Auf dem Weg nach Emmaus und zurück

Eine berührende Geschichte ist es, von der der ehemalige Klinikseelsorger Matthias Loretan berichtet: Es geht um Frau M., die das Bild gemalt hat, mit dem Loretans Gedicht «Inter-religiös glauben» in der Ausgabe Nr. 261 illustriert worden war.

Von Matthias Loretan

Am Montag in der Karwoche besuchte ich Frau M.. Sie hatte das Bild gemalt, das ich zur Illustration meines Gedichts „Inter-religiös glauben“ in der Zeitschrift aufbruch auswählte (s. Foto). Ich brachte ihr ein kleines Geschenk. Eine Viertelstunde lang sassen wir auf den Sesseln im Empfangsraum der Langzeitstation. Sie hatte noch nie so viel von sich erzählt. Dass sie ein Einzelkind sei. Dass zuerst die Mutter und später der Vater gestorben wäre. Sie selbst hätte jetzt ein Einzelzimmer, weil die langjährige Patientin, mit der sie das Zimmer geteilt hatte, gestorben sei. Sie vermisse sie sehr. Aber sie freue sich auch über den eigenen Raum. Sie wäre Assistentin in einer Arztpraxis gewesen. Bis dann die Krankheit immer stärker geworden sei.

Ich kannte Frau M. von den Gottesdiensten her, die alle zwei Wochen stattfanden. Es waren immer nur kurze Begegnungen. Ich nahm sie wahr als eine aufmerksame, warmherzige Person, auch etwas scheu und ausweichend.

Über das Bild mit dem österlichen Gang nach Emmaus kamen wir miteinander ins Gespräch. Im Coron-Evangelium zu Weihnachten 2020 (ein Projekt während der Corona-Pandemie, Anm. Red.) tauchte ihr Bild dann wieder auf, diesmal standen die drei Figuren für die drei Könige. Und im Umfeld des Gedichtes «Inter-religiös glauben» waren es drei Figuren, die ohne weitere Festlegung auf einen gelb leuchtenden Hintergrund unterwegs waren. Die eine davon als Lichtgestalt.

Über die Publikation ihres Bildes im aufbruch freute sie sich. Später trug sie die Zeitung zusammen mit dem kleinen Geschenk in ihr Zimmer. Sie kam längere Zeit nicht zurück. Dann brachen wir zur Gymnastik auf. Frau M. wollte durch den Kellergang, damit sie die Winterjacke nicht anziehen müsse. Wir kamen etwas verspätet im Saal an, wo die Übungen bereits begonnen hatten. Sie wurde freundlich aufgenommen und bewegte sich zum letzten freien Stuhl im Kreis. Von dort aus winkte sie zur Tür hin, die ich hinter mir schloss. Ein paar Tage später erfuhr ich, dass Frau M. kurz nach unserer Begegnung gestorben sei.

Inter-religiös glauben

Warum fühle ich mich im Inter-Religiösen wohl?
Weil Schauen bunter wird
Und Glauben leichter fällt
…und ich mich nicht entscheiden muss

Warum fühle ich mich im Inter-Religiösen gut?
Weil die Zufälligkeit des Eingeborenen mir nicht zum Vorwurf wird
Und ich doch tiefer im Gewachsenen ankomme
… und ich mich entscheiden kann

Warum fühle ich mich im Inter-Religiösen aufgehoben?
Weil Glauben auf viele Art authentisch sein kann
Und Beten möglich bleibt
… und ich schon geantwortet habe

Warum fühle ich mich im Inter-Religiösen geborgen?
Weil ich lernte, a-theistisch zu glauben
Und mein Glauben an was auch immer nur eine Krücke ist
… und die Scheidung der Geister nachhinkt

Warum fühle ich inter-religiös?
Weil Gott immer grösser ist
Und ich da sein will, wenn er kommt
Warum glaube ich?
Weil etwas in mir ist
Ohne das ich nicht bin
Ich will antworten
auf den Zufall
dankbar

Matthias Loretan

3 Gedanken zu „Auf dem Weg nach Emmaus und zurück“

  1. Fragen:
    Die einführende Geschichte ist schön und hoffnungsfroh und das Gedicht öffnet Räume. Nur, mir erschließt sich nicht, was „interreligiös“ meint, ich nehme keinen definierten Inhalt wahr, allenfalls eine Methode im Sinne einer (Aus-)Rede, „dass der Weg das Ziel“ sei.
    Dieser Zustand ist philosophisch unbefriedigend; denn ich kann mich damit niemandem verständlich machen, wo Religion dem Inhalt nach doch vernünftig sein muss und somit verhandelbar. Oder ist „interreligiös“ frei von „Religion“ im Sinne eines Bekenntnisses?

    Antwort M. Loretan
    Wenn ich interreligiös glaube, verzichte ich auf theologisches oder philosophisches Besserwissen. Weder spiele ich religiöse Inhalte gegeneinander aus, noch baue ich eine neue interreligiöse Meta-Religion auf. Mit wertschätzender Haltung begegne ich als religiös verwurzelter Mensch zum Beispiel in der Seelsorge Menschen mit einer je anderen, individuell geprägten Spiritualität. Ihre religiösen Inhalte und Rituale verstehe ich als symbolische Einsatzzeichen, die eine Resonanz schaffen, in der Menschen sich auf etwas unverfügbar Göttliches einlassen und daraus Vertrauen für die Gestaltung ihres Lebens schöpfen können. Als Seelsorger respektiere ich die spirituelle Haltung meiner Gesprächspartner:innen als ihr existenzielles Geheimnis. Nur wenn sie es wollen, suchen wir nach Möglichkeiten, wie sie ihre spirituellen Ressourcen für anstehende praktische Lösungen nutzen können.

    Antworten
    • Zunächst danke ich für die Antwort, sie ist hinsichtlich des Umgangs mit anderen Menschen so, wie ich vermutet habe; bin ehrenamtlich in Sterbebegleitung involviert.
      Der Zusammenhang von „interreligiös“ zu „Religionen“ scheint so gegeben, dass keinerlei Beziehung mit Religion, genauer mit verfassten Religionen, besteht. Herausgehoben ist der gute Wille, mit anderen Menschen sich vorbehaltlos einzulassen.
      Das tiefere Problem besteht meines Erachtens dann darin, ob ich mit anderen nach Wahrheit suche, nach objektiven Werten, oder ob ich alles fahren lasse, zuletzt nicht weiß, wo ich selber stehe.
      Eines aber scheint mir gemäß der „Antwort“ von Herrn Loretan nicht zu gehen, nämlich dass ich „interreligiös glaube“ – Zitat: „Wenn ich interreligiös glaube, verzichte …“.

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  2. Könnte es sein, dass es da eine inspirierende Vorlage gab?
    https://www.zhref.ch/intern/shop/poster-unterwegs-nach-emmaus

    Guten Tag Herr Wupper

    Im Klinikgottesdienst zu Ostern 2019 gestaltete ich eine Mediation zum Gemälde „Emmaus“ der Künstlerin Janet Brooks-Gerloff. Mit diesem Bild lud ich auch zum Gottesdienst ein. Ein paar Monate später schenkte mir die Patientin M. das farbige Bild, das sie nach der Vorlage von Janet Brooks Gerloff angefertigt hatte.

    Matthias Loretan
    Ehemaliger Psychiatrieseelsorger

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