Die k.o. geschlagene Kirche

Wird sie die Skandale um sexuellen Missbrauch überleben?
Nach all den Jahren, in denen fast wöchentlich ein neuer Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche bekannt wurde, dachten wir, in ruhigere Gewässer einfahren zu können. Aber nein. Der Sturm tobt heftiger, Schiffe kentern. Hoffnungen brechen endgültig zusammen. Selbst Kardinäle gehören vermutlich zu den Tätern.

Wolken

Bild: Norbert Neetz EPD

Der in Pennsylvania vom Justizministerium enthüllte Missbrauch von 1000 Kindern durch über 300 Priester seit den Vierzigerjahre bringt die Kirche mächtig ins Schwanken. Der 1356 Seiten umfassende Bericht zeigt zudem, dass Priester Netzwerke bildeten und Kinderpornografie austauschten. Ein Ring krimineller Priester gab gefügig gemachten Opfern Goldkettchen mit Kreuz, um sie für andere Täter erkennbar zu machen.

In den untersuchten Diözesen des Bundesstaates habe eine „Kultur des Vertuschens“ durch ranghohe Kirchenmänner geherrscht, die den massenhaften Missbrauch erst ermöglicht hatten. Ebenso entsetzlich wie der Missbrauch ist die Vertuschung des Missbrauches. Der Bericht aus Pennsylvania hält fest: „Die Gottesmänner, die für die Priester verantwortlich waren, blieben nicht nur untätig, sie vertuschten alles.“ Zu dem Bericht haben auch eine halbe Million Dokumente beigetragen, die bislang in den Geheimarchiven der Bistümer unter Verschluss gehalten worden waren. Die Ermittler in Pennsylvania hatten sich mit juristischem Druck Zugang verschafft. Die kirchlich Verantwortlichen lebten Werthaltungen, die vor Gott keinen Bestand haben können. Erste Priorität war es, zu verheimlich, was in der Kirche geschah, die zweite die Priester vor Beschuldigungen zu bewahren. Erst dann, zunächst verletzt und zögerlich sprach man von den Opfern. Diese Prioritätensetzung dient kirchlichen Machtansprüchen, widerspricht aber gründlich dem Evangelium. Sie ist Verrat am Glauben, den die Kirche zu verkünden hat.

Die Verjährung der Schandtaten führt dazu, dass nur wenige Täter zur Rechenschaft gezogen werden.

Öffentlich durfte der von Missbrauchsvorwürfen belastete Kardinal Theodore McCarrick schon länger nicht mehr als Priester wirken. Jetzt ist der Ex-Erzbischof von Washington auch seinen Kardinalsrang los. Das kam seit 90 Jahren nicht mehr vor. Doch ihm droht noch mehr.

Die Mitteilung umfasste nur wenige Zeilen. Aber die Nachricht, die das vatikanische Presseamt am Wochenende verbreitete, kommt einem Paukenschlag gleich: Der von Missbrauchsvorwürfen belastete frühere Erzbischof von Washington, Theodore McCarrick, habe Papst Franziskus seinen Rücktritt aus dem Kardinalskollegium angeboten. Das Schreiben ging den Angaben zufolge am Freitag ein – am Samstag nahm der Papst das Gesuch an. Der heute 88-jährige McCarrick, der von 2001 bis 2006 das Erzbistum Washington leitete, soll laut Medienberichten zwischen 1970 und 1990 junge Priesteramtskandidaten zu sexuellen Handlungen verführt und auch mindestens zwei Minderjährige missbraucht haben.

„Dass ein Kardinal aus dem Kardinalsstand ausscheidet, ist seit mehr als 90 Jahren zum ersten Mal geschehen“, sagte Hans Zollner, Leiter des Kinderschutzzentrums an der Päpstlichen Universität Gregoriana.

Darüber hinaus darf McCarrick keine Sakramente mehr spenden oder liturgische Feierlichkeiten leiten. Zusätzlich verfügte Franziskus, dass sich der frühere Erzbischof an einen noch näher zu bestimmenden Ort zurückziehen solle, um dort „ein Leben in Gebet und Busse zu führen“, bis die Anschuldigungen gegen ihn in einem kirchenrechtlichen Prozess geklärt seien.

Auch der Kurienkardinal George Pell, der höchste Australier in der katholischen Kirchenhierarchie, muss sich wegen Vorwürfen von sexuellem Missbrauch vor Gericht verantworten. In einem zweimonatigen Vorverfahren wurden zwar zahlreiche weitere Anschuldigungen fallen gelassen, doch eine Richterin in Melbourne kam zum Schluss, dass die restlichen Indizien schwerwiegend genug seien, dass eine Anklage und ein ordentlicher Prozess angebracht seien. Die angeblichen Fälle liegen Jahrzehnte zurück. Kardinal Pell wies vor Gericht alle Vorwürfe zurück und erklärte sich für nicht-schuldig. Als Verantwortlicher für die Finanzen des Vatikans ist Pell offiziell der drittmächtigste Mann in der Kirche. Papst Franziskus hat Pell beurlaubt, damit sich dieser vor Gericht verteidigen kann. Pell darf sich bis zum Urteil frei bewegen, allerdings Australien nicht verlassen. Seinen Pass musste er abgeben.

Neben den unmittelbaren Opfern ist aber auch von der Unzahl derer zu reden, die mittelbar Opfer wurden.

Die katholische Hochschulpräsidentin Patricia McGuire beginnt einen eindrücklichen Text mit der Frage: Was würde meine Mutter sagen? Meine Mutter war eine hingebungsvolle Katholikin. Sie besuchte jeden Tag die Messe – an Sonntagen manchmal zweimal – und befolgte inbrünstig die religiösen Riten. Meine Geschwister und ich wuchsen in einem streng katholischen Haushalt auf. Wir fanden es ganz selbstverständlich, dass unser Haus vollgepackt war mit Statuen der heiligen Maria, Kreuzen, Heiligenbildchen. Als mein erster Bruder Ministrant wurde, bügelte sie voll Stolz die Gewänder, welche die Ministranten trugen. Kam der „Vater“, der Priester, zum Essen, war das für sie eine ungeheure Ehre.
Im Alter plagte sie dann aber eine tiefe Angst, dass „Vater“ etwas Schlimmes mit ihren Jungen gemacht haben könnte. Meine Mutter und viele andere Frauen gehören auch zu den Opfern der Skandale, die in den vergangenen Jahren ans Licht kamen. Sie, die zu den Säulen einer Pfarrei gehören; sie, ohne die Pfarreien schon längst gestorben wären. Misstrauen prägte jetzt ihr Verhältnis zur Kirche

2 Gedanken zu „Die k.o. geschlagene Kirche“

  1. Der Papst hat nun genug bedauert. Es müssen endlich Taten folgen. Als ers-ten Schritt wäre dringend geboten, den Zölibat abzuschaffen. Der Zölibat, welcher im 11. Jh auch aus nicht theologischen Gründen eingeführt wurde, ist – man kann es nicht anders sagen – ein Verbrechen gegen die menschliche Natur. Er kann nicht eingehalten werden, wurde in der Vergangenheit auch grossmehrheitlich nicht eingehalten und wird auch heute nicht eingehalten. Das ist den Bischöfen bekannt, um so grösser der Skandal. Natürlich löst die Abschaffung des Zölibats nicht alle Probleme. Aber es wäre endlich ein Zei-chen, dass der Vatikan die Realität erkannt hat und ihr nicht mehr ausweicht.

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  2. Um gleich die Hauptfrage von Xaver Pfister zu beantworten: Ja, sie wird!

    Seine Frage scheint zuallererst die äußere Organisation von „Kirche“ anzusprechen, doch das ist im Innersten nicht „Kirche“.

    „Kirche“ ist jeder, der an Jesus Christus glaubt und die 10 Gebote einzuhalten sucht.

    Das gegenwärtige Problem der Katholischen Kirche als Organisation besteht nicht in menschlichen Schwächen, sondern darin, dass ein hoher moralischer Anspruch in einer Grundsatzfrage von einer Reihe von eigens dazu berufenen Mitgliedern in schlimm(st)er Weise verletzt wurde / wird.

    Das Entsetzen über diese Tatsache, vor allem das öffentliche Entsetzen, wäre einer Prüfung wert, wie Entsetzte, frei von einer katholischen „Zwangsjacke“, sich sonst verhalten; sei es als Person, sei es als Organisation.

    Eine ehrliche Bewertung des Missbrauchsskandals sollte die vielen Priester und die Gläubigen nicht aus dem Blick verlieren, die dem Evangelium ernsthaft nachstreben. – Das ist „Kirche“!

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