Aus der Idee für eine Buchrezension wird ein interreligiöses Experiment. Die aufbruch-Redaktorinnen Anna K. Flamm und Amira Hafner-Al Jabaji sind Gebetsimpulsen unter anderem zum Thema Wasser, Im Morgengrauen und Nacht ausgehend vom Buch der Exerzitienleiterin Lisa F. Oesterfeld «Beten mit dem Bleistift» gefolgt. Was sie dabei erlebt haben, ist in der eben erschienenen Aufbruch-Nummer nachzulesen. Hier sind einige der entstandenen Texte.
Unter allen eingehenden Online- Kommentaren zum Beitrag im Heft verlosen wir 5 Exemplare des Buches. (Frist 10. April)
Wasser
Sonnenstrahlen tanzen auf den leichten Wogen des Meeres, das in kleinen Wellen rauschend am Strand bricht. Kinderstimmen sind zu hören. Sie bauen Burgen aus Sand und wagen sich immer mal wieder weiter vor, lassen sich fasziniert etwas vom Wasser erfassen, um dann zurück zum sicheren Strand in den Arm der Eltern zu rennen. Ich sitze auf einem kleinen Steinsteg, lasse die Füße ins Wasser baumeln und mich vom Glitzern des Wassers bezaubern. Es ist türkis und klar. Ein wohliges Sommergefühl stellt sich bei mir ein – auch wenn es eigentlich schon Spätherbst ist. Ich blicke hinaus aufs offene Meer mit all seinen wunderbar blauen Farbschattierungen. Möwen sind zu hören und ein Mix aus Sonnencrème, Salzwasser und Leichtigkeit liegt in der Luft. Die tänzelnden Sonnenstrahlen laden dazu ein, ins Wasser zu springen, also: nichts wie rein mit dem Schnorchel! Steine, Fische, Pflanzen. All das birgt der Blick unter die Oberfläche – eine neue, ganz ruhige Welt tut sich auf. Schön ist sie. Bunt und mannigfaltig. Überhaupt fühlt sich die Bewegung im Wasser leicht an. Mein Körper schwebt mit den Wellen, anstrengungslos. Ich lasse mich gerne treiben, getragen von der Bewegung des Wassers, das mir mit jedem Lichtstrahl, der sich in ihm bricht, zuzuzwinkern scheint: Herzlich willkommen, schön, dass du da bist! (Anna K. Flamm)
Als Kind war ich wasserscheu. Geplanschte im Schwimmbad mochte ich nicht. Spritzer empfand ich als Bedrohung. Wasser, das in meine Nase drang und ich in Panik hochzog und ich dann japsend auftauchte, brachte mich zum Weinen. Meine erste Begegnung mit Meerwasser war im wahrsten Sinne des Wortes umwerfend und bitter: Voller Vorfreude und Unkenntnis ins Nass rennend, warf mich eine Welle sogleich um und umspülte mich mit Salzwasser, dass es mich vor Ekel schüttelte. Beim Familienpicknick am Fluss, blieb ich in sicherer Entfernung zum gurgelnden Strom, während meine Geschwister knietief im Wasser wateten und mit herumliegenden Steinen Staudämme bauten. Im Wasser zu sein, mochte ich nicht, schon gar nicht wenn es kalt und unkontrollierbar war. Hingegen kann ich stundenlang auf Gewässer, stehende und fliessende, blicken und mich dabei in meditative Tiefen ziehen lassen. Alles ist im Fluss… An nichts Irdischem festhalten, ein Gemurmel, ein Geplätscher und Gegluckse, … so tiefgründig und gleichzeitig so bedeutungslos. Wie selbstverständlich für mich die Existenz von Flüssen und Seen in meiner Umgebung sind. Aus wie vielen Rinnsalen, Bächen und Flüsse Wässer zu einem Strom zusammenfliessen. Wie sich ihre einzelnen Herkünfte im grossen Ganzen auflösen, völlig unbedeutend werden. Dass es den Kreislauf von Regen, Verdunstung und wieder Regen braucht, damit alles Leben Bestand hat. Wie weise dieses System zusammengesetzt ist. Es bringt Ruhe in mein Herz, dass nicht wir Menschen es erschaffen haben, und dass wir nicht darüber verfügen. Ich kann mich getrost darauf verlassen, dass al-Ḫāliq, al-Musawwir, ar-Razzāq, al-Ḥakīm, al-Mubdī, al-Muhīy, es zu unserem Nutzen so bestimmt hat und die Macht darüber hat. (Amira Hafner-Al Jabaji)
Morgengrauen
Augen auf
Ein neuer Tag
Schlaftrunken frage ich mich:
Wird es ein guter?
Körper aufrecht
Schritt für Schritt
Ein Weg entsteht
Gewohnt oder neu?
Sinne öffnen
Für Bilder, Düfte, Menschen, Töne
Eindrücke erwachsen aus Stunden zum Tag
Und ich mit ihnen zu mir.
(Anna K. Flamm)
Noch im Tiefschlaf und bei völliger Dunkelheit weckt uns Vater, flüsternd mahnend, es sei Zeit zum Aufstehen, Zeit für Suḥūr. Sofort verlassen wir unsere warmen Betten und tapsen geblendet vom Licht der Lampe im Gang zum Küchentisch. Es ist halb vier Uhr morgens, und der erste Ramadan, der erste Fastentag. Dann essen wir ausgiebig, die ganze Familie sitzt gemeinsam am Tisch. Die Zeit drängt, denn zu einem bestimmten Zeitpunkt muss das Essen beendet sein, und das Fasten beginnen. Dann, wenn draussen ein weisser Faden von einem schwarzen Faden unterscheidbar wird. Ich brauche Jahre und einige Physikstunden um zu verstehen, dass die Dunkelheit Schwarz und Weiss verschluckt und ununterscheidbar macht und erst ein bestimmter Grad an Helligkeit die beiden wieder erkennbar werden lässt. Dann folgt «Salat al-fadschr» Das Morgengebet, das kürzeste aber gefühltermassen intensivste Gebet von den fünf rituellen, ganz besonders im Ramadan. Fadschr wird oft mit Morgenröte, oder Morgendämmerung übersetzt, nicht aber mit Morgengrauen, obschon «grau» vielleicht der Bessere Bezug zur Unterscheidbarkeit von Schwarz und Weiss wäre.
Heute, als Erwachsene, gehe ich nach «Fadschr» nicht mehr zurück ins Bett, sondern setze mich an den Schreibtisch und arbeite. Es sind produktive Stunden und von einer Friedlichkeit und Stille, wie es sie den ganzen restlichen Tag nicht mehr gibt. Der erste Vogel bekommt die grosse Bühne als rufe er den «Aḏān». Die gefiederte Schar folgt ihm etwas später – eine laut singende, zwitschernde Gemeinschaft. Obschon Der Begriff Morgengrauen/ Morgenröte eine optische Beschreibung ist, konzentriere ich mich in den frühen Morgenstunden viel mehr auf der Wahrnehmung akustischer Reize. (Amira Hafner-Al Jabaji geschrieben am 13.02. 2023 um 7 Uhr im Morgengrauen)
Nacht
Dunkel, Ruhe, Gang raus, Rückzug, Lampen, Mond und Stern, frische Luft, Lichter, kühler, langsamer, Decke, Bett, Rückblick, Geborgenheit, Stille, Nebel, Angst, Unsicherheit, Entspannung, lesen, Zeit haben
Dunkel legt sich
Wie Samt auf die Erde
Umhüllt sie
Dämpft, was laut
Nimmt Hartem seine Spitzen
Mond und friedliche Stille
Wiegen die Welt
In den Schlaf
Guten Abend
Gute Nacht –
Sorg dich nicht
ER lässt dir
Mit jedem Stern
Ein Lichtlein brennen.
Hab keine Angst.
(Anna K. Flamm)
An Dir werde Ich
(Dem Absoluten im anderen Menschen begegnen)
***
Durch den Schneematsch, fast mehr Wasser als Schnee, nebeneinander. Oder auch zusammen, ein gemeinsames Nebeneinander. Um uns Umbau, grau im Grau. Ein paar Orte, die mühsam Alltag bilden. Jeder Tag singulär, eine einzige Gegenwart, geteilt nur durch die Nacht.
Unterbrechung. Weg, einfach weg, aber kein Ort als diese Zeit, das Jetzt unfliehbar. Du unternimmst keinen Versuch, ehrlich lebst du dich. Also wir; für mich du, weil mein Ich erträglich wird. Wir gehen weg von da, wo ich nicht kann, zu dir und zu mir, wie ich kann.
Angekommen, von der Nachricht an, möglicherweise. Erträumt und gelebt. Meine Wirklichkeit zwischen Sein und Nichtsein, Verlorensein und Hoffnung. Du bist keine Verzweiflung, jedenfalls das Gegenteil. Irgendwie. In einem Hinterhof nach einer Strecke.
Ruhig und still, kühl und verlassen gegenwärtig, aus der Zeit, wie eben alles. Niedrig, aber geborgen, ohne Bild, als hättest du mehr gemalt als nur die Buchstaben. Vor dem Eintreten, auf deiner Tür. Das Wasser mit hinein.
Nicht besonders hell, schwach. Ein Rollo, beschützt von Vorhängen. Warme Farbe einer Lampe, dabei bist du so Licht für mich. So Dunkel, dass ich mit dir sterben könnte. Du sagst dagegen, so schwarz du auch bist. Sprichst von der Dunkelheit, die der Tod nicht durchdringt.
Versuchen, das Leben zu lernen. Wo Worte sind. Menschen missen. Eine endliche Sehnsucht, hoffnungsvoll ohne Glaube, mindestens getragen. Vielleicht liebst du so sehr. Wo du aber bist. Das frage ich mich, ohne eine Antwort andenken zu können, ganz so, als seist du nirgends.
Du weißt dich nicht da, so gegenwärtig für mich, zerbrechlich nahe. Und das, ohne ein Wohin. Verzaubert in mir. Die Kiste, die Sterne, die Bücher. Das Bettzeug, dein Gewand. Und vor allem du. Jede Bewegung an dir; die Momente in deinem Gesicht.
Wenn du erzählst, dazwischen deine Liebe. Zwischen Abgrund und Fundament, abseits vom Grat, darüber hinaus. In der Stille, kaum Musik. Kein Spiel, aber keine Unmöglichkeit. Alltägliches dringt ins Bewusstsein.
Die Ruhe, ein Buch in einer Nacht nicht zu lesen. Ich lese und liege da, du um mich. Da, bei dir. Zigarettenrauch, wundersame Unterbrechung. Bis es kälter wird. Und das Licht taucht in eine beruhigte Dämmerung, schmerzstillend. Die noch übrige Zeit verschwindet, mehr.
Ich atme frei und es tut weh in mir. Darin bleibt fast nichts, außer uns. Hinaus. Und irgendwann zurück, ich weiß nicht, wie lange. Gehen wir gegen den Wind. Gegen uns, ohne Richtung entgegen. Eine Märchenlandschaft, vielleicht mehr Wirklichkeit als bisher.
Nicht zu entkommen suchen wir, blind schauen wir. Haben uns gefunden, so verloren alles. Die Welt außer deiner, eindringlich sanft. Weiter, die Nacht ist spät, aber nicht früh. Zurück, dann, schrittweise. Nachdem du meine Hand genommen hast.
Ein bisschen etwas von der Welt, meinem Leben, dringt an mich. Endlich wieder der Hinterhof, die Tür und Müdigkeit. Aus dem Kühlen ins Wärmere. Immer noch nicht warm, aber näher. Und allein zweisam. Im Nachhinein verwirrt, soweit wir nach außen gehen.
In deine Gegenwart, die du nicht kennst, nur weißt. Schlafen, darin. Deine Hand in Erinnerung, das Licht nicht mehr dumpf, sondern aus. Links, neben mir. Ich versuche dich ungezielt zu mir. Du schläfst noch nicht, deine Hand. Ich atme tief, haltend.
Wunderschön und ermöglicht das Eintauchen in die Welt dazwischen!
Renate
Was für wunderbare Bilder werden hier sichtbar. Die Morgenröte hat für mich etwas Heiliges. Ich gehe jeden Morgen entweder in der Dunkelheit oder im anbrechenden Tageslicht mit meiner Hündin spazieren. Die ersten Vögel preisen Gott mit ihrem Gesang oder Gekrächze – je nach Stimmlage. Die Menschen sind noch etwas verschlafen unterwegs, manche kenne ich schon, sie begegnen mir immer an derselben Stelle. Ein freundlicher Gruß wird getauscht. Dann komme ich an den Bach, der den Ort durchfließt. Der Himmel spiegelt sich silbern im Gekräusel des Wassers. Und dann färbt sich der Himmel leicht rosa – dieses erste Morgenlicht hinein in graue und sanftblaue Wolken. Spätestens jetzt durchfließt mich tiefe Dankbarkeit.
die Idee, das Buch, die Texte, machen Lust gleich selber loszuschreiben: was ich gerade sehe, überwältigende Schönheit, und doch ganz still