Eine harte Nuss

Viele junge Leute verfolgten die Nacht der Religionen. (Foto: Anna Berlis)
Viele junge Leute verfolgten die Nacht der Religionen. (Foto: Anna Berlis)

Ist die Wahrheit teilbar oder nicht? Bedenkenswerte Einsichten standen am Ende einer lebhaften Podiumsdiskussion. In der Berner Nacht der Religionen diskutierten drei junge Leute, Noemi, Tobias und Lulëzim, über die Wahrheit

Von Judith Albisser

Drei junge Leute aus dem Judentum, dem Christentum und dem Islam diskutierten kürzlich im Rahmen der 7. Nacht der Religionen über die Frage, ob das was sie für wahr halten, teilbar sei. Das Gespräch leitete Brigitta Rotach, die langjährige Moderatorin der TV-Sendung «Sternstunde Religion». Sie leitet seit dem 1. März 2014 die Bereiche Veranstaltungen und Kulturprogramme des Vereins «Haus der Religionen – Dialog der Kulturen» in Bern.
Erfreut und zugleich erstaunt über die vielen interessierten Zuhörenden – der Saal ist bis auf den letzten Platz besetzt, einige Besucher müssen sogar stehen – stellte Brigitta Rotach die drei jungen Leute auf dem Podium vor: Lulëzim ist Moslem, Albaner und Wirtschaftsstudent. Tobias ist evangelisch-reformierter Christ, gehört dem Evangelischen Gemeinschaftswerk (EGW) an und ist Theologiestudent. Noemi ist Jüdin und Germanistikstudentin.

Was ist unsere Wahrheit?
Die Moderatorin eröffnete die dreiteilige Podiumsrunde mit der Frage „was ist unsere Wahrheit?“ Theologiestudent Tobias ergreift das Mikrofon und erklärt, dass Jesus für ihn die Wahrheit sei. Denn im Johannes-Evangelium stehe „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“. Tobias präzisiert und sagt, nicht sein Glaube sei wahr, sondern er glaube an die Wahrheit – an Jesus. Lulëzim legt seine muslimische Sicht dar und erläutert das Glaubensbekenntnis im Islam: „Ich bezeuge, es gibt keinen Gott ausser Allah, und ich bezeuge, dass Mohammed der Gesandte Allahs ist.“ Das sei für ihn die Wahrheit. Brigitta Rotach fragt nach, ob denn Gott teilbar sei. Tobias führt im Sinne der Johanneischen Theologie aus, dass es einen Gott gebe, und dass Gott die Wahrheit durch Jesus zeige. Lulëzim hält dagegen und erklärt, dass sich der Gott der Muslime nicht in einem Menschen zeigen würde. Das sei irrational im Islam. Auch im Judentum, führt Noemi aus, glaube man an Gott und nicht an Jesus, den Menschen.

Ist Wahrheit teilbar?
Brigitta Rotach geht über zum zweiten Teil und der Frage, ob die Wahrheit teilbar sei. Lulëzim antwortet, dass jede und jeder sich seine eigene Wahrheit bilde. Wir alle seien Menschen und hätten Gemeinsamkeiten. Beifall aus dem Publikum braust auf. Die Moderatorin fragt Tobias, ob er denken könne, dass andere Menschen eine andere Wahrheit hätten? Er verneint, beteuert aber, dass er andere Meinungen nicht ablehne. Für ihn sei die Wahrheit an sich aber absolut. Dieser Aussage stimmt Lulëzim zu.

Was können wir teilen?
Im Schlussteil dreht sich die Diskussion vor allem darum, was man teilen kann. Noemi versteht teilen als teilhaben oder teilnehmen. Für sie seien die Gemeinsamkeiten zentral, etwa der Monotheismus oder die ethischen Grundsätze. Dem pflichtet Lulëzim bei. Tobias hingegen wirft ein, dass es schwierig sei, die Wahrheit zu teilen. Dabei müssten die Wahrheitsansprüche zurücktreten. Brigitta Rotach wirft provokativ ein, ob wir denn aufhören müssten, über die Wahrheit zu sprechen. Lulëzim antwortet mit der Gegenfrage, ob wir denn unbedingt die Wahrheit teilen müssten. Noemi erwidert, dass wir trotz der Unterschiede weiterhin über die Wahrheit und das Teilen diskutieren können.
Die spannende Diskussionsrunde wird nun für das Publikum geöffnet. Ein Zuhörer trifft den Nagel auf den Kopf, als er erklärt: es sei Zufall, wo jemand geboren werde und was man sei – ob Muslim, Hindu, Christ, oder Jude. Schon allein dieser Zufall unserer kulturellen und religiösen Zugehörigkeit gebiete, dass wir friedlich miteinander umgehen sollten. Ob dies der Wahrheit letzter Schluss ist, muss an dieser Stelle offen bleiben.

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