Franz und Clara von Assisi sind ein Wunder. Mit dem solidarischen Bruder und der widerständigen Schwester kommt ein Aufbruch, eine religiöse Alternativbewegung in die Welt, die mit völliger Besitzlosigkeit neue Wege eines evangeliumsgemässen Lebens eröffnet
«Die Schriften von Franziskus haben mir eine Freude gegeben, die ich sonst nirgendwo so dicht und stimmig empfand», erklärt der aus Basel stammende Bruder Andreas Brunner auf die Frage, warum er Franziskaner geworden ist, während die 30 Teilnehmenden der aufbruch-Leserreise die einzigartige Bilderwelt der Giotto-Fresken in der Basilika San Francesco in Assisi staunend erkunden. Nach einer persönlichen Krise fand der studierte Jurist vor 12 Jahren den Weg zu den Franziskanern in Assisi, wo er heute auf der Krankenstation im Pflegeheim der Franziskaner alte, gebrechliche Mitbrüder pflegt, wäscht, füttert, unterstützt. Sein Dienst, sagt Bruder Andreas, nehme 14, manchmal 16 Stunden täglich in Anspruch. «An meinem freien Tag gehe ich Wandern in die umliegenden Hügel von Assisi und freue mich über die wunderbare Natur, wie sie Gott geschaffen hat», sagt der hagere, bärtige Mann in schwarzer Kutte mit einem ehrlichen Lächeln, das aus der Tiefe seines Herzens kommt. «Im Orden fühle ich mich zuhause», ergänzt der 40-Jährige und wendet seine feingliedrigen Hände wieder hoch in Richtung Bildprogramm der Fresken an Decke und Wänden, die seit 700 Jahren in der Kirche, in der der heilige Franziskus begraben ist, gut erhalten und farbintensiv das franziskanische Verständnis von Mensch- und Christsein überliefern.
An dieser Stelle sei nur ein Fresko herausgegriffen, das im Vierungsgewölbe der 1230 – bereits vier Jahre nach dem Tod des Poverellos – fertiggestellten Unterkirche zu sehen ist. Es zeigt allegorisch und personifiziert mit Figuren dargestellt die Tugend des Gehorsams sowie die Hilfstugenden Klugheit und Demut, «ohne die man sich keinen Gehorsam vorstellen kann», wie der Experte Pater Gerhard Ruf schreibt. Dabei steht Franziskus auf dem Dach des Kapitelsaals, von oben zeigen die Hände Gottes auf den Mönch. Das vermittelt den Eindruck, dass er sich von Gott führen lässt. Franziskus ist deshalb «ein Beispiel des Gehorsams vor Gott», so Ruf. So folgt der Bettelmönch Christus, der sich ebenfalls von Gott führen liess.
Bruder Andreas drückt das franziskanische Verständnis vn Gehorsam so aus: «Klugheit und Demut helfen uns, wenn zum Beispiel ein Franziskaner von seinen Vorgesetzten an einen Ort geschickt wird, wo er nicht hin will. Wenn man aber versucht», so der Franziskanerbruder, «aus Liebe zu den Menschen, auf die man dort trifft, seinem Auftrag nachzugehen, kommt es mit der Zeit gut». In den Worten von Ruf: «Franziskus fügte sich in den gebietenden Willen seines Schöpfers, der autoritativ Erfüllung fordert.» Und weiter, «diesen Willen wirksam zu befolgen, das heisst ihm innerlich zuzustimmen, setzt Klugheit voraus, und ihn in der Tat ausführen heisst soviel wie: Mut zum Dienen und Gehorchen».
Bis Franziskus (1182-1226) soweit gereift war, war es ein weiter Weg, will doch der schwer reiche Kaufmannssohn zunächst Ritter werden und in der mittelalterlichen Feudalgesellschaft in den Adel aufsteigen. An der Seite seines Vaters vertreibt die Kaufmannszunft mit Feuer und Schwert 1198 die Adligen von Assisi aus ihren Wohntürmen. Nach Kriegsgefangenschaft und schwerer Krankheit erlebt Franziskus 1205 den entscheidenden Wendepunkt in seinem Leben, als er auf der Suche nach Sinn einem Leprakranken begegnet und ihn spontan umarmt und küsst. «Der Höchste hat mich unter sie geführt, und in der Begegnung mit ihnen ist meine Liebe erwacht». «Dazu muss man wissen», erklärt Reiseleiter Michael Bangert, «dass Aussätzige damals noch bei Lebzeiten enterbt wurden, und für sie wurde in ihrem Beisein die Totenmesse gelesen. Damit waren sie brutal ausgestossen und sozial tot.»
Franziskus findet seine neue Berufung und will Jesu Sendung weiterführen, und zwar «mit leeren Händen und friedfertig», so Christentumshistoriker Bangert. Bald schliessen sich Gefährten an und ziehen predigend durch die umbrische Region. Die Laienbewegung, in der es – und das ist völlig neu für die damalige Zeit – keine Standesunterschiede gibt, wächst. Der mächtige Papst Innozenz III., der vom evangelischen Aufbruch der franziskanischen Fraternitas beeindruckt ist, erlaubt den Brüdern die Laienpredigt in der ganzen Kirche.
Dieser Armutsbewegung schliesst sich Klara, die aus dem Adel Assisis stammt und 1211 aus ihrem Wohnturm flieht, an, nachdem die selbstbewusste, durchsetzungsstarke junge Frau sich wiederholt standesgemässen Heiratsplänen ihrer Familie widersetzt hatte. Sie will angeregt durch Franziskus Beispiel in Armut und nach dem Evangelium leben. In der Nacht nach Palmsonntag kehrt sie 18-jährig heimlich ihrem Elternhaus den Rücken und trifft in der Portiuncolakapelle vor den Toren Assisis auf Franziskus und seine Gefährten. Franziskus schnitt ihr die Haare ab und gab ihr das Bettelgewand. Damit entzog sie sich dem Kreis der Heiratsfähigen, galt das Abschneiden der Haarpracht doch als Zeichen, dass jemand von nun an zu Christus gehört und sein Leben in den Dienst des Evangeliums stellt.
Aufnahme fand Klara zunächst im Benediktinerinnenkloster im nahen Bastia. Klara will jedoch wie Franziskus in völliger Besitzlosigkeit, also ohne Grundbesitz und gesicherte Einkünfte leben. Doch da Benediktinerklöster aufgrund ihrer grossen Ländereien über ansehnliche Einkünfte verfügten und daher bis heute relativ reich sind, entsprach dieses abgesicherte Leben nicht Klaras «Vorstellungen eines vollkommenen Lebens im Geist des Evangeliums», erklärt Michael Bangert, während die 33köpfige aufbruch-Reisegruppe vor dem Klarissenkloster San Damiano auf Klarissenschwester Kathrin wartet. In San Damiano, einer von Franziskus wieder aufgebauten kleinen Kirche unweit von Assisi, hatte Klara mit einigen Gefährtinnen 1211 ihre Schwesterngemeinschaft gegründet. Als einziger Frau in der Kirchengeschichte gelang es Klara, 1214 vom Papst ein Armutsprivileg zu bekommen.
«Hier in San Damiano war Klara über 40 Jahre lang, davon litt sie 28 Jahre an Multiples Sklerose», erzählt Schwester Kathrin. Sie und ihre Gemeinschaft führten ein Leben in Stille und des Gebets. Die Ordensgründerin habe sich, so die Oberschwäbin in grauen Ordensgewand, «im Gebet sich selbst gestellt». Sie gestaltete das Ordensleben neu. Obwohl sie zurückgezogen lebte, empfing sie Leute, die Rat suchten. «Bei den Klarissinnen ist die Welt das Kloster», erläutert Schwester Kathrin schmunzelnd, «bei den Franziskanern ist die Welt ihr Kloster». Zwei Tage vor ihrem Tod 1253 kam Papst Innozenz IV. nach San Damiano, um Klara auf dem Sterbebett die päpstliche Anerkennung ihrer Ordensregel persönlich zu überbringen. Am 11. August 1253 betete Klara: «Geh in Frieden, meine gesegnete Seele. Und du, Herr, seiest gesegnet, weil du mich erschaffen hast.»
Reisebericht aus Assisi von Wolf Südbeck-Baur
Es war eine sehr eindrückliche Reise mit einer hervorragenden Reisebegleitung (Danke Michael!) und einem sehr guten Buschauffeur (Danke Emil!) mit einer sehr netten und guten Reisegruppe (Danke an die ganze Gruppe!).