Geschickter Schachzug

Papst u KardinäleDie Enzyklika der vier Hände kann als geschickter Schachzug des Jesuitenpapstes Franziskus gewertet werden. Er erhält  durch die Betonung lehrmässiger Kontinuität mit seinem Vorgänger vermutlich eine umso grössere Freiheit, sein Pontifikat weiterhin in Stil, Kirchen- und Kurienkritik sowie einer Prioritätensetzung im Dienst der Armen im Sinne von Johannes XXIII. und dem Zweiten Vatikanum wohltuend abzusetzen.

 Von Urs Eigenmann

Als Enzyklika der vier Hände bezeichnete Papst Franziskus seine erste Enzyklika und erklärte, Benedikt XVI. habe eine erste Fassung einer Enzyklika über den Glauben schon nahezu fertig gestellt. „In der Brüderlichkeit in Christus übernehme ich seine wertvolle Arbeit und ergänze den Text durch einige weitere Beiträge“ (Nr. 7).

Besondere Eigenheit. Der Text beginnt mit dem Hinweis auf Jesu Aussage im Johannesevangelium, er sei das Licht der Welt (Nr. 1). Er endet mit der Bitte an Maria, sie möge uns lehren, mit Jesu Augen zu sehen, dass er Licht sei auf unserem Weg und dass dieses Licht in uns wachse bis zum Tag ohne Untergang (Nr. 60). Dazwischen wird erläutert, was als die Kernthese der Ezyklika bezeichnet werden kann: „Das Licht des Glaubens besitzt […] eine ganz besondere Eigenart, da es fähig ist, das gesamte Sein des Menschen zu erleuchten. Um so stark zu sein, kann ein Licht nicht von uns selber ausgehen, es muss aus einer ursprünglicheren Quelle kommen, es muss letztlich von Gott kommen“ (Nr. 4).

Die Enzyklika enthält bedenkenswerte Aussagen über den Glauben und dessen Licht, sie stellt deswegen aber entgegen der Einschätzung durch die Deutsche Bischofskonferenz noch keine „Wegmarke der Theologie“ dar. Besondere Beachtung verdienen die Ausführungen über den Götzendienst als Gegenteil des Glaubens (Nr. 13), der Hinweis, an Jesus zu glauben heisse, seinen Spuren zu folgen (Nr. 18), die Passagen über das Licht des Glaubens im Dienst von Gerechtigkeit, Recht, Frieden und Gemeinwohl, die Feststellung, der Glaube entferne nicht von der Welt (Nr. 51), lasse die Natur mehr achten (Nr. 55) und die Leiden der Welt nicht vergessen (Nr. 57).

Wovon nicht die Rede ist. Es ist aber auch darauf zu achten, wovon nicht die Rede ist. Von Gott heisst es zwar, er sei der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs (Nr. 8) und der Schöpfergott, der das, was nicht ist, ins Dasein ruft (Nr. 11; 35). Es fehlt aber ein ebenso deutlicher und ausdrücklicher Hinweis auf die zentrale Offenbarung des parteilich-befreienden Gottes der Geschichte in Ex 3 7f. Wohl ist von Christus als Mittelpunkt des christlichen Glaubens die Rede (Nr. 15), aber in den weiteren Ausführungen (Nr. 16-21) wird das Reich Gottes als Zentrum der Sendung Jesu nicht einmal erwähnt. Es fehlt die vom Vatikanum II vertreten Option für die Armen (GS 1). Die Armen werden lediglich im Zusammenhang mit Mutter Teresa erwähnt (Nr. 57).

Problematische Aussagen. Die Enzyklika enthält aber auch einige problematische Passagen. Zu diesen gehören u.a.: Das ungeschichtliche Beklagen des „Relativismus“ im Gegenüber zur „universalen Wahrheit“ (Nr. 25); die Qualifizierung  des „Dialog[s] mit der hellenistischen Kultur […] als zum Eigentlichen der Schrift gehör[end]“ (Nr. 41); die Hochstilisierung des Katechismus der Katholischen Kirche zum Grundwerkzeug, den ganzen Inhalt des Glaubens zu übermitteln (Nr. 46); die Gleichgewichtung aller Glaubensartikel (Nr. 48), die kaum vereinbar ist mit der vom Zweiten Vatikanum vertretenen „’Hierarchie’ der Wahrheiten der katholischen Lehre“ (UR 11), die „eine der wirklichen Grosstaten des Konzils“ darstellt (Rahner/Vorgrimler); die Betonung von Einheit der Kirche und Einheit des Glaubens, die sich fragen lassen muss, wie sie es mit der mit der biblischen Kanonbildung verbundenen „Kanonisierung einer Pluralität von Theologien“ (Pablo Richard) hält.

Priorität für die Armen. Bei der Präsentation der Enzyklika sprach Kurienerzbischof Gerhard Müller von einer glücklichen Fügung, dass der Text der Enzyklika der Feder zweier Päpste entstammt. Wer ihn lese „[…] kann – abgesehen von Unterschieden im Stil, in der Wahrnehmung und in der Schwerpunktsetzung – sofort die grundlegende Kontinuität der Botschaft von Papst Franziskus mit den Lehräusserungen von Benedikt XVI erkennen.“ Könnte die Enzyklika der vier Hände nicht ein geschickter Schachzug des Jesuitenpapstes Franziskus sein? Erhält er durch die Betonung lehrmässiger Kontinuität mit seinem Vorgänger nicht eine umso grössere Freiheit, sein Pontifikat weiterhin in Stil, Kirchen- und Kurienkritik sowie einer Prioritätensetzung im Dienst für die Armen im Sinne von Johannes XXIII. und dem Zweiten Vatikanum wohltuend abzusetzen?                                                                       

Dr. Urs Eigenmann ist katholischer Theologe und Mitbegründer des Luzerner Edition Exodus

 

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