Mit dem komplett überarbeiteten „Neuen Handbuch Armut in der Schweiz“ will die Caritas die Notlagen der 1 Millionen Betroffenen sichtbar machen.
Der kleine Raum des Polit-Forums im Käfigturm in Bern ist trotz des zeitgleich laufenden Fussballknüllers Schweiz -Argentinien bis auf den letzten Platz besetzt. Hugo Fasel, Direktor der Caritas Schweiz, beteuert denn auch die Wichtigkeit und Bedeutung der Überarbeitung des Neuen Handbuchs Armut in der Schweiz, das in einer ersten Fassung bereits im Jahr 2006 erschienen ist. Caritas hat die Armutsthematik zu einem ihrer Schwerpunktthemen gemacht und konnte im Lauf der letzten Jahre den Bund animieren, ein Aktionsprogramm für die Armutsbekämpfung in der Schweiz zu lancieren. Das Ziel von Caritas ist es, die hiesige Armut sichtbar zu machen. Und so lautete der Slogan des aktuellen Buchprojekts, „um die Armut zu bekämpfen, müssen wir die Gründe, die zur Armut führen, verstehen“. Gemäss den neusten Erhebungen des Bundesamtes für Statistik (BFS) sind in der Schweiz über eine Million Menschen von Armut betroffen oder leben knapp über der Armutsgrenze.
Zur Buchvernissage hat Caritas drei Referenten eingeladen. Bevor der Caritas-Direktor das Wort weitergibt, bringt Fasel die Problematik der Armut in der Schweiz nochmals auf den Punkt: „Nicht die AHV werde das Problem der Zukunft sein, sondern die Armut“. Die geladenen Gäste nicken zustimmend und leise Gitarrenmusik ertönt. Stéphane Rossini, Vizepräsident des Nationalrates und erster Redner, dankt Caritas. Der SP-Mann und Professor für Sozialpolitik und Sozialarbeit, streicht vor allem heraus, es sei den Caritas-Autoren gelungen, das Thema Armut in ihrem neuen Handbuch anschaulich und verständlich darzustellen.
CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer erzählt von ihrer persönlichen Geschichte. Als Kind sei sie und ihre Familie selbst von der Armut betroffen gewesen. Sie wisse darum, wie wichtig ein solches Handbuch im Kampf gegen die Armut sei. Heute ist Schmid-Federer Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit, und sie betont, dass sich der Diskurs über Armut in der Schweiz im Nationalrat deutlich verbessert habe. Das sei vor wenigen Jahren noch nicht der Fall gewesen. Noch vor wenigen Jahren wurde man belächelt, wenn man auf die Armut in der Schweiz aufmerksam machte.
Michèle Amacker ist Sozialwissenschaftlerin an den Universitäten Bern und Fribourg und forscht zum Thema Armut und Prekariat. Amacker hebt hervor, dass man sich getrauen müsse, hinzuschauen, denn auch in der reichen Schweiz herrsche existentielle Not. In vielen Familien bestehe eine finanzielle Notlage. Durch ihre Forschung wisse sie, dass viele alleinstehende Personen davon betroffen sind, die häufig auch kein soziales Netzwerk haben. Diese Menschen seien von der Gesellschaft ausgeschlossen.
Die Buchpräsentation wird abgerundet durch ein Gespräch mit Autor Carlo Knöpfel, der zusammen mit Claudia Schuwey das neue Handbuch komplett überarbeitet hat. Auf die Frage, was sich geändert habe seit der Herausgabe des ersten Buches im Jahr 2006, sagt Knöpfel, die Armut sei fassbarer geworden. Eine besonders gefährdete Gruppe seien Kinder, die in Armut aufwachsen. Sie haben ein hohes Risiko, selbst wieder in Armut zu leben. Dagegen will Caritas ankämpfen und postuliert eine gute Schulbildung, um diesem Risiko entgegenzuwirken. Knöpfel betont, dass die Armut in der Schweiz das Spiegelbild der Gesellschaft abbilde und dass man nicht die Armen, sondern die Armut bekämpfen müsse. Wieder nicken die Gäste zustimmend und applaudieren heftig. Judith Albisser
Claudia Schuwey, Carlo Knöpfel, Neues Handbuch Armut in der Schweiz. Völlig neu bearbeitete Auflage der Publikation „Handbuch Armut in der Schweiz (2006), Luzern 2014