„Ein Mann ist keine Alterssicherung“

Die diesjährige sozialpolitische Tagung der Caritas trug den Titel „Wenn Armut weiblich ist“. Die hohe Bedeutung des Themas zeigte sich im vollbesetzten Saal des Event-Forums in Bern am 8. April mit rund 250 Teilnehmenden. Sieben Fachpersonen, darunter die Juristin Andrea Gisler, der emeritierte Soziologieprofessor Ueli Mäder und die Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach, beleuchteten individuelle und systemische Gründe, beschrieben Prozesse in die systemische Armut und zeigten Lösungswege auf.

von Jeannette Behringer

Bedrückend an der Thematik sind nicht nur die beschriebenen Ursachen, sondern auch ihre Kontinuität. Unterschiedliche gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die Frauenarmut begünstigen, werden beschrieben: Lebenslagen, Sozialsysteme, Arbeits- und wirtschaftliche Situation. Sie sind in ihrer Grundausrichtung immer noch patriarchal organisiert, auch wenn stetig graduelle Anpassungen vorgenommen wurden, wie etwa die Berücksichtigung von Betreuungszeiten. Patriarchal sind Sozialsysteme deshalb, weil sie auf durchgehende und vollzeitig tätige berufliche Lebensläufe ausgelegt sind. Soziale Verpflichtungen im Verlauf des Lebens, wie die Betreuung von Kindern, Angehörigen oder nahestehenden Personen werden ignoriert. Nach wie vor leisten überwiegend Frauen solche Arbeiten. Das führt zur hohen Teilzeitarbeitsquote bei Frauen, was wiederum geringere Löhne und eine schlechtere soziale Absicherung nach sich zieht. Deshalb sind Ereignisse wie Scheidung oder Arbeitslosigkeit einschneidende Armutsrisiken.

Foto: Nique Nager

Die II. Säule reproduziert Frauenarmut systematisch: Die Eintrittsschwelle, also das Mindesteinkommen, das notwendig ist, um überhaupt in eine Pensionskasse aufgenommen zu werden, benachteiligt Personen mit kleinen Arbeitspensen – überwiegend Frauen.

Während die AHV eine gewisse Umverteilungswirkung und somit einen Ausgleich zwischen den Geschlechtern erzielt, reproduziert die II. Säule Frauenarmut systematisch: Die Eintrittsschwelle, also das Mindesteinkommen, das notwendig ist, um überhaupt in eine Pensionskasse aufgenommen zu werden, benachteiligt Personen mit kleinen Arbeitspensen – überwiegend Frauen. Teilzeitarbeit, tiefere Löhne und Arbeitsunterbrechungen im Berufsleben sind deshalb Gründe für nach wie vor markant geringere Durchschnittsrenten von Frauen, auch „Gender Pension Gap“ (GPG) genannt.

Durchschnittlich beträgt der GPG 37 Prozent. Die Rente von Frauen beträgt, über alle Vorsorgesäulen verteilt, nur 63 Prozent einer durchschnittlichen Rente von Männern. Fast die Hälfte (45 Prozent) der Frauen in der Schweiz bezieht keine Rente aus der II. Säule.

Die vielfältigen Referate beleuchten die systemischen Rahmenbedingungen, die männliche Rollenvorstellungen und entsprechende Lebensläufe systematisch übervorteilt und deshalb auch stets Anreize zur Beibehaltung setzt. Zu diesen Rahmenbedingungen gehört die Zuweisung von unbezahlter Fürsorgearbeit an Frauen. Eine Arbeit, die jährlich mehr als die doppelte Menge an Stunden umfasst, die für die doppelte Arbeit geleistet werden.

Am Beispiel der Pflegeberufe wurde aufgezeigt, dass trotz „Systemrelevanz“ die verfügbare Wertschöpfung nicht in höhere Löhne zugunsten von – zumeist weiblichen – Pflegekräften fliesst, sondern in Löhne, um den zunehmend höheren Anteil an Bürokratiearbeit, wie Dokumentation, Controlling und Evaluation abzudecken.

Die Rente von Frauen beträgt, über alle Vorsorgesäulen verteilt, nur 63 Prozent einer durchschnittlichen Rente von Männern.

Eine besonders schwierige Situation in Bezug auf Löhne und Absicherung trifft Migrantinnen, da in der Schweiz Sozial- und Ausländerrecht gegeneinander ausgespielt werden. Aus Angst vor Ausweisung beantragen viele Migrantinnen keine Sozialleistungen.

Diese Gesamtsituation, die bestehende Diskriminierung und hohe Perfektionsansprüche an Frauen – Berufstätige, Partnerin und Mutter – kombiniert, lässt Frauen erkennbar erschöpft im System allein. Lösungsvorschläge müssen dringend konsequenter angegangen werden. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung von Frauen und Männern, die Kinder betreuen, muss umgesetzt werden. So sollten beide Partner nicht unter einem Anstellungsgrad von 70% in der Lohnarbeit sein, um existenzsichernde Renten zu haben. Dies ist, trotz anderslautender Forderungen eines Referenten, eine immer wieder neu zu führende Auseinandersetzung in der Partnerschaft. Ein unangenehmer Part, den meist Frauen durchsetzen müssen. Gleichzeitig müssen sich Frauen auch als Ernährerinnen verstehen. Denn, wie es die Familienrechtlerin formuliert: Ein Mann ist keine Alterssicherung. Diese Erkenntnis sollten Frauen präventiv auch in ihrer Lebens- und Berufsplanung einbeziehen. Und nicht erst nach einer Scheidung.

Jeannette Behringer, promovierte Politikwissenschaftlerin und Ethikerin, leitet das Forum Demokratie & Ethik.
Kontakt: behringer@demokratie-ethik.org

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