Die Favoriten heissen Scola und Scherer

Angelo Scola (links) und Odilo Scherer.  Foto: www.sueddeutsche.de
Angelo Scola (links) und Odilo Scherer.
Foto: www.sueddeutsche.de

Bei den Beobachtern des morgen beginnenden Konklaves gelten der Mailänder Erzbischof Angelo Scola und der Brasilianer Odilo Scherer, Erzbischof von São Paulo, als Favoriten für das Petrusamt. Doch Fehlanzeige, wenn ein haushoher Favorit genannt werden soll. Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn gilt als einer der Papstmacher, wollen Vatikan-Quellen wissen.

Heute am Vorabend des Konklaves  ist der Tag der Buchmacher. Am Tag, bevor sich hinter den 115 wahlberechtigten Kardinälen die Tore der Sixtinischen Kapelle schliessen werden und die „Liturgie der Papstwahl“ beginnt, fallen die Namen des Mailänder Oberhirten Angelo Scola und der des Erzbischofs von São Paulo Odilo Scherer am häufigsten, wenn man fragt, wer als nächster Papst auf dem Stuhl Petri Platz nehmen wird. Wegen seiner deutschen Wurzeln nennen die Italiener den 64-jährigen Brasilianer „Il tedesco“. Zudem sei er ein rationaler Typ, der gut organisieren könne. An Führungs- und Managerqualitäten fehlt es dem Brasilianer offensichtlich nicht. Und über Kurienerfahrung verfügt der Mann mit dem grauen Haarkranz auch. Mehrere Jahre war Scherer enger Mitarbeiter des früheren Präfekten der Bischofskongregation Kardinal Re. Dass er den Augiasstall der Kurie ausmisten könnte, das scheinen nicht wenige der Papstwähler dem Lateinamerikaner zuzutrauen.

Genau das trauen vorab die Italiener unter den Purpurträgern auch Erzbischof Angelo Scola zu, der seit 2011 mit Mailand dem grössten italienischen Bistum vorsteht. Zuvor war der 71-Jährige neun Jahre lang Patriarch von Venedig. Als Rektor der römischen Lateran-Universität verdiente sich der konservative Moraltheologe seine Sporen ab. Was Wunder, dass der Mailänder, der laut Vatikankennern seine Verbindungen zur gewichtigen Moviomento Communione e Liberazione bereits von Jahren gekappt haben soll, in Italien als einer der einflussreichsten Kirchenführer gilt.

Doch keiner der beiden Papabile ist als die anderen weit überragender Favorit zu betrachten. Zuviele Papstwähler, so heisst es in gut informierten Vatikankreisen, seien noch unentschieden, wen sie auf ihren Wahlzettel schreiben. Eines aber zieht sich wie ein roter Faden durch die Stellungnahmen, die die Männer mit dem roten Käppchen in den letzten Tagen abgaben: der Ruf nach einer Kurienreform.

Wie ein roter Faden zieht sich der Ruf nach einer
Kurienreform durch die Stellungnahmen der Papstwähler

Am schlimmsten versagt hat der Vatikan, als der erzkonservative kolumbianische Kurienkardinal Dario Castrillon Hoyos und sein Dunkelmännerkreis die Piusbrüder-Traditionalistensekte unterschätzte und der zuständigen Vatikan-Kommission „Ecclesia Dei“ die Holocaust-Leugnung des Traditionalistenbischofs Williamson verschwieg. Als die römische Kurie mit einer Anzahl von Kongregationen, also Ministerien, im 16. Jahrhundert neu aufgestllt wurde, war sie einer der modernsten Machtapparate der Renaissance. Seitdem sind allerdings viele Räte, Ämter, Posten und Pöstchen hinzu gekommen, ohne dass alte Zöpfe abgeschnitten wurden. So wuchert der Machtapparat mehltauartig vor sich hin, obwohl er mit seinen etwa zweieinhalb Tausend nur mässig bezahlten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kleiner ist als die Mitarbeiterzahl des deutschen Erzbistums Köln.

Als Konzilspapst Johannes XXIII. einmal gefragt wurde, wie viele Leute arbeiten im Vatikan?, antwortete er lachend: „Ich hoffe, jeder zweite.“ Die Kehrseite der Ironie dieses Scherzes: moderne leistungsfähige Strukturen gelten noch heute wenig in den Dienststuben des Vatikans. So werden noch immer Angestelltenposten teils innerhalb der Familie gleichsam vererbt. Unbedingte Loyalität soll so gesichert werden. Man muss der Kurie ja nicht gleich die Sanierer  von McKinsey ins Haus wünschen, aber ein bisschen mehr Leitungs- und Leistungskultur täte der Kurie gut. Zu den Kardinälen mit entsprechender Durchsetzungskraft zählt der Brasilianer Odilo Scherer.

Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn, einer der einflussreichen Mehrheitsorganisatoren im Konklave, sagte den Journalisten gestern in der römischen Stadtrandkirche „Cristo lavoratore“, zu deutsch „Christus, der Arbeiter“, im Arbeiterviertel Portuense: „Ich will, dass ein Papst gewählt wird, der sein Bistum gut geleitet hat, der gut umging mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie mit den Gläubigen, und der seinen Laden in Schuss hat.“ Das Faktum, dass Schönborn dies betont, macht deutlich, dass unter den vielen Papstkandidaten nicht alle gute Kommunikatoren mit Leitungsqualitäten sind. Die Zeit der Buchmacher ist nun abgelaufen.

Wolf Südbeck-Baur, Rom

 

 

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