«Die Welt gehört von allen»

Im offenen Treff HelloWelcome, ein Begegnungsort für Geflüchtete, Migrant:innen und Einheimische in Luzern, kommen Menschen aus allen Teilen der Welt zusammen. Insbesondere für Menschen aus Afghanistan bietet das Team Beratungen an. Neu stehen auch Geflüchteten aus der Ukraine die HelloWelcome-Türen offen. Die Rechte, die mit ihrem Schutzstatus S verbunden sind, sollen jedoch für alle Menschen gelten, die ihre Heimat verlassen mussten, betont das HelloWelcome-Team. Der aufbruch dokumentiert das Positionspapier zum Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine. (Red.)

Beitrag von Renate Metzger-Breitenfellner

HelloWelcome wird von Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern besucht – neu auch von Geflüchteten aus der Ukraine. «In den letzten Wochen wurden wir immer wieder gefragt, ob wir spezielle Angebote für Ukrainer*innen haben», sagt Barbara Müller vom Betriebsteam. «Natürlich sind auch wir extrem besorgt über die Situation in der Ukraine.» HelloWelcome sei sehr froh, dass mit dem Schutzstatus S so schnell Lösungen gefunden worden seien, um die vielen Geflüchteten aus der Ukraine aufzunehmen und sie bestmöglich zu unterstützen.

«Doch es gibt Momente, in denen wir uns die Augen reiben und uns fragen, warum diese Rechte nicht für ALLE Menschen gelten, die hier sind und noch kommen werden.» Die Geschäftsleitung von HelloWelcome habe deshalb ein Positionspapier erarbeitet. Das Wichtigste: «Die Welt gehört von allen» steht auf einem Transparent im Lokal von HelloWelcome. Daran orientieren wir uns.» Denn: HelloWelcome wolle «weiterhin insbesondere für diejenigen geflüchteten Menschen da sein, die von staatlichen Unterstützungsangeboten weitgehend ausgeschlossen sind.»

HelloWelcome

«Es gibt Momente, in denen wir uns die Augen reiben und uns fragen, warum diese Rechte nicht für ALLE Menschen gelten, die hier sind und noch kommen werden.»

Barbara Müller

Es gebe deshalb keine neuen Angebote spezifisch für Geflüchtete aus der Ukraine. «Unsere Projekte stehen aber grundsätzlich weiterhin allen Menschen offen. Das gilt natürlich auch für Menschen aus der Ukraine, die übrigens auch schon den Weg zu HelloWelcome gefunden haben und verschiedene Angebote nutzen. In speziellen Fällen arbeiten wir seit langem mit einer Traumatherapeutin zusammen, was auch für Hilfesuchende aus der Ukraine hilfreich sein könnte.»

Die Traumatherapeutin kam in den vergangenen Monaten vermehrt zum Einsatz. Und zwar in Zusammenhang mit der kritischen Situation in Afghanistan. Seit September beraten Freiwillige von HelloWelcome Menschen aus Afghanistan, die wegen der Machtübernahme der Taliban im August 2021 um das Leben ihrer Angehörigen bangen. Hunderte Gesuche um humanitäre Visa wurden gestellt, die meisten jedoch abgelehnt. Aber nicht alle.

Mitte März landete Frau S.F mit ihrem mittlerweile acht Monate alten Sohn in Kloten – das Happy End einer Geschichte, die Ende August in Kabul begonnen hatte. Herr S.F., der Sohn einer Mitarbeiterin der Schweizer Botschaft in Kabul, seine Frau und sein damals zwei Monate alter Sohn sollten in die Schweiz evakuiert werden. Die junge Mutter ertrug das Chaos auf dem Flughafen nicht, fürchtete sich vor den Taliban, kehrte in ihr Heim zurück, wollte am nächsten Tag fliegen. Das jedoch war nicht mehr möglich.

So landete der Vater wohlbehalten im Bundesasylzentrum Biberhof, Mutter und Kind waren auf sich alleine gestellt. Herr S.F. suchte Rat bei HelloWelcome. «Wir alle brauchten dann einen langen Atem und viel Geduld», sagt Renate Metzger-Breitenfellner, Co-Geschäftsleiterin von HelloWelcome, die den «Fall S.F.» in enger Zusammenarbeit mit den Sozialpädagoginnen von Caritas Schweiz betreut hat. Und: «Es würde zu lange dauern, die Geschichte zu erzählen. Sie ging bis ganz nach oben in die Schweizer Aussendiplomatie, Mailwechsel und Dokumente würden wahrscheinlich einen Bundesordner füllen.»

Erfolgreich war aber schliesslich nicht die Schweizer Diplomatie, sondern ein Tipp der «Luftbrücke Kabul», einer deutschen NGO, die sich für Geflüchtete aus Afghanistan einsetzt und dabei «unglaublich tolle und engagierte Arbeit leistet», sagt Metzger-Breitenfellner.

«Wir riefen die Aktivist:innen der Luftbrücke Kabul an; innerhalb von wenigen Stunden holten sie Reza ab und brachten ihn in Sicherheit.“

Renate Metzger-Breitenfellner

So zum Beispiel auch in Pakistan im Fall von Reza*, 15 Jahre alt. Er lebte mit seiner Mutter und seiner Schwester in einem Dorf in der Nähe von Kabul. Eines Tages, als er von der Schule nach Hause kam, hatten die Taliban das Dorf überfallen, es war niemand mehr dort. Reza und seine Kollegen gingen zum Flughafen, um Hilfe zu suchen. Dort wurden sie von den Taliban geschlagen und vertrieben. Irgendwie gelangten sie in ihrer Panik nach Pakistan, doch ihre Rucksäcke hatten sie auf der Flucht verloren. Reza lieh sich ein Handy, rief seinen Bruder Ali* an, der seit einigen Jahren in der Zentralschweiz lebt, erzählte ihm, er sei in einem riesigen Park. Ohne Papiere, ohne Geld, ohne Handy, ohne alles. Er habe grosse Angst. Dann brach der Kontakt ab.

Monate später gelang es Ali, seinen Bruder mit Hilfe von Bekannten zu finden. «Daraufhin riefen wir die Aktivist:innen der Luftbrücke Kabul an; innerhalb von wenigen Stunden holten sie Reza ab und brachten ihn in Sicherheit. Seither lebt er in einem Guest Hause, in dem die NGO unbegleitete Minderjährige aus Afghanistan betreut.» Das Verfahren laufe immer noch, erzählt Renate Metzger-Breitenfellner. «Die Registrierung beim UNHCR ist noch nicht abgeschlossen, der Junge hat keinen Ausweis. Aber wir bleiben dran, er wird gut betreut, lernt fleissig Deutsch.» Und Ali, der selbst in die Schweiz geflüchtet ist, nachdem er von den Taliban angeschossen worden war, hofft, seinen Bruder bald in die Arme schliessen zu können.

Es gäbe noch viele weitere Beispiele zu erzählen, heisst es bei HelloWelcome. «Die Arbeit geht weiter. Sie ist emotional anstrengend. Aber sie lohnt sich.»


Weitere Infos auf www.hellowelcome.ch.
Spenden an HelloWelcome, Bundesstrasse 13, 6003 Luzern, IBAN CH56 0077 8201 23812 0200 1.

* Namen im Text sind geändert

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