Aufbruch zur Armut

Trotz erdrückender Übermacht der Bischofskirche von Papst Innozenz III. traten Klara und Franz von Assisi mit ihrer Armutsbewegung einen markanten Neuaufbruch los. Fragen an Reiseleiter Michael Bangert

Bild: WWW.WANDERLUSTSTORYTELLERS

aufbruch: Die aufbruch-Kulturreise führt 2018 nach Assisi, dem Wirkungsort von Franz von Assisi und Klara, seiner Begleiterin. Mit diesen beiden Persönlichkeiten ist im 13. Jahrhundert ein markanter Aufbruch der Christenheit verbunden. Worin bestand dieser Aufbruch?

Michael Bangert: Ein wesentlicher Teil dieses Aufbruchs basiert auf der „Entdeckung“ der Menschheit, der Humanitas Jesu. Diese spirituelle „Entdeckung“, die die Bewegung von Franz und Klara mit anderen Bewegungen teilt, ist die Grundlage für den neuen Aufbruch. Man fragt sich plötzlich, wie hat der Mann aus Nazareth gelebt, wie war er gekleidet, in welchem historischen Umfeld hat er gelebt? Dabei kommt man immer wieder zu der Antwort, dass es sich bei Jesus von Nazareth um einen anspruchslosen Menschen gehandelt hat, der sich ganz auf seine himmlische Abkunft verlässt und der in der Welt arm gelebt hat. Folglich versucht man arm zu leben wie er, aber nicht mit heruntergezogenen Mundwinkeln, sondern mit einer grossen Freude an der Schöpfung, die verbunden ist mit einer grossen Heiterkeit und Poesie der Frömmigkeit.

Was war neu am Aufbruch zur Armut?

Radikal neu an diesem Aufbruch war, dass der Orden, für den die heilige Klara steht, der einzige Orden in der katholischen Tradition ist, der das Recht hat, nichts besitzen zu müssen. Diese atemberaubende Radikalität wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die finanzielle Absicherung als notwendige Voraussetzung bei allen anderen Ordens- und Klostergründungen gewährleistet sein musste. Franz von Assisi hat in dieser Grundhaltung der Armut, der Bescheidenheit und Demut eine grosse Bewegung in Gang gesetzt; zunächst nur unter seinen männlichen Zeitgenossen, die erstaunlicherweise aber quer durch alle Schichten der Bevölkerung verläuft. Dazu gehörten auch Leute von Rang und Namen wie etwa der hochgerühmte Jurist Bernard da Quintavalle.

Was war der historische Kontext des Aufbruchs damals?

Der damalige Papst Innozenz III. war fraglos der mächtigste Mann seiner Zeit. Er regelt in der westlichen Christenheit fast alles. Zugleich merkt dieser omnipotente Papst, dass er trotzdem das System nicht steuern und zusammenhalten kann. Seine Bischofskirche bricht zusammen – zuerst im Traum, mehr und mehr auch real. Im Traum erscheint ihm ein kleiner, schwacher Mann, der diese Kirche stützt. In franziskanischer Tradition wird in diesem Mann Franziskus gesehen. Wir haben es gleichzeitig also mit der grössten Machtentfaltung eines Papstes zu tun, anderseits mit einer Bewegung, die darauf setzt, keine Macht zu haben.

Kann dieser Aufbruch-Prozess, den Franziskus und Klara lostraten, als Zäsur in der Glaubensgeschichte verstanden werden?

Ja und zwar in vielerlei Hinsicht: das Christusbild verändert sich im 13. Jahrhundert. Man sieht nun auch den armen und den ohnmächtigen Christus. Es entwickelt sich die geistliche Idee vom nackten Christus, dem man nachfolgen will. Damit verknüpft ist die Idee vom wehrlosen Christus, so dass der Gedanke von Grösse, der „Majestas Christi“ mehr und mehr zurücktritt. Damit geht theologisch und glaubensmässig die Entwicklung einer neuen Frömmigkeitsform einher: die Weihnachtsfrömmigkeit. Sie stellt die Krippe ins Zentrum, das Jesuskind kommt ungeschützt in diese harte Welt. Das scheint mir auch für Frauen damals von grosser Bedeutung gewesen zu sein. Denn diese Spiritualitätsgruppe, die sich zunächst um Klara bildet, entfaltet eine ganz eigene, selbständige Kraft: sie schafft es, anders als die Männer um Franziskus, ihr Leben ganz und gar unabhängig von äusserem Besitz zu organisieren. Dieser Aufbruch wirkte sich auch auf die Theologie aus.

Wo können die Teilnehmenden diesem Aufbruch in Assisi begegnen?

Zum Beispiel in Fonte Colombo oder in Greccio, wo man die ursprünglichen Formen von Franziskus‘ Lebensweise noch gut erkennen kann. Die atemberaubende Schönheit der umbrischen Berge, die Assisi umgibt, atmet quasi diesen epochalen Aufbruch, den Franziskus und Klara gelebt haben. Die arme Lebensweise manifestiert sich zudem etwa auch in den Carceri, der Einsiedelei, wo Franziskus viel Zeit verbrachte. Im Gespräch mit Schweizer Franziskanern und Franziskanerinnen gibt es die Gelegenheit, über ihren Alltag und ihr Ordensleben zu sprechen. Dabei werden wir sehen, wie diese franziskanische Idee der Armut nachwirkt.

1 Gedanke zu „Aufbruch zur Armut“

  1. Danke. Franziskus verkörpert für mich Genügsamkeit und zeigt uns den Weg zur Erdverträglichkeit; und zum Respekt für das Tier. Er war immer mein liebster Heiliger – nicht nur, weil ich am 4.Okt.Geb. habe …

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