Blochers halber Eidgenoss

karl-barth-1956-originalMit seiner Basler Rede zum Bertholdstag am 2. Januar versucht alt Bundesrat Christoph Blocher, den berühmten reformierten Theologen Karl Barth (1886-1968) heimzuholen in die Schweiz. Ein missglückter Versuch. Eine theologische Analyse des Barth-Experten

Peter Winzeler*

„Zur Rechten sieht man wie zur Linken
einen halben Türken darniedersinken“
Ludwig Uhland (1787-1862) im Gedicht: Ein wackerer Schwabe

Die Aufspaltung eines Rechts- und Linksbarthianismus ist an sich nichts Neues. Aber Barth wollte „kein Barthianer“ sein, wie Christoph Blocher wohl weiss. Dass Karl Barth selber nie zimperlich mit liberalen oder halbbatzigen Gegnern zur Linken und Rechten verfuhr, von daher auch gehässige Retourkutschen einstecken musste, ging Blocher nicht erst bei Lektüre von Barths „Nein!“ auf (Streitschrift gegen Theologen-Kollege Emil Brunner und das „Naturrecht“, 1934), über die der Jus-Student begeistert eine Seminararbeit schrieb. Schon atmosphärisch war im elterlichen Pfarrhaus Blochers vom theologischen Begründer der „Bekennenden Kirche“ in Deutschland – damals Bonner Professor und SPD-Mitglied mit deutscher Staatsbürgerschaft – viel die Rede. Dabei wurde Bruder Gerhard Blocher vor der Hochburg „Basel“ gewarnt, die Barth 1935 Asyl gewährt hatte. Blochers Bruder, heute pensionierter Pfarrer, berichtete leibhaft vom „Sog“, der vom mündlichen Vortrag der Kirchlichen Dogmatik ausging, dieses mit „Lollo“, der Geliebten Barths (Charlotte von Kirschbaum), redigierten Magristralwerkes (1932-1967). Barths Werk kam nie pharisäisch daher, sondern wusste stets neu „mit dem Anfang anzufangen“, so als müsse auch der weltberühmteste Professor mit dem christlichen ABC – wie alle Laien – wieder ganz von vorne beginnen.

BlocherBlocher verschweigt nicht die „Judenfrage“, die Barth 1933 genötigt hatte, eine Bonner Predigt direkt an Hitler zu übersenden (Jesus war Jude, „das Heil kommt von den Juden“, Joh 4,22) und kehrt an dieser Stelle nur die Differenz mit Brunner unter den Tisch, dessen liberale Ablehnung der Nazi-Diktatur dieser dennoch das Recht zuerkannte, völkische Nichtarier aus dem Staatskörper auszuscheiden. Mit „unverschämter Heiterkeit“, die der in der Heimat lebenslang angefochtene „rote Pfarrer von Safenwil“ (1911-1921) dennoch bis ins hohe Alter bewahrte – nur sein Redeverbot in der Schweiz 1942-45, seine andere Auffassung der bewaffneten Neutralität in Freundschaft mit General Guisan und das hoffnungsgeladene Ja Barths zur 68er Revolte des postmarxistisch-demokratischen Sozialismus kommen hier sträflich zu kurz – hinterliess auch die sogenannte „2. Auflage“ des Römerbriefkommentars (von 1922) einen tiefen Eindruck bei Blocher, sofern sie allen Verzweckungen von -ismen eine gründliche Absage erteilte. Sie verhalf dem Eidgenossen und SP-Genossen Barth in der Tat zum Weg ins erzlutherische und neokonservative Deutschland, zur reformierten Honorarprofessur in Göttingen 1921 und der ersten ordentlichen Professur in Münster i.W. 1925.

Karl Barth lesendDas trübe Kapitel „Kommunismus“ nach 1945 hakt Blocher im üblichen Jargon westlicher Arroganz gegenüber den 20 Millionen ermordeter und gefallener Untermenschen im Krieg Josef Stalins gegen Hitler ab. „Auf dem linken Auge blind“, meinte Blocher im Basler Volkshaus! Also solle man dem hellsichtigsten Theologen der 30er Jahre das nationale Geburtsrecht des vielleicht grössten Schweizers des 20.Jahrhunderts nicht länger vorenthalten, nur aber von seiner internationalen „Politik“ gegen Atomrüstung und Kalten Krieg gefälligst die Finger lassen, deren Tragik – zwischen den Zeilen – nur allzusehr an den Übereifer Zwinglis gemahne.

Dies alles wurde vom SVP-Strategen nicht hämisch, sondern mir sehr viel Liebe zum sperrigen Widersacher vorgetragen, der mit seinem Leitsatz, (nur) „Gott ist Gott“, darum: (ein jeder) Mensch ist Mensch, ungeheure ideologische Gegensätze zu unterwandern und zu versöhnen verstand. Blocher würzte seine Rede denn auch mit träfen Anekdoten, die Barth in seiner Menschlichkeit zeigen, überstrahlt von einer gemeinsamen Mozart-Liebe, darum frei von all jener Gehässigkeit der üblichen antiliberalen Verdächtigungen neokonservativer Barth-Kritik und viel lebensnaher als fast alles, was derzeit akademisch verschraubt aus Basel zu lesen ist.
Um mehr zu erfahren, greife man also ruhig zur Barth-Gesamtausgabe (TVZ Zürich) und Barths „Sozialistischen Reden“ (Band 48), die eindrücklich klarstellen, dass die Gottesoffenbarung („senkrecht von oben“) kein unfassliches Mysterium ist, sondern quer zu allen Ideologien in den Klassenkampf eingreift, ja selber Mensch wird und damit allen Entrechteten und Gedemütigten zur Annahme ihrer vollen Menschlichkeit in der Mitmenschlichkeit mit anderen verhilft. Wenn der SP-Genosse und Eidgenoss Karl Barth das Missverständnis des „politischen Pfarrers“ radikal bekämpfte, der anstelle des Reiches Gottes sein Parteiprogramm predigt und darum Verrat übe am Evangelium sowie der Thora, dann vielmehr um der Bewahrheitung des Zeugendienstes willen. Denn dieses Zeugnis ist immer und überall (per se) politisch und kann sich nicht in Volksverdummung, religiöser Askese und „Moralpredigten“ erschöpfen.

Weil Blochers Mysterium „Gott ist Gott“ aber dieser gesellschaftlichen Konkretion in der „Menschlichkeit Gottes“ entbehrt (1948) und mit ihr den energischen Protest gegen den imperialistischen „Marshall-Plan“ des Grosskapitals (Vortrag in Amsterdam 1948) ausblendet, kann auch der Schwertstreich zur Halbierung des Theologen und Politikers unmöglich gelingen.
Karl-Barth-Quotes-4Was aber könnte Blocher zu diesem Sakrileg angestiftet haben, den Basler Theologen, der nur noch Strafgefangenen und Zwangsverwahrten (die Befreiung) predigte, von seinen genuinen Wurzeln abzuschneiden? Waren es die paar tausend Stimmen rotgrüner Kirchen-Intelligenz, die der Masseneinwanderungsinitiative unverhofft zum Durchbruch verhalfen? War es der Geist und Ungeist des integrativen Rechts-Journalismus eines Markus Somm, dem Chef der Basler Zeitung? Wer immer den ganzen unbequemen Karl Barth liebt, wird von diesem Gebaren Abstand nehmen. Eine geistige Gesundung des verängstigten Schweizervolkes wird auch eine besonnene Volkspartei nicht von einer solchen Aufspaltung in den Theologen und politischen Menschen Karl Barth erwarten wollen. Die unverwüstliche Zuversicht der letzten Worte Barths hatte einen tieferen inneren Grund.

* winzelerDr. phil. Peter Winzeler, Honorarprofessor für Systematische Theologiean der Universität    Bern

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