die Quintessenz unseres künstlerischen Schaffens dar.“ Über Jahre hinweg waren diese Sätze aus ihren zumTeil spektakulären, subversiven und partizipativen Projekten heraus entstanden. In der Tat entdeckte ich an einer der Türen ihres Ateliers einen Zettel mit eigenen Formulierungen, die in den Zehn Geboten Vol. 2 wieder auftauchen. So liest sich das 10. und letzte Gebot fast wie ein Kommentar zur laufenden Kunstperformance. Denn nach der Meisselung der Gebote wurden diese im Zürcher Schanzengraben öffentlich versenkt, womit das Projekt an sein Ende gekommen zu sein schien.

Auf 10 Sackkarren geschnürt sollten die neuen Gebote nun von freiwilligen Gebotsschiebern von Zürich ins Museum für Kommunikation nach Bern geschoben werden.

Doch als die Stadt Zürich den Riklins einen Ordnungsbescheid zustellte, in dem sie aufgefordert wurden, die zehn Steinplatten unverzüglich wieder aus der Limmat zu entfernen, begann der nächste Akt. Auf 10 Sackkarren geschnürt sollten die neuen Gebote nun von freiwilligen Gebotsschiebern von Zürich ins Museum für Kommunikation nach Bern geschoben werden. Und genau das war der Grund, warum ich an diesem Morgen so früh auf dem Weg nach Spreitenbach war. Zusammen mit weiteren Freiwilligen wollte ich eine Etappe des Riklinschen Reflexionsweges von Zürich nach Bern mitgehen – beladen und belastet mit einer Sackkarre, auf der eine rund 100 kg schwere Steintafel festgeschnallt war.

Schweisstreibende 250 Höhenmeter und 6 Kilometer waren an diesem Tag zu überwinden. Warum tue ich mir das an?, frage ich mich schnaufend. „Wir schieben die Gebote in den Alltag und sehen, was geschieht.“, Frank Riklin schaut mich aufmunternd an. Ja, das ist es, worum es geht: Nicht selten schieben und tragen wir schwer an Sätzen und Geboten, die unser Handeln steuern.

„Wir schieben die Gebote in den Alltag und sehen, was geschieht.“

Der mühsame Transport der neuen Zehn Gebote der Riklins verlangsamt heute meine Schritte und lässt mich nachdenklich werden: Welche Gebote schleppe ich eigentlich unbewusst mit mir herum? Erst das Materialisieren des sonst Unsichtbaren ermöglicht eine echte Auseinandersetzung mit solchen Sätzen.

Aber warum zum Teufel müssen diese Platten nur so schwer sein …

 

D_i_e_ _«Z_e_h_n_ _G_e_b_o_t_e_ _V_o_l_._ _2_» _

  1. Believe in the urgency of your thoughts.
  2. Trust insanity and question the conventional.

III. Break in so others can break out.

  1. Venture into new territories and surprise yourself.
  2. Create new realities and make them happen.
  3. Be convinced and you will not need courage.

VII. Endure criticism as it drives discourse.

VIII. Accept antagonism as it is a sign that something new is happening.

  1. Do not look for customers find accomplices.
  2. Keep processes going even if they seem to end.

2 Gedanken zu „Warum Erkenntnis manchmal mühsam sein muss“

  1. Gewiss hat die Stadt nicht verlangt, dass die Tafeln aus der Limmat wieder entfernt werden, denn der Schanzengraben ist nicht die Limmat. Würde ja gut passen wenn die Ricklins das Gebot, du sollst nicht töten in der Limmat bei der Wasserkirche versenkt hätten, das ist dort wo einst von Zwingli angeordnet der Grebel ins Wass gekippt wurde.

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  2. Fleisch und Geist kommen so einander näher

    Das eine ist der Gedanken Flug,
    das andere ist die widerspenstige Materie, die der Gedanken Flug prüft.

    Warum tue ich mir solches an? Vielleicht, dass ich mich mit meinen Gedanken erproben und weiterbringen will.

    Weiter wohin?`- Ich muss es am Anfang nicht gleich voll wissen, höchstens wohin ich nicht will, wohin ich auf gar keinen Fall will.

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