Dokumentation: Laudatio zum Buch „Wie hast du`s mit der Religion?“

niederberger
Laudator Lukas Niederberger war bis 2013 aufbruch-Redaktor

„Bei manchen Interviews fand ich es schade, dass sie bereits nach sechs bis sieben Fragen zu Ende waren.“ Doch nicht alle Wertungen des Buches „Wie hast du`s mit der Religion? Gespräche über Gott und die Welt“, die Laudator Lukas Niederberger anlässlich der Buchvernissage im Romerohaus im Köcher hatte, fielen positiv aus. Und die Idee für ein Fortsetzungs-Interview–Buch lieferte der frühere aufbruch-Redaktor gleich mit. Im Folgenden dokumentieren wir die Laudation von

Lukas Niederberger*

„Liebe Martina (in absentia), lieber Wolf, lieber Benno
Sehr geehrte Damen und Herren, die im Buch über Gott, Religion und Religionen sprachen
Sehr geehrte Gäste

Das Buch habe ich gerne und mit Interesse gelesen. An einigen Stellen stimmte es mich nachdenklich. Und bei manchen Interviews fand ich es schade, dass sie bereits nach sechs bis sieben Fragen zu Ende waren, wo es gerade so richtig spannend wurde. Dass es im Buch manche ähnliche Meinungen zu den Kirchen und zum Leiden in der Welt gibt, überrascht wenig. Das hängt erstens mit der Wahl der Interviewten zusammen. Im Vorwort steht:
„Wir haben bei der Auswahl bewusst darauf geachtet, dass ein möglichst vielfältiges weltanschauliches Spektrum zu Wort kommt: So finden Sie in diesem Buch einerseits Persönlichkeiten, deren Biografie von einem christlichen, jüdischen oder muslimischen Kontext geprägt ist. Andererseits begegnen wir auch Menschen, die eine agnostische oder dezidiert atheistische Position vertreten.“

Soeben erschienen: Bühlmann, Läubli, Südbeck-Baur, Wie hast du`s mit der Religion?
Soeben erschienen: Bühlmann, Läubli, Südbeck-Baur, Wie hast du`s mit der Religion?

Ich möchte diese Aussage des vielfältigen weltanschaulichen Spektrums nicht gänzlich bestreiten, wohl aber etwas relativieren. Es stimmt zwar, dass in diesem Buch Glaubende und Nichtglaubende mit christlichem, jüdischem und muslimischem Hintergrund zu Wort kommen. Aber ich erlebe die Interviewpartnerinnen und -partner bei aller persönlichen und biografischen Verschiedenheit als weltanschaulich recht homogene Gruppe. Sie passen alle in den Kreis typischer aufbruch-LeserInnen:
• Sie sind politisch gesehen grün bis rot
• Sie sind religiös fortschrittlich und tolerant
• Sie sind am Dialog der Religionen interessiert
• Sie bejahen den religiös neutralen Staat und die multikulturelle Gesellschaft
• Sie halten nicht an dogmatisch definierten Gottesbegriffen fest
• Für sie ist die Beziehung zu Gott vor allem eine Angelegenheit der subjektiven existenziellen Erfahrung und der persönlichen Überzeugung
• Religion ist für sie mehr eine Frage der re-ligio im Sinn des Zurückgebundenseins an die transzendente Ebene und weniger eine Frage konkreter Glaubensgemeinschaften
• Und schliesslich haben für die Interviewten institutionalisierte Religionen meistens nur noch eine Bedeutung im Bereich der Sozialhilfe sowie bei Lebenswenden mit ihren Ritualen (wie es Jo Lang eben im Zusammenhang mit den 11 Beerdigungen nach dem Zuger Attentat betonte).

Ich möchte dem Autorenteam aber nicht vorwerfen, dass sie Menschen interviewt haben, die sich weltanschaulich zu wenig unterscheiden und dass in einer Arena-Sendung alle auf der gleichen Seite stehen würden und zur politischen Minderheit gehören. Denn ehrlich gesagt interessiert mich das Gottes- und Kirchenbild von Ulrich Schlüer, Pirmin Zurbriggen, Sepp Blatter, Fiona Hefti und Irina Beller nicht wirklich.     Dass sich die Aussagen der Interviewten über weite Strecken ähneln, hat zweitens nicht nur mit der Wahl der interviewten Personen zu tun, sondern auch mit den Fragestellungen: Mit den offiziellen Kirchen, die ihre gesellschaftliche Relevanz weitgehend verloren haben, haben so ziemlich alle Interviewten Mühe. Und alle halten es für möglich, dass man an Leidenssituationen auch wachsen und reifen kann. Bei diesen Fragen habe ich von der ersten Seite an nicht mit grossen Überraschungen gerechnet.
Die InterviewpartnerInnen unterscheiden sich meiner Meinung nicht weltanschaulich, sondern höchstens post-welt-anschaulich, nämlich in Bezug auf das Leben nach dem irdischen Tod. Für die einen (z.B. Peter Bichsel) wird das Leben mit dem letzten irdischen Atemzug endgültig ausgeknipst. Im Abendgespräch eben bei der Vernissage doppelte Peter Bichsel noch nach: „Mit dem Tod ist die Religion vorbei. Und ich will mich nach dem Tod auch nicht eine Ewigkeit lang langweilen. Diesen Habakuk nach dem Tod, das halte ich nicht aus.“
Für andere (z.B. Lukas Hartmann) geht das Leben als Liebesenergie oder als Wolke irgendwie weiter. Niemand hat im Interview den Glauben an ein Leben nach dem Tod vertreten, wie es in praktischen allen Weltreligionen gelehrt wird.
Peter Stamm brachte es im Interview auf den Punkt: „Ich habe noch nie von einem Menschen gehört, der auch nur annähernd so gelebt hätte, als glaube er wirklich an Gott und das ewige Leben.“
Interessant finde ich, dass bei allen 27 Interviewten die menschliche Kontingenz kein ernsthaftes Problem darzustellen scheint – im Gegenteil. Es kommt uns gesättigten Bildungsbürgern offenbar eher entgegen, dass mit dem Tod alles aus ist. Menschen haben bis in die Moderne hinein auch und vor allem darum Religionen mit Götterwelten und Heilslehren entwickelt, um dadurch mit der Tatsache des zeitlich begrenzten Erdenlebens halbwegs fertig zu werden. Die Legitimation von Religionen basierte weitgehend auf der Kontingenzbewältigung. Die offiziellen, strukturierten Religionen wollten und wollen auch künftig mit der Verheissung von Himmel und ewigem Leben dem Menschen eine hoffnungsvolle Perspektive bieten. Religionen funktionierten bisher weitgehend auf Grund der Angst der Menschen vor dem irdischen Tod und auf Grund ihrer Hoffnung auf ein besseres Leben im Jenseits – quasi als Kompensation für das diesseitige irdische Jammertal. Doch nach der Lektüre der 27 Interviews stelle ich fest:
Die Angst vor dem Tod ist tot. Und die Hoffnung, dass danach noch etwas Tolles folgt, praktisch inexistent. Dass das Leben mit dem irdischen Tod vorbei sein soll, stellt bei den Interviewten und vermutlich bei einem Grossteil der Menschen in unseren Breitengraden kein Skandalon mehr dar.
Ich frage mich: Hat das offenbar verloren gegangene Problem der menschlichen Kontingenzbewältigung damit zu tun, dass es uns in diesem Leben innerhalb einer übersättigten Gesellschaft allzu gut geht und dass wir dereinst mit grosser Wahrscheinlichkeit wie Hans Küng nicht als Sehnsüchtige und Hoffende, sondern als Lebenssatte und Lebensmüde abtreten werden? Für Lebenssatte stellt die Vorstellung von Auferstehung und ewigem Leben tatsächlich keinen Grund zur Hoffnung dar, sondern wirkt eher als eine Belastung und Bestrafung. Die Vorstellung von Auferstehung und Leben nach dem Tod scheint lediglich für jene Menschen ein Grund zur Hoffnung und zum Glauben zu sein, die im irdischen Leben auf der Schattenseite existieren und deren Sehnsüchte auf Erden weitgehend ungestillt sind.

Es scheint mir darum auch bezeichnend, dass allein Jean Ziegler, der wie kaum ein anderer die irdischen Ungerechtigkeiten kennt und benennt, wirklich an die Auferstehung glaubt und der Ansicht ist, nach dem Tod irgendwo und irgendwie erwartet zu werden.
Ich bleibe nach der Lektüre mit der Frage zurück, ob der religiöse Glauben im Allgemeinen letztlich daran stirbt, dass der Mensch seine Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod verloren hat. Warum sollten wir auch noch auf ein Leben nach dem Tod hoffen, wenn wir uns bereits heute im Paradies fühlen und keine Lust auf mehr vom Gleichen im Jenseits haben?
Für Menschen auf der Sonnenseite des Lebens kann nach dem Tod in der Fantasie entweder nur ein sozialer Abstieg erfolgen oder es folgt einfach mehr vom Gleichen.Oder etwas anders ausgedrückt:
Mit unserer verlorenen Hoffnung auf ewiges Leben bzw. unserer Abneigung gegen eine weitere Existenz legen wir quasi den Grundstein für eine neue Religion, deren Heilslehre darin besteht, dass mit dem irdischen Tod der Schalter ein für allemal ausgeknipst wird und dass wir endgültig abtreten dürfen und weder in einen Himmel noch in ein Nirvana reisen müssen, wo wir uns „eine Ewigkeit lang langweilen müssen“ (Bichsel). Einfach Schluss, Stecker raus. Die Interviews zeugen von dieser neuen Religion, wie sie Hildegard Knef bereits vor Jahrzehnten besang:
Glücklich, wer das Heute geniesst und, was vorbei ist, vergisst.
Es kommt, wie es kommen muss: Erst kommt der erste Kuss,
dann kommt der letzte Kuss, dann der Schluss.                                                                                                           Vielleicht habe ich mit meiner Zuspitzung die Idee für ein Fortsetzungs-Interview-Buch geliefert, wo es nicht mehr heisst: Wie hältst Du’s mit der Religion?, sondern: Machst Du bei der neuen Religion mit, wo wir nach dem Tod nirgends mehr hin müssen, weil wir dank der irdischen Lebenssattheit auf keine besseren Zeiten und keine posthume Kompensation hoffen mögen?
Sie sehen: Das Buch hat in mir einige wichtige Fragen ausgelöst und geweckt. Und das ist ja das Beste, was man über ein Buch sagen kann. Und so lebe und liebe ich die Fragen und hoffe – mit den Worten Rilkes –, dass ich allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antworten hinein leben werde.

Liebe Martina, lieber Wolf, lieber Benno

Euch wünsche ich Freude und Erfolg mit dem Buch und hoffe, dass es bei vielen Leserinnen und Lesern ähnlich wichtige und spannende Fragen auslösen wird.“

Benno Bühlmann, Martina Läubli, Wolf Südbeck-Baur, Wie hast du`s mit der Religion? Gespräche über Gott und die Welt, db-Verlag Luzern 2015, 206 Seiten; www.db-verlag.ch; bestellungen@db-verlag.ch oder an abo@aufbruch.ch

Lukas Niederberger* Geschäftsleiter der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft SGG

1 Gedanke zu „Dokumentation: Laudatio zum Buch „Wie hast du`s mit der Religion?““

  1. Es hat mich verblüfft, wie Lukas Niederberger die Personen für das Interview-Buch als eine Menge gleichartiger Elemente darstellt, wiewohl diese Menge zuvor nach den Gesetzen des Zufalls sorgfältig erstellt worden zu sein schien.

    Die interessanteste Frage von Lukas Niederberger, die ich als seine „Gretchenfrage“ ansehe, war für mich:“ Machst Du bei der neuen Religion mit, …“

    „Mitmachen“ mag bedeuten, für diese „neue Religion“ „Theologie“ zu betreiben, also hart und ehrlich zu arbeiten, als auch, alle seine Lebensvollzüge strikt darnach auszurichten suchen. Denn Solches verlangt eine Religion immer.

    Meine Ahnung, „diese Religion“ könnte den Betreibern Lebensglück stehlen, sie gar in eine Depression führen. – Vielleicht aber ist sie auch nur für Erleuchtete.

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