Alles redet über den Wolf

Doch wer hört ihm zu? Die Schweiz stimmt in rund einer Woche über die Revision des Jagd- und Schutzgesetzes ab. Dabei sorgt vor allem einer für heisse Köpfe: der Wolf. Denn mit der grössten Gesetzesneuerung kann es ihm an den Kragen gehen. Text: Cristina Steinle


Bilder: Peter Dettling

Einer, der sich dezidiert auf die Seite des Wolfs stellt, ist Peter Dettling. Der Bündner Wildtierfotograf beobachtet und dokumentiert seit 16 Jahren dieses menschenscheue Tier, welches vor rund 25 Jahren wieder in die Schweiz zurückgekehrt ist.

„Die einseitige Berichterstattung gewisser Medien macht mich wütend. Ihr Interesse gilt vor allem den Bildern von Bauern mit ihren gerissenen Schafen.“

Der mediale Wolf

Peter Dettling freut sich über die Anfrage zum Gespräch, auch wenn – oder gerade weil – sein Verhältnis zu den Medien ein gespaltenes ist: „Die einseitige Berichterstattung gewisser Medien macht mich wütend. Ihr Interesse gilt vor allem den Bildern von Bauern mit ihren gerissenen Schafen. Darüber, dass die Risse in keinem Verhältnis zu anderen Todesursachen wie Krankheiten, Blitzeinschläge oder Felsstürze stehen, wird oft nur nebenbei erwähnt, falls überhaupt. Und dass man auf politischer Ebene seit zwanzig Jahren debattiert, aber kaum weitergekommen ist, ist einfach nur peinlich.“ Der Wolf zeige wie kein anderes Tier die Schwächen unserer Gesellschaft. Anstatt in Einklang mit der Natur, stelle sich der Mensch mit seinen Bedürfnissen noch immer über sie. Dabei, so ist Dettling überzeugt, funktioniere das Nebeneinander von Wölfen und Menschen, wenn man denn nur wolle. Ihm sei jedoch klar, dass viel in den Schutz der Schafherden investiert werden muss. „Aber es ist doch völlig normal, dass jene, die Tiere haben, auch auf diese aufpassen. Und sie nicht einfach schutzlos herumlaufen lassen“, stellt er verständnislos fest.

Peter Dettling ist vor 18 Jahren nach Kanada ausgewandert. Die kanadische Wildnis bot ihm, was er in der Schweiz nicht mehr fand: unendliche Weiten, Bären und – Wölfe. Seit sich im Calanda-Massiv ein Wolfsrudel angesiedelt hatte, kehrt er regelmässig in seine alte Heimat zurück, um das Leben dieser Wolfsfamilie zu beobachten und sie zu fotografieren. Entstanden ist unter anderem das Buch „Wolfsodyssee“ oder auch der Film „Einmal um die Sonne mit den Calanda Wölfen“.


Bild: Peter Dettling

 

Verständnis für die Familienstrukturen der Wölfe

Immer wieder betont der engagierte Fotograf, wie wichtig es sei, das Verhalten der Wölfe zu studieren und dieses Wissen in den Umgang mit ihnen einzubeziehen. Das neue Jagdgesetz könnte solche Bestrebungen durchqueren. Denn es erlaubt den Kantonen, die Wolfsbestände vorausschauend zu regulieren. Jungwölfe dürfen dann zum Abschuss freigegeben werden, wenn sie beispielsweise Schafherden gefährden. Doch: wer sieht voraus, ob ein Rudel tatsächlich zuschlagen wird und in welchem Masse? „Das Gegenteil ist der Fall“, ist Dettling überzeugt. „Es ist eine Illusion, dass man mit Abschüssen Schafrisse verhindert. Denn wenn man die Familienstruktur auseinanderreisst, können die verwaisten Jungtiere, ihrer Vorbilder beraubt, vermehrt Schaffe reissen als es sonst der Fall wäre.“ Ausserdem würden sich Wolfsrudel von selbst regulieren, da sie extrem territorial sind und keine fremden, zusätzlichen Wölfe in ihrem Revier dulden. „Wir brauchen uns also nicht vor zu vielen Wölfen zu fürchten.“


Bild: Peter Dettling

 

Fragwürdige Wolfabschüsse

Laut der Stiftung KORA, die für den Bund die Überwachung der Raubtierpopulation vornimmt, leben zurzeit rund achtzig Wölfe in acht Rudeln in der Schweiz. 2012 war es noch ein Rudel und insgesamt gegen 15 Wölfe. Schon das heutige Gesetz erlaubt den Abschuss von Wölfen. So wurde vor einem Jahr das Beverin-Rudel um fast die Hälfte dezimiert. Die Stiftung KORA schreibt zu den Abschüssen: „Die häufigste bekannte Todesursache für Wölfe in der Schweiz ist der bewilligte Abschuss auf der rechtlichen Grundlage (Konzept Wolf Schweiz). Dieses sieht vor, dass für Tiere, welche innert eines Zeitraumes eine gewisse Anzahl von Nutztierschäden verursachten, eine Abschussbewilligung erteilt werden kann. Da jedoch Wölfe in freier Wildbahn nicht individuell unterschieden werden können, wird auf diese Art nicht unbedingt das schadenverursachende Tier entfernt.“ Es scheint, als ob die Regulierung von Wölfen durch Abschüsse nicht wirklich zielführend sei. Zusätzlich problematisch wird die unterschiedliche kantonale Umsetzung des neuen Jagdgesetzes – gerade bei einem Tier, welches lange Wege unter seine Pfoten nimmt und keine Kantonsgrenzen kennt.


Bild: Peter Dettling

„Es ist nur eine Einstellungssache. Und es wird Zeit, dass wir aufbrechen in eine Welt ohne Hetze, Ignoranz und Speziesismus“

Herdenschutz statt Hetze

Nur rund 6 % aller Schafsabgänge auf Schweizer Alpweiden werden durch Grossraubtiere verursacht. 2019 zählte die Stiftung KORA 420 als Wolfsrisse entschädigte Nutztiere. Dabei heisst mehr Wölfe nicht gleich mehr Risse. So gab es in den Jahren 2016–2018 im Kanton Wallis gut doppelt so viele Schäden an Schafen als im Kanton Graubünden – obwohl es in Letzterem faktisch mehr Wölfe und mehr Schafe gab. Etwa 90 % der Schäden an Nutztieren passieren in der Schweiz auf Weiden ohne Herdenschutzhunde.

Ohne Frage, der Tod von Schafen, besonders wenn es sich dabei um seltene Rassen handelt, ist schmerzhaft. Umso wichtiger ist es, diese einerseits adäquat zu schützen und andererseits das Verhalten der Wölfe noch intensiver zu studieren. „Es ist nur eine Einstellungssache. Und es wird Zeit, dass wir aufbrechen in eine Welt ohne Hetze, Ignoranz und Speziesismus“, schliesst Peter Dettling das Gespräch.

 

Hinweis: Im April 2020 veröffentlichte Peter Dettling das Buch „Wolfsodyssee“. Auf seiner Website  stellt der Bündner für kurze Zeit seinen Film „Einmal um die Sonne mit den Calanda Wölfen“ gratis zur Verfügung und nimmt Stellung zum neuen Jagdgesetz.

Das Porträt über Peter Dettling erscheint in der gedruckten Ausgabe des aufbruch am 30. September 2020.

Bilder: Peter Dettling

1 Gedanke zu „Alles redet über den Wolf“

  1. Peter Dettling ist ein sehr glaubwürdiger und kompetenter Kommentator zum Jagdgesetz. Ich hoffe, dass solche differenzierenden Artikel beigetragen haben werden für eine Ablehnung der einseitig mensch- und geldzentrierten Gesetzgebung. Und dass seine Vision auch in der kleinräumigen aber reichen Schweiz zur Realität wird.

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