„Evangelische Ökumene“ ist Rückzug

Perspektivenwechsel in der Ökumene? Kritische Rückfragen an den obersten Protestanten von Pierre Bühler

Kirchenbunds-Präsident Gottfried W. Locher erntet Widerspruch

Die Zeitungen haben ausführlich darüber berichtet: Zur Eröffnung der Abgeordnetenversammlung des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes hat Gottfried Locher, der Ratspräsident, anfangs November zu einem Perspektivenwechsel in der Ökumene aufgerufen. Die Gespräche mit der römisch-katholischen Kirche würden sich im Kreis drehen, so dass man sich unnötig erschöpfe; die ökumenischen Dialoge seien deshalb dort zu führen, wo sie mehr Erfolg versprechen, nämlich unter den evangelischen Kirchen. Auf also zur evangelischen Ökumene!

Gewiss will damit Gottfried Locher nicht einfach das evangelisch-katholische Gespräch aufgeben! Das soll weitergehen, aber anscheinend nicht mehr prioritär.

Diese Stellungnahme provoziert ein paar Bemerkungen und Fragen:

–          Sie hat gewiss den Vorteil, in Hinsicht auf das Stocken der ökumenischen Bemühungen Klartext zu sprechen. Aber ist es berechtigt, diesem Harzen aus dem Weg zu gehen, indem man sich auf ein leichteres Terrain begibt? Müsste man nicht vielmehr hartnäckig dran bleiben, mit der Beharrlichkeit des „Dennoch“?

–          Vergisst man dabei nicht allzu schnell, dass man mit einer solchen Wende all die im Stich lässt, die innerhalb der römisch-katholischen Kirche für Offenheit kämpfen und dabei auf Unterstützung seitens der reformierten Kirchen hoffen?

–          Hinsichtlich ihrer Beziehungen zur Öffentlichkeit teilen die römisch-katholische Kirche und die reformierten Kirchen in der Schweiz in vielen Punkten gemeinsame Herausforderungen. Tritt der evangelische Kirchenbund nicht ein Stück weit aus dieser Gemeinschaft heraus, wenn er sich nun vor allem mit freikirchlichen und evangelikalen Gruppierungen um Ökumene bemüht?

–          Gewiss, der Dialog innerhalb der evangelischen „Familie“ ist nicht unwichtig, und diese braucht ein klareres Profil, eine grössere Einheit. Aber der Aufruf zur evangelischen Ökumene klingt allzu sehr nach einem Rückzug auf sich selbst. Wurde nicht vergessen, dass gerade die Begegnung mit dem anderen die Wahrnehmung seiner selbst zu verschärfen vermag? Dieser Rückzug beunruhigt in einer Zeit, wo neue Herausforderungen auf uns zukommen, unter anderem mit den Migrationskirchen, die ganz neue Gestalten des Christentums in die Schweiz bringen, aber auch mit der raschen Zunahme altorientalischer und östlich-orthodoxer Gegenwart unter uns. Es ist ja nicht auszuschliessen, dass hier auch Impulse für den festgefahrenen evangelisch-katholischen Dialog zu finden wären.

Pierre Bühler, Zürich/Neuchâtel, Professor für Systematische Theologie an der Uni Zürich    

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