Nach Tschernobyl und Fukushima: Experten für Zukunft ohne Atomenergie

Für eine Zukunft ohne Atomenergie: Jürg Stöcklin begrüsst die Zuhörerschaft in der Offene Kirche Basel. Für eine Zukunft ohne Atomenergie: Jürg Stöcklin begrüsst die Zuhörerschaft in der Offene Kirche Basel.

 

Von Cristina Steinle

TRAS_TschernobylFukushima Veranstaltung.Am 26. April jährte sich die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl zum dreissigsten Mal. Und leider ist es nicht das einzige traurige Jubiläum dieser Art, das die Weltgemeinschaft 2016 begeht. Fünf Jahre sind unterdessen seit dem Super-GAU in Fukushima vergangen. Anlässlich dieser beiden tragischen Jahrestage hat der Trinationale Atomschutzverband eine Veranstaltung „Für eine Zukunft ohne Atomenergie“ in der Offenen Kirche Elisabethen in Basel organisiert. Während der Mediziner Claudio Knüsli die verheerenden gesundheitlichen und sozialen Folgen aufzeigte, legte Energieexperte Hans-Josef Fell überzeugend die ökonomische Rentabilität erneuerbarer Energien dar.

Rund 100 Personen haben sich an diesem winterlichen Mittwochabend in der Elisabethenkirche versammelt. Die meisten können sich wohl noch gut an „Tschernobyl“ erinnern und viele von ihnen werden bereits vor vierzig Jahren gegen den Bau eines AKWs in Kaiseraugst demonstriert haben. Von diesen Erinnerungen erzählt auch Elisabeth Ackermann, Grossrätin und Regierungsratskandidatin der Grünen Basel-Stadt, welche die Vortragsreihe beginnt. Ackermann warnt vor den Strategien der Atom-Befürworter, die damals nach Tschernobyl wie heute nach Fukushima die gleichen sind: Beschwichtigen, Verharmlosen und auf ein kurzes Gedächtnis der Bevölkerung hoffen. Der Kampf gegen Atom sei noch nicht vorbei, schliesst sie ihre Rede. Und untermauert diese Aussage mit einem schockierenden Zitat des BaZ-Chefredaktors Markus Somm: „Fukushima fand nur in unseren Köpfen statt.“

Mutter mit ihrem Kind, das nach dem Tschernobyl-GAU an Leukämie erkrankte. (Foto: Claudio Knüsli) Mutter mit ihrem Kind, das nach dem Tschernobyl-GAU an Leukämie erkrankte.   (Foto: Claudio Knüsli)

Nicht von vergangenen Katastrophen soll hier die Rede sein, sondern von nach wie vor aktuellen. Das verlangt Claudio Knüsli, Krebsspezialist und früherer Präsident der Schweizer Ärzte für soziale Verantwortung und gegen den Atomkrieg (IPPNW). Sowohl in Tschernobyl wie auch in Fukushima – wo noch immer täglich rund 400’000 Liter verstrahltes Wasser ins Meer fliessen – geht die Katastrophe weiter. Arzt Knüsli legt den Fokus auf die Opfer der nuklearen Katastrophen. Wie viele sind es? Zuverlässige Zahlen gibt es nicht. An den Folgen der Reaktorexplosion in Tschernobyl sterben auch heute noch Menschen – rein rechnerisch müssten es sogar in der Schweiz 400 Personen sein, die einem Krebsleiden erlegen sind, das durch radioaktive Strahlung aus Tschernobyl verursacht wurde! Die Zahl der an Krebs erkrankten liegt doppelt so hoch (siehe Fotostrecke oben). Immer wieder sei zwar von den gesundheitlichen Schäden der radioaktiven Strahlung die Rede – insbesondere von Krebs – doch gerieten die sozialen und psychischen Folgen allzu oft aus dem Blickfeld. Laut Mediziner Knüsli führten Atomkatastrophen zu Entwurzelung, zu Arbeitslosigkeit, zu zerrissenen Familien und dadurch oft auch zu psychischen Erkrankungen. Dass dies die Wirtschaft einer Gesellschaft enorm belasten kann, müsse nicht weiter erläutert werden, erklärt Claudio Knüsli.

Hans-Josef Fell ist vom baldigen wirtschaftlichen Ende der Atomenergie überzeugt. Hans-Josef Fell hält das Ende der Atomenergie nur für eine Frage der Zeit.

Ungleiches Paar. Dass Wirtschaftlichkeit und Atomkraft anders als gebetsmühlenartig behauptet eben nicht zusammengehören, zeigt der dritte Redner des Abends, Hans-Josef Fell, in seinem Vortrag eindrücklich auf. Fell war Mitglied des Bundestags (Bündnis 90/Die Grünen) und ist heute – unter anderem – Präsident der Energy Watch Group. Von Anfang an gelingt es dem charismatischen Deutschen, das Publikum in seinen Bann zu ziehen und mit auf eine Reise quer durch die Themen Erneuerbare Energien, Atomausstieg, Energiepolitik, Energiewirtschaft und nukleare Sicherheit zu nehmen. (siehe Fotostrecke unten). Dabei deckt er im Eilzugstempo eine propagandistische Lüge nach der anderen auf. Von einer nuklearen Renaissance beispielsweise könne bei weitem nicht die Rede sein, ist Fell überzeugt. Den Versuch, neue Atommeiler aus dem Boden zu stampfen und alte am Leben zu erhalten, bezeichnet er als letztes Aufbäumen vor dem Untergang der Atomindustrie, zumal die meisten AKWs und ihre Betreiber bereits vor ihrer Fertigstellung insolvent seien. Den Schweizern legte Fell, der im Jahr 2000 den Entwurf des Gesetzes für Erneuerbare Energien im Bundestag eingebracht hat, ans Herz, den Ausstieg aus fossilen und atomaren Investments ernst zu nehmen. Denn während der globale Ausstieg aus solchen Investitionen im letzten Jahr um das 50-fache gestiegen sei, sei in der Schweiz nach wie vor die Meinung verbreitet, dass mit dem Umstieg auf Erneuerbare Energien automatisch wirtschaftliche Atomkraft Widerstand in OKE 077Verluste in Kauf genommen werden müssten. Fell ist überzeugt von der Energiewende, sie sei nur noch eine Frage der Zeit. Sogar das „Global Cooling“ scheint ihm möglich. Das Publikum ist begeistert, der Funke ist gesprungen und in den Herzen der Zuhörerinnen und Zuhörer scheint ein Feuer und eine Lust entfacht, sich (weiterhin) gegen die Atomenergie einzusetzen.

Einer, der ebenfalls seit vielen Jahren in Bundesbern für die Energiewende kämpft, ist Beat Jans, Nationalrat der SP Basel-Stadt. Die Rede des frisch gebackenen Präsidenten der atomkritischen Schweizer Energiestiftung gab einen ernüchternden Einblick in die Schweizer Energiepolitik.. Er kann sein Unverständnis für die Unbeweglichkeit des Schweizer Parlaments jedoch nicht verbergen.  Dennoch ist Jans  optimistisch. Voraussichtlich im November 2016 hat das Volk das letzte Wort, wenn die Atomausstiegs-Initiative zur Abstimmung kommt.

Der Atomausstieg – eine lange Leidensgeschichte, von deren Ende jedoch alle vier Redner überzeugt sind. Und während wohl alle Anwesenden darauf hoffen, dass dieses Ende möglichst bald kommen möge, endet der Abend stimmig mit den atomkritischen Chansons des Liedermachers Ärnschd Born und seiner Band.

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