Offener Brief: „Priesterin ohne Kirche“

Ursa Krattiger, Politologin, Publizistin und reformierte Pfarrerstochter, ist aus ihrer Kirche ausgetreten. Die Baslerin bezeichnet sich als „Priesterin ohne Kirche“. Unlängst hat sie einen offenen Brief zum Frauenpriestertum geschrieben. Der aufbruch dokumentiert den Offenen Brief

Ursa Krattiger, Politologin, Soziologin und Pfarrerstochter, bezeichnet sich als "Priesterin ohne Kirche".  Foto: Wolf Südbeck-Baur Ursa Krattiger bezeichnet sich als „Priesterin ohne Kirche“            Foto: wsb

Kurz nach der Wahl von Papst Franziskus habe ich sie zum ersten Mal bei Beckmann in der Talkshow gesehen, die junge Theologiestudentin Jacqueline Straub aus Freiburg, und etwas später erneut im ORF 2 im Beitrag „Jesus und die verschwundenen Frauen“, und zwar bei ihrer Begegnung mit der feministischen Theologin Elisabeth Schüssler-Fiorenza von der Harvard Divinity School, Cambridge, Massachusetts, USA. Straub will Priesterin werden. Fühlt sich zutiefst dazu berufen. Und zwar dort, wo sie religiös zuhause ist und sozialisiert wurde: in der katholischen Kirche. So einfach ist das. Und scheint so unmöglich.

Diesen Wunsch habe ich schon häufiger gehört. Etwa von Helen Schüngel-Straumann, der ersten Schweizer Katholikin, die als Theologin promovierte und in Kassel Professorin wurde für Altes Testament. Für Radio DRS haben wir zusammen in den frühen 80er Jahren Sendungen über vergessene Frauen in der Bibel gemacht. Oder von meiner geistlichen Mutter Catharina J.M. Halkes aus Nijmegen, die 1977 als Leiterin des Projektes „Christentum und Feminismus“ referierte an einem UNO-Seminar in Groningen: über das neue Bild des Menschen aus der Sicht der feministischen Theologie. Später wurde der Lehrstuhl für Feministische Theologie geschaffen und Catharina Halkes feierlich und von Frauen geleitet in ihre Professur eingesetzt. Und als Johannes Paul II. die Hochschullehrerin auf seiner Hollandreise nicht empfangen wollte, lud sie ein zum Seminar „… und Sarah lachte“. In unseren Tagen nun will eine junge Frau, die eine Enkelin, ja Urenkelin dieser Vorkämpferinnen sein könnte, katholische Priesterin werden und sagt das in aller Öffentlichkeit. Ruhig. Selbstverständlich. Lächelnd. Raubt mir damit den Schlaf, und wenn ich träume, dann zeigen meine Traumbilder Priesterinnen, Prophetinnen, weise Frauen und Göttinnen, wie wir sie kennen seit der Urzeit der Menschheit.

Ich bin eine Priesterin ohne Kirche. Als ehemalige Pfarrerstocher habe ich mich als Laienfrau in der Kirche, als gelernte Historikerin und Politologin und Berufsfrau im Journalismus seit meiner Begegnung mit Catharina Halkes auf den Weg der feministischen Theologie gemacht, der mich schliesslich zu einer nicht-mehr-christlichen Naturfrömmigkeit, zur Göttinnenbewegung und in eine eigenständige feministische Spiritualität geführt hat. Auf diesem Boden arbeite ich heute als Anbieterin nichtkonfessioneller religiöser Dienstleistungen. Oft habe ich nicht verstanden, mich sogar darüber aufgehalten, warum meine katholischen Freundinnen und Schwestern im Geiste ihrer Kirche, unter der sie so manifest leiden, die Treue halten. Für mich war der Exodus aus dem Haus der Kirche Zwinglis wichtig und richtig. Eine Catharina Halkes wollte ihn nicht. Eine Jacqueline Straub will ihn nicht. Und hat für sich recht damit. Ich verstehe, dass sie das will, worauf sie ein Recht hat. Und dafür kämpft. Ruhig. Selbstverständlich. Lächelnd. Das bewegt mich tief. Und ich wünsche ihr und mir, dass sie noch zu meinen Lebzeiten zur Priesterin geweiht wird. Ich reiche ihr die Hand in der Gemeinschaft derer, die sich im Dienst wissen von „Amor, che move il sole e l’altre stelle“ – jener Liebe, die die Sonne bewegt und die anderen Sterne (Dante).

Ursa Krattiger, Buchautorin, Politologin und Journalistin, reformierte Pfarrerstochter, die aus ihrer Kirche ausgetreten ist. Sie bezeichnet sich als «Priesterin ohne Kirche», die nichtkonfessionelle religiöse Dienstleistungen anbietet.

2 Gedanken zu „Offener Brief: „Priesterin ohne Kirche““

  1. Ihr offener Brief, Frau Krattiger, hat mich berührt. Selbstverständlich haben Sie das Recht, Ihren ganz persönlichen Glaubensweg zu gehen. Und gewiss können Sie auch so andern Menschen zum Segen werden! Vielleicht noch viel mehr und eben wieder ganz anders. Als Laien-Katholikin, die sich enrnsthaft mit der katholischen Kirche und allem Gewordenen in ihr seit 2000 Jahren, auseinandersetzt, sehe ich sehr viel Unchristliches in meinem eigenen Elternhaus „Kirche“. Wenn ich drin bleibe, darf ich vielleicht, vielleicht in manchen Dingen selbst auch den Weg ebenen helfen zu wichtigen und dringenden nötigen Reformen. Ich brauche nicht an die Kirche zu glauben, sondern vielmehr an das Wirken des Heiligen Geistes in ihr. Dies kann auch ein legitimer Grund sein, dass wichtige, geradezu prohetische Menschen trotz ihrem persönlichen Leiden an der Kirche nicht austreten und im Blick auf Jesus Christus das tun und vertreten, was ihnen richtig scheint. Alles Gute für Sie und Gottes reichen Segen!
    Ursula Brunner-Blöchliger

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  2. Liebe Ursa Krattinger,
    als ich 1983 mein katholisches Theologiestudium in Luzern begann, war Ihr Buch „Die perlmutterne Mönchin“ das erste Buch, das mir eine Tür geöffnet hat zum Thema „Frau und Kirche“. Ich erinnere mich noch heute an den Energieschub, den diese Lektüre ausgelöst und wochenenlang angehalten hat. Im wahrsten Sinne des Wortes habe ich da erfahren, dass Bewusstseinserweiterung auf allen Ebenen stattfinden konnte. dieses Buch zu schreiben, war priesterliches Wirken und hatte priesterliche Wirkung. Von daher freut es mich sehr, dass Sie sich selbst diesen Titel geben und ich nehme das Ihnen ab. Ich tue das auch für mich. denn am Ende meines Studiums sagte ich, dass ich Priesterin werden wollte, wenn ich könnte. Mitten in einem tiefen Konflikt mit einem Priester – während eines Kontemplationskurses im Jahre 1990 – bat ich um eine Antwort auf meine Frage: Ist dmeine Berufung nun ein Egotrip oder was ist das? Und ich bekam die Antwort, der ich heute noch vertraue: „Ich bin Priesterin!“. Seitdem verstehe ich alles, was ich tue, als priesterliches Wirken und als einen Beitrag zur Erneuerung von Kirtche.
    Ich bin in der Kirche geblieben und werde es weiterhin tun. Aber zur Zeit nimmt mein Zorn ob der Unbeweglichkeit meiner Kirche zu und ich bin achtsam dem, wohin er mich führen will.
    Herzlich und verbunden Hildegard Schmittfull

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