In Flaschen gefülltes Leben

Soll die Grundversorgung – und speziell jene mit Trinkwasser – privatisiert werden dürfen? Nein, denn das füllt zwar die Kassen von Grosskonzernen, bringt der breiten Bevölkerung aber nur Nachteile.

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Was haben der Zürcher Kantonsrat, die Firma Nestlé, der Europarat und der brasilianische Präsident Michel Temer miteinander gemeinsam? Sie alle haben an einer Entwicklung teil, die sich mit dem Schlagwort »Privatisierung der Grundversorgung oder von öffentlichen Aufgaben« umschreiben lässt. Zu dieser Grundversorgung gehört auch – und nicht zuletzt – die Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser. Diese Versorgung garantiert, dass die Menschen Leitungswasser trinken können und nicht teures, in Plastik- und Wasserflaschen abgefülltes »Mineralwasser« kaufen müssen, bei dem man vor allem für die Verpackung und den Markennamen bezahlt (Nestlé etwa nennt seinen Verkaufsrenner werbewirksam »Pure Life«). Zur Grundversorgung gehören neben dem Wasser etwa auch die Post, die Telekommunikation, der öffentliche Verkehr, die Stromversorgung, das öffentliche Gesundheits- und Bildungswesen
und der öffentliche Rundfunk. 

Die Gewährleistung der Grundversorgung ist prinzipiell Sache des Staates. In der Schweiz wurden einzelne Teile dieser
Aufgaben ausgelagert und an private Aktiengesellschaften übertragen, deren Aktienmehrheit dem Staat gehört (zum Beispiel
sind 51 Prozent der Swisscom-Aktien fix im Besitz der Schweizerischen Eidgenossenschaft). Die Grundversorgung wird bei
uns vom Staat also immerhin noch kontrolliert, auch wenn in manchen Bereichen die Teilprivatisierung zum Abbau von Service-Public-Dienstleistungen geführt hat (etwa durch den Abbau von Poststellen). In anderen Ländern ging und geht die Privatisierung viel weiter. 

Begonnen hat dieser Prozess in den Achtzigerjahren, als in England Margret Thatcher und in den USA Ronald Reagan
an die Macht kamen und eine neoliberale Doktrin vertraten, die davon ausgeht, dass die »unsichtbare Hand des Marktes« alle Probleme lösen werde. Diese Metapher wurde 1776 von Adam Smith in seinem Werk »Der Wohlstand der Nationen« formuliert. Er umschreibt damit, dass sich das Allgemeinwohl automatisch einstelle, wenn sich die einzelnen Menschen um ihr eigenes Wohl kümmerten. Davon ausgehend wurde die Privatisierung der Grundversorgung anschliessend weltweit kopiert. Die Werte von Stadtbahnen, Kläranlagen, Schulen, Strom- oder Gasnetzen, aber eben auch von Trinkwasseranlagen wurden geschätzt und anschliessend an den Meistbietenden verhökert. 

Die unsichtbare Hand des Markts 

Die Allerweltslösung erwies sich als Irrtum: Nachdem in England 1993 die staatliche British Rail in private Gesellschaften
aufgespaltet worden war, musste nach einer Reihe von spektakulären Unfällen in den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren, die auf fehlende Zugsicherungssysteme und mangelhafte Wartung der Infrastruktur zurückzuführen waren, das Schienennetz »zurückverstaatlicht« werden. Es wird seit 2002 durch das neu gegründete staatliche Unternehmen Network Rail betrieben. Das Sicherheitsniveau ist inzwischen wieder vergleichbar mit den französischen und deutschen Eisenbahnen.
Auch die ehemals zehn regionalen Wassergesellschaften in England und Wales wurden privatisiert – und das zu extrem
günstigen Bedingungen. Nicht nur war der Preis niedrig, sondern die Unternehmen wurden vorher auch entschuldet und mit Betriebskapital versehen. Ausserdem wurden den Anteilseignern Vergünstigungen bei der Besteuerung der Gewinne zugestanden. Die Privatisierung führte zu stark steigenden Wassergebühren für die Kunden. Und um Geld zu sparen, wurde nicht weiter in die Infrastruktur investiert. 

Was Wolfgang Schorlau schon 2006 in seinem spannenden Krimi »Fremde Wasser « geschildert hat, hat sich heute noch verschärft: Der Kampf um den wichtigsten Rohstoff der Welt wird mit immer härteren Bandagen geführt. Zwar haben sich in Deutschland mittlerweile viele Kommunen auf Druck von Bürgerinitiativen für eine Rekommunalisierung entschieden. Und als erstes Land in der Europäischen Union hat Slowenien im November 2016 dem Recht auf Trinkwasser Verfassungsrang gegeben: Jede Person habe »das Recht auf Trinkwasser« und dieses sei »keine Ware«.

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