Der Nahost-Konflikt bewegt die Studenten

Die School of Oriental and African Studies (SOAS) of London ist eine Welt für sich. An kaum einer anderen Universität studieren so viele internationale junge Menschen.

Celia Gomez

Das politische Klima ist eindeutig links, mit Tendenz zum extremen Ende. Die Students’ Union repräsentiert die Studierenden in der akademischen Hierarchie und ist bekannt für ihre Kampagnen gegen Ungleichberechtigung, Rassismus und Diskriminierung. Zudem unterstützen sie die BDS Bewegung (deutsch: Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen), eine globale Kampagne, welche Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will.

Als Absolventin der Universität Zürich, deren VSUZH (Verband der Studierenden der Universität Zürich) kaum politische Stellungen bezieht, war ich zu Beginn verblüfft über das politische Engagement der Students’ Union. Doch inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, dass Politik zu den beliebtesten Themen an der Universität gehört. Die Palestinian Society (ein Verein Studierender, die sich für Palästina interessieren) zählt die meisten Mitglieder aller Societies. An einer Vorführung eines Dokumentarfilms über Palästina störten singende und tanzende pro-Israel AktivistInnen die Diskussion mit der Regisseurin des Films.

Einige KommilitonInnen erzählten mir, wie Studierende den Haupteingang der SOAS verbarrikadierten, als der israelische Botschafter an der Universität einen Vortrag halten sollte. Letztendlich musste dieser das Gebäude durch einen Hintereingang betreten.

Dies war nicht das einzige Mal, dass die SOAS in die Medien kam. Vor einem Jahr berichteten mehrere Zeitungen über latenten Antisemitismus an der Universität, nachdem ein jüdischer Student sich wegen seiner religiösen Kleidung diskriminiert fühlte. Daraufhin stellte die SOAS sofort eine Richtlinie auf, um weitere solche Vorfälle zu verhindern, und die Direktorin beteuerte persönlich die Offenheit der Universität gegenüber allen Religionen und Ethnien.

Im Dezember flammten die Diskussionen über Israel und Palästina wieder auf, nachdem Trump Jerusalem zur Hauptstadt Israels deklariert hatte. Innerhalb 24 Stunden organisierten „Friends of Al-Aqsa“ und das „Palestinian Forum in Britain“ über Social Media eine Protestaktion vor der US-Amerikanischen Botschaft. Diese beiden Gruppierungen sollen in ihrer Vergangenheit jedoch Kontakt mit Hamas-Leuten gehabt haben und stehen in ihrer Ideologie an der Grenze zwischen Anti-Zionismus und Antisemitismus. An der SOAS organisierte sich ein Block, um an diese Demonstration zu gehen, wenige interessierten sich jedoch für die Organisatoren des Protests. Auf mein Nachfragen meinte eine Studentin aus Beirut: „Mir ist es egal wer diese Leute sind. Bei einer so wichtigen Sache muss man einfach hingehen“. Besonders fiel mir auf, dass viele der SOAS-Protest-Teilnehmenden selbst nicht PalästinenserInnen waren und auch persönlich keinen direkten Bezug zum Land hatten. Die meisten begründeten ihre Sympathie durch ihre linksgerichteten politischen Ansichten oder durch religiöse Gefühle für die globale muslimische Gemeinschaft.

Die Demonstration bei der US-Botschaft setzte sich aus vielen verschiedenen Menschen zusammen: Ältere Leute, die vielleicht selbst als Kinder die Staatsgründung Israels miterlebt hatten, Eltern mit ihren Kindern auf dem Arm, welche bereits die Parolen gelernt hatten, Teenager, junge Mädchen mit perfektem Make-Up (viele mit Kopftuch, viele ohne) und junge Männer mit Keffiyeh. Unter den Parolen gegen die israelische Politik waren auch „Allahu Akbar“ Rufe darunter, besonders aus islamistischen Kreisen, die ebenfalls am Protest vertreten waren.

Ein Kommilitone aus Gaza äusserte gemischte Gefühle während des Protests: „Ich mag es nicht, wenn religiöse Parolen in einen politischen Protest verwickelt werden. Es wurden auch einige antisemitische Phrasen in arabischer Sprache gerufen. Das finde ich nicht gut, es geht um die Politik des Staates Israels und um Trump, nicht um Juden gegen Muslime“. Er ist sich der politischen und religiösen Angliederung der Organisatoren bewusst, distanziert sich aber klar von islamistischen und antisemitischen Haltungen.

Der Konflikt zwischen Israel und Palästina ist das meist diskutierte Thema an der SOAS – nicht nur in Lehrveranstaltungen, sondern auch beim Mittagessen oder abends an der Bar. Während in Vorlesungen und Seminaren wichtige neue Perspektiven auf den Konflikt aufgearbeitet werden, finden die politischen Diskussionen vor allem ausserhalb der Hörsäle statt. Es herrscht allgemeine Unsicherheit und Unklarheit über Begriffe wie „Anti-Zionismus“, „Antisemitismus“ und „Israel-Kritik“. Wo befinden sich die Grenzen? Ist es in Ordnung an Demonstrationen zu gehen, die von islamistischen Kreisen organisiert wurden, wenn ich auf die harten Lebensumstände in den palästinensischen Gebieten aufmerksam machen will? Diese Fragen werden selten diskutiert, das Verhöhnen von militanten ZionistInnen ist inzwischen aber bereits Tagesprogramm – vielleicht, weil dies einfacher ist.

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