Persönlicher Dokumentarfilm ungeschönter Familiengeheimnisse

«In all meinen Jahren im Prättigau haben mehr und mehr Einheimische und Gäste, Verwandte und Freunde den Wunsch geäussert, ich möchte doch etwas von all den Liedern, die ich jeweils beim Gottesdienst, bei Beerdigungen und Hochzeiten singe, der Nachwelt zugänglich machen. Das geschah ohne jede Kunst, nur mit meinem kleinen Radio mit zwei Mikrofonen. Es kommt von Herzen und möge zum Herzen gehen. Toni Ebnöther, in der engeren Heimat, der Rempen-Toni.» Das sind die Worte, mit denen Regisseur Miklos Gimes den Mann einführt, der in der Schweizer Provinz der Fünfzigerjahre mehrere Frauen schwängert, bis er vom Bischof seines Amtes enthoben wird, «weil er zu viel Musik mache»: Anton Ebnöther. Geboren 1919 im Kanton Schwyz, gestorben 2011 in Saas, bis zur Amtsenthebung katholischer Priester, dann Gastwirt der Pension „Sunneschy“ – und: Vater von sechs erwachsenen Kindern.

Filmkritik von Anna K. Flamm

„Unser Vater“ nimmt seine Zuschauer mit in die Welt dieser Kinder und ihrer Mütter. Der Film erzählt vom gegenseitigen Kennenlernen nach dem Begräbnis, von intimen Familienangelegenheiten, Verletzungen und einer Gesellschaft, die unter dem Eindruck von Sexualmoral, Zölibat und kirchlicher Autoritätsgläubigkeit den grossen Mantel des Schweigens über Schicksale legt, die so nicht sein sollen. Und doch gibt es sie, die aufwühlend-erschütternden Geschichten, die vergessenen oder verdrängten Erlebnisse, die Biografien prägen.

Der Film „Unser Vater“ ist seit dem 6. April in den Kinos der Deutschschweiz zu sehen.

Den Mut zu haben, hierüber offen zu sprechen, der Sprachlosigkeit tiefer Wunden und vermeidender Scham deutliche Worte und ehrliche Gefühle entgegenzusetzen, zeichnet die Protagonisten von „Unser Vater“ aus. Ungekünstelt geben sie Einblicke in ihr Leben, komplizierte Beziehungen, die Suche nach Wahrheit und ihrem ganz eigenen Weg. Sie teilen Sorgen, Ängste, Wut und Trauer. Das berührt und regt zum Denken an. Und es motiviert, die eigene Landesmentalität noch einmal genauer in den Blick zu nehmen: Hat sich am Gesellschaftsklima seit den Fünfziger-, Sechzigerjahren wirklich etwas verändert? Wo gibt es dringenden Gesprächs- und Handlungsbedarf, auch oder vielleicht gerade in der Kirche? Das grosse Verdienst dieses einfühlsamen Dokumentarfilms ist es, Menschen und ihre Schicksale auf persönliche und authentische Weise vor die Kamera zu bringen, formell-leblosen Floskeln, wie sie im Film leider auch von Bischof Joseph Maria Bonnemain aus Chur bemüht werden, echtes Leben gegenüberzustellen. Dazu braucht es wenig Pomp und Kunstgriffe. Es geschieht mit simplen Kameraeinstellungen, Mikrofonen und Alltag. Auf eindrücklich-schlichte und doch wirkungsstark-klare Weise gelingt es seinen Kindern so, der Nachwelt mit diesem Film noch viel mehr zugänglich zu machen, als das, was Toni einst für sie auf Band festhielt: Es kommt von Herzen und möge zum Herzen gehen.

„Unser Vater“ ist derzeit in folgenden Kinos zu sehen :
Rex in Bern
Odeon in Brugg
Sputnik in Liestal
Bourbaki in Luzern
Riffraff in Zürich

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