Sexuelle Missbräuche sind Folge des reformbedürftigen Systems der römischen Kirche

«Machtmissbrauch und sexuelle Gewalt in der Kirche», diesem Thema war ein Podium der Universität Luzern gewidmet. Unter der Gesprächsleitung des Luzerner Staatskirchenrechtlers Prof. Adrian Loretan suchten fünf Theolog:innen nach den Zusammenhängen zwischen Machtmissbrauch und römisch-katholischem System. Wesentlicher Grund: das überhöhte Priesterbild.

Von Walter Ludin

Schon von Anfang herrschte unter den Theolog:innen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich Einigkeit darüber: Missbräuche sind keine Einzelfälle, sondern Folge eines kirchlichen Systems, das reformbedürftig ist. Eine wesentliche Rolle spiele dabei das «verklärte» Priesterbild. Die Täter würden geschützt statt die Opfer. Denn: Wenn der Priester als «Stellvertreter Jesu Christi auf Erden» angesehen werde, gelte er als unantastbar, betonte Julia Enxing, Theologie-Professorin an der TU Dresden. Zudem begünstige das Bild von Hirte und Herde die Machtausübung. Die Betonung des Amtes als «Dienst» lenke davon ab, dass es auch um Macht gehe.

Johannes Pock, Pastoraltheologe der Uni Wien, erinnerte daran, dass im Jahr der Priester (2009) das überhöhte Bild der geweihten Amtsträger bestätigt wurde; vor allem auch, indem der Pfarrer von Ars als Vorbild für die Priester hingestellt wurde. Sich voll verausgaben, die Körperlichkeit verleugnen, das sei zum Ideal erklärt worden.

«Die Täter werden geschützt statt die Opfer. Denn: Wenn der Priester als Stellvertreter Jesu Christi auf Erden angesehen werde, gilt er als unantastbar.»

Julia Enxing
Foto: Wolf Südbeck-Baur


Als Berufener und Geweihter stehe der Priester «ausserhalb der Normalität, ergänzte die Berliner Pastoraltheologin Prof. Birgit Hoyer. In seiner «Allwissenheit» sei er über Kritik erhaben. Werde er angegriffen, werde die «Heiligkeit» der Kirche in Frage gestellt.

Wie Standesdenken und Klerikalismus überwinden?

Führt oder begünstigt der (Pflicht)Zölibat den sexuellen Missbrauch? Daniel Bogner, Moraltheologe an der Uni Fribourg, sah keinen direkten, aber indirekten Zusammenhang.

Immer wieder ging es auf dem Podium, das via Zoom übertragen wurde und von 128 Personen mitverfolgt wurde, um die Frage: Wie überwinden wir das kirchliche Standesdenken und die Klerikalisierung? Eine Antwort habe vor 50 Jahren des Zweite Vatikanische Konzil gegeben mit seiner Betonung der gleichen Würde aller Getauften. Adrian Loretan erklärte: Papst Paul VI. habe mit der Einführung einer Kirchenverfassung die kirchenrechtlichen Konsequenzen daraus ziehen wollen. Doch sein Nachfolger Johannes Paul II. legte die Vorschläge auf Eis. So bleibt bis heute das monarchische System der Kirche bestehen – ohne Verteilung der Macht.

«Das Zweite Vatikanische Konzil betonte die gleiche Würde aller Getauften. Doch Johannes Paul II. legte die Vorschläge auf Eis.»

Adrian Loretan

Die Teilnehmenden des Podiums – alles Mitverantwortliche der theologischen Online-Zeitschrift feinschwarz.net – mussten sich am Schluss der Frage stellen: Wo bleibt Gott, wenn Missbrauch betrieben wird durch Männer in der Rolle von «Gottesvertretern auf Erden»? Theologin Helga Kohler-Spiegel, Feldkirch, plädierte dafür, Gott auf der Seite der Betroffenen zu sehen.

9 Gedanken zu „Sexuelle Missbräuche sind Folge des reformbedürftigen Systems der römischen Kirche“

  1. Danke, lieber Walter Ludin! Wir sind Kirche, 1995 in Österreich nach dem Missbrauchsskandal um den Wiener Kardinal Groer gestartet ist seit 27 Jahren an dieser Thematik dran. Mit dem Synodalen Weg in Deutschland sind die damals von Wir sind Kirche in Österreich formulierten Ursachen sexualisierter Gewalt endlich auch auf der kirchenoffiziellen Agenda und können nicht mehr geleugnet werden. Nach dem 2. Münchner Missbrauchsgutachten und dem jetzt unsäglichen Verhalten von Joseph Ratzinger (von 1977 bis 1982 Münchner Erzbischof) steht die römisch-katholische Weltkirche vor einer historischen Wende. Nach dem Vertuschung und Versagen der Kirchenleitung wird immer deutlicher: Wir alle sind Kirche!

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    • Aus Ihrem Beitrag:„ … Nach dem 2. Münchner Missbrauchsgutachten und dem jetzt unsäglichen Verhalten von Joseph Ratzinger (von 1977 bis 1982 Münchner Erzbischof) …“
      Sie setzen die Person Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. ohne Beweise herab. Sie berufen sich auf das Gutachten einer Münchener Kanzlei, das für Sie nichts beweist, sondern nur vermutet.
      In der Pressekonferenz, in der das Gutachten der Welt vorgestellt wurde, mussten die Gutachter auf Rückfrage einräumen, dass sie keine gerichtsverwertbaren Beweise vorlegen können, sondern nur einem mehrheitlich geteilten Verdacht gefolgt waren.
      Eine umfängliche Auseinandersetzung mit diesem Gutachten ist zu finden unter
      https://www.kath.net/news/77549
      Bitte versuchen Sie, sich damit auseinanderzusetzen.

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  2. Meine Damen und Herren!
    Ich frage mich besorgt, ob Sie sich überhaupt mal ernsthaft mit der Theologie des Leibes auseinandergesetzt haben und was für ein Gottes-, Menschen- und Kirchenbild Sie haben. Missbrauch des schändlichen Missbrauchs ist nämlich eine Instrumentalisierung einer ideologischen Agenda! Nur in Gebet und Einklang mit der Weltkirche können nötige Reformen umgesetzt werden, alles andere führt in ein unvermeidbares Schisma. Mögen wir davor bewahrt bleiben.

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  3. Wo bleibt Gott, das wurde auch in den KZs gefragt! Warum fragt keiner: Wo bleibt unser Gewissen, das ist von jeder Religion unabhängig! Diese Verantwortung liegt ganz allein bei uns! Und…. zur Verantwortung müssen alle Täter und Mitwisser gezogen werden, hier und jetzt, nicht erst im Jenseits!

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  4. The Church is in urgent need of systemic institutional change if it has to honestly deal with sexual abuse. The whole idea of priesthood has to change, as the present priesthood has too much of power, that helps them abuse and cover it up as well. Canon law is created by the same men who implement the law, will they ever use Canon law to indict themselves? There has to be a separation of powers in the Church. Canon lawyers should not be priests or bishops. The judicial arm of the Church should be staffed by qualified lay persons.

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  5. Für Laien erwies sich die Beantwortung der Frage, „Wo bleibt Gott, wenn etwas sich auf schlechte Weise ereignet, das durch Männer in der Rolle von Gottesvertretern auf Erden zu verantworten ist?“ immer schon, und heute nicht weniger, als schwierig. Wenn man bedenkt, an welchen Aussagen und Glaubensinhalten wir uns im eigentlichen Glaubensbekenntnis von Nicäa orientieren, unser Leben ausrichten sollten, die menschlichem Erkenntnis- und Vorstellungsvermögen schlicht nicht zugänglich erscheinen. Im Grunde eine Überforderung, die in die Orientierungslosigkeit führen kann! Aber bereits damals stritten sich die Anwesenden in der Versammlung der Bischöfe aufs heftigste, vermochten bezüglich der Festlegung der Wesensnatur von Jesus keine Übereinkunft zu erzielen, dergestalt, dass Konstantin, aus welchem Kalkül heraus auch immer, ein Machtwort gesprochen haben soll. Seither gelten offenbar der Bischof von Rom, seine Amtsbrüder und alle Priester in ihrer Nachfolge von Jesus in Teilen ihrer Wirktätigkeit als Stellvertreter Gottes auf Erden. Diese „Vertretungsfrage“ erweist sich wirklich als nur schwer verständlich. Wenn in Jesus ein Mensch gesehen würde, in der damaligen jüdischen Tradition stehend, der einfühlsam den Zugang zum Verstehen von menchlichen Situationen zu öffnen wusste, der aber manchmal auch auschliessend, ja feindselig wirken konnte, dann bestünde im Verständnis dieser Nachfolge oder „Vertretung“ vielleicht weniger die Gefahr, überhöhend immer das Richtige, oder gar die Wahrheit vermitteln zu glauben.

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  6. Im Jahr 1991 ist das Buch „Kleriker“ von Drewermann erschienen. Ich habe es damals mit Erschütterung gelesen und in den letzten Tagen nochmals. Hätten nur die Verantwortlichen der rk Kirche es ernst genommen! All die Jahre seither sind verstrichen, ohne grundlegende Reform. Daher vollzog und vollzieht sich der Stille Auszug auch der Engagierten.

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  7. Seit dem 2. Vatikanischen Konzil hat sich viel um die Kirche herumbewegt, aber nichts in ihr selbst…
    Und alle Bewegungen, die riefen „Hallo, wir gehören dazu!“. Alle Analysen über Ursachen und Nebenwirkungen, die sind so jahrzehntealt wie mein Theologiestudium her ist. Und bei einem alten System werden sie auch kaum noch mehr an neuen Erkenntnis bringen. Es bleibt Erschütterung!
    Es bleibt festzuhalten:
    Die Priester liessen sich weiter weihen, sich verehren und die Wäsche waschen und Unterhosen zusammenlegen.
    Die Nichtgeweihten wurden als Notnägel in den Werkzeugkasten gelegt und ab und an genutzt/ benutzt um das Gröbste nach Aussen hin zu flicken.
    Die Frauen freuten sich weiter über die Brotsamen unter dem Tisch und hofften/ hoffen bis Heute, dass die christlichen Brüder sie bald schon Platz nehmen liessen.
    Das Mahl des Herrn blieb Herrenmahl, denn egal wie viele sich um den Tisch scharten – manche blieben halt rein seinsmässig gleicher.
    Der erträumte Streik. Der Traum in dem alle in Solidarität ihr Amt, ihre Weihe niederlegen oder wenigstens für einen Tag die Arbeit ruhen lassen. Er blieb aus, weil alle so fleissig weiterarbeiteten.
    Und auch das Eucharistiefasten ob der Missbräuche und all der Skandale, von denen wir eigentlich längst schon wussten, rief niemand aus.
    Die Konzilspriester in die Jahre gekommen wussten indes nichts mit Rente anzufangen und messfeiern noch heute bis 80 und drüber (Bühne ist Bühne und Federer tritt ja auch nicht ab).
    Und Männer, die sich zu Diakonen weihen lassen, finden sich auch noch immer. Denn so ein Zipfelchen Macht ist attraktiv. Und wenn Gott ruft und beruft, dann kann mann doch wirklich nicht Nein sagen.
    Der Staat verteidigt die Menschenrechte. Sie sind in unserem Recht verankert. Die Kirche ist eine Welt anderer Ordnung. Nur logisch, dass der Politiker dem Bischof deshalb weiter die Hand schüttelt. Andere… andere Sitten… An die katholische Kirche gibt es keine Auflagen!
    Und was machen wir? Was macht das Kirchenvolk? Wir beten, wir hören – mit oder ohne Maske, dazwischen die Zeitung lesen… Und dann stehen wir um den Altar, teilen das Brot (den Wein tringen wir dann zum Feierabend) und suchen verzweifelt Jesus in unserer Mitte… Wo er sich wohl versteckt hat? … Oder ist er nicht längst schon gegangen?

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