MÄCHTIG STOLZ: Ein ausserkirchlicher /-christlicher Blick

von Amira Hafner-Al Jabaji.

Sein grosses, quadratisches Format und der Blick in sein Innenleben machen rasch deutlich: Das ist kein Buch, das man sich als Lektüre für unterwegs einsteckt, keines das man einmal von vorn nach hinten durchliest und es dann für immer ins Regal stellt. Es ist ein Buch das sich immer wieder mit ganz unterschiedlicher Absicht hervornehmen lässt: weil man sich an Aktivistinnen erinnern möchte, weil frau Anekdoten aus den Anfängen der feministischen Theologie nachlesen will, um darin historische Fakten, Zahlen und Namen rund um die Bewegung nachzuschlagen, um sich mit den zahlreichen Fotos ein Bild davon zu machen, wie das damals war, um zu verstehen, welch nachhaltige Wirkung und Vernetzung die feministische Theologie und die Frauen-Kirche-Bewegung in weite Kreise erzielt hat, oder um sich durch die Kommentare anregen zu lassen, darüber nachzudenken, was heute ist und morgen sein könnte, wenn sich religiöse Institutionen auf Gerechtigkeit besinnen würden, die Geschlechtergleichheit nicht nur theoretisch in Erwägung zieht, sondern praktisch umsetzte.

Das Buch verblüfft mich und beschert mir ungeahnte Einsichten: Schon im Ersten Kapitel über «ORTE DES FEMINISTISCH-THEOLOGSICHEN AUFBRUCHS» treffe ich auf unerwartet viel Vertrautes. Die für den feministischen Aufbruch wichtigen kirchlichen Bildungshäuser, Paulus-Akademie Zürich, das Tagungs- und Studienzentrum Boldern, das Zentrum Gwatt und das Romerohaus in Luzern waren auch für die interreligiösen Begegnungen bedeutsam. Im weiteren Verlauf der Lektüre wird deutlich, dass das kein Zufall ist und auch den Leitungspersonen dieser Institutionen lag. Die Öffnung zu nichtchristlichen Theologien und die Realität zunehmender Präsenz anderer Religionsgemeinschaften in der Schweiz sowie der wachsende Widerstand christlicher Frauen gegen einseitig männliche Dominanz und Deutungsmacht in den Kirchen und universitären Lehrbetrieben verliefen eine Zeitlang parallel, überlappten sich dann aber zunehmend, und der interreligiöse Austausch unter Frauen – vor allem mit jüdischen und muslimischen – nahm rasch Fahrt auf. Auch der Blick ins Autorinnenverzeichnis und ins umfangreiche Personenregister am Ende des Buches löst Staunen bei mir aus: Wie kann es sein, dass ich als eine nicht kirchlich Sozialisierte, Aussenstehende, eine Muslima mit so vielen dieser Pionierinnen vernetzt bin, mit etlichen zusammengearbeitet habe oder es immer noch tue.

Vernissage im Fraumünster Zürich. Foto: Christa Amstutz.
Vernissage in der Offenen Kirche Elisabethen, Basel. Foto: Regula Vogt-Kohler

Bin ich in all den Jahren etwa unmerklich Teil einer christlichen/kirchlichen Frauenrechtsbewegung geworden? Habe ich mich vereinnahmen lassen? Habe ich sie vereinnahmt? Oder ist diese Verwobenheit Ausdruck einer oft geforderten Frauenallianz? Waren die interreligiösen Theologiekurse vor zwanzig Jahren der «safe space», der interreligiöses Lernen auf Augenhöhe ermöglichte, etwas das in Gemeinschaft mit Männern nicht (so einfach) erlangt wird? Ist die interreligiöse Öffnung unter Frauen selbstverständlicher, weil sie die Erfahrung des Marginalisiertseins verbindet und weil sie nicht auf institutionelle Strukturen Rücksicht nehmen müssen? Hat der interreligiöse Dialog gar die religiöse Frauenrechtsdebatte befeuert? Oder umgekehrt? Wie wichtig sind nicht-christliche Frauenstimmen heute für die Bewegung? Braucht es gar eine Frauensolidarität von den Minderheitenreligionen hin zu den Frauen in den Kirchen?»

Dass ich durch das Buch enorm viel von der Geschichte der kirchlichen Frauenrechtsbewegung und feministischen Theologie lernen würde, hatte ich erwartet. Dass mich das Buch darüber hinaus zu solchen Fragen anregen würde, nicht.

MÄCHTIG STOLZ. 40 Jahre Feministische Theologie und Frauen-Kirche-Bewegung in der Schweiz.
Doris Strahm und Sivia Strahm Bernet (Hrsg.) unter Mitarbeit von Monika Hungerbühler.
eFeF-Verlag 2022, 305 Seiten, ISBN 978-3-906199-27-6

4 Gedanken zu „MÄCHTIG STOLZ: Ein ausserkirchlicher /-christlicher Blick“

  1. Ich bin sehr neugierig.
    Jede Weise von ehrlicher Betrachtung der Aktivitäten, heute wie damals, tun nicht nur dem Menschenleben gut.

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    • Das Buch ist in jeder Buchhandlung und online zu kaufen bzw. zu bestellen. Hier nochmal die Angaben:
      MÄCHTIG STOLZ. 40 Jahre Feministische Theologie und Frauen-Kirche-Bewegung in der Schweiz.
      Doris Strahm und Sivia Strahm Bernet (Hrsg.) unter Mitarbeit von Monika Hungerbühler.
      eFeF-Verlag 2022, 305 Seiten, ISBN 978-3-906199-27-6

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  2. In der kath. Kirche sind weit mehr Frauen als Männer engagiert. Warum erreichen sie nicht mehr? Es fehlt doch auch an Solidarität unter den Frauen. Sie lassen sich zu leicht von Männern abdrängen auf unbedeutendere Positionen. Das Bild der „gehorsamen“ Maria hat sich Jahrhunderte lang eingeprägt und wurde schamlos missbraucht. Ebenso wurde das Gleichnis vom Hirt und den Schafen umgedeutet. Jesus geht es bei diesem Gleichnis absolut nicht um Gehorsam, sondern der Hirte setzt sein Leben ein.

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