Ein Priester, der wegen seines sexuellen Missbrauchs eine Pfarrei spaltet, Tatsachen verschweigt und dann das Handtuch wirft. Wie kam es dazu? Wer trägt die Verantwortung?
Thomas Max Müller / pixelio.de
Bei einer Pfarrwahl in der katholischen Kirche in Basel- Stadt wählt eine Pfarrwahlkommission den Pfarrer oder den Gemeindeleiter. Der Bischof bestätigt die Wahl und setzt den Pfarrer ein.
Im Fall des Priesters Stefan Küng, der Pfarrer in Riehen werden sollte, wurde ein falsches Spiel gespielt. Das wird aus der Mitteilung des Pfarreirates nach der Medienkonferenz des Bischofs vom 23.1.2019 deutlich.
Information des Pfarreirats St. Franziskus Riehen-Bettingen zur Pfarrwahl: „Stefan Küng kam 2015 durch unseren ehemaligen Pfarrer Rolf Stöcklin als sogenannter „Geistlicher Betreuer“ des privat geführten Assisihauses nach Riehen. Ohne Absprache mit dem Pfarreirat und ohne missio des Bischofs – der damalige Bischof Kurt Koch hatte Küng die missio entzogen – konzelebrierte er und übernahm Stellvertretungen in unserer Pfarrei. Es lagen weder von der Glaubenskongregation in Rom noch vom Staat rechtliche Auflagen bezüglich Berufs- oder Kontaktverbot vor. Nach dem Weggang unseres ehemaligen Pfarrers Ende 2016 übernahm Stefan Küng vermehrt priesterliche Aushilfsdienste. Sein Einsatz in den Gottesdiensten, privat auch in der Seelsorge, wurde von vielen in der Pfarrei geschätzt und war eine grosse Entlastung während der entstandenen Pfarrvakanz.“
Spiel mit den Informationen
Im März 2016 benannte der Pfarreirat drei Mitglieder für die sechsköpfige Pfarrwahlkommission. Diese wurden zusammen mit den übrigen Mitgliedern von der Pfarreiversammlung im April 2016 gewählt. Die zum jetzigen Zeitpunkt noch aktiven Mitglieder des Pfarreirats – inklusive der beiden Delegierten in der Pfarrwahlkommission – wurden weder von Herrn Küng noch vom Präsidenten der Pfarrwahlkommission aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes vollständig transparent informiert und hatten zu keinem Zeitpunkt Akteneinsicht. Bekannt war lediglich die Verurteilung im Jahre 2012 wegen einer Fussmassage zwei Jahre zuvor sowie Fussmassagen bei weiteren Jugendlichen ohne Konsequenzen. Auch andere Mitglieder des Pfarreirats haben von Anfang an und wiederholt mehr Transparenz im ganzen Verfahren gefordert, wurden damit aber abgewiesen. Von den Bedingungen, die der Bischof bei seinem Gespräch im Juli 2018 mit Stefan Küng und dem Präsidenten der Wahlkommission, Stefan Suter stellte und die er an eine Anstellung knüpfte (Transparenz bezüglich seiner Vergangenheit, öffentliche Wahl, supervisorische Begleitung und Coaching, keine Kinder- und Jugendarbeit), haben der Pfarreirat und seine Pfarrwahlkommissionsmitglieder erst durch die bischöfliche Pressekonferenz vom 23. Januar 2019 erfahren. Küng und Suter haben über dieses Gespräch den Pfarreirat nicht orientiert.
Der Pfarreirat bot Herrn Küng Unterstützung bei der Durchführung eines Informationsabends an und riet ihm, einen neutralen, pfarrei-externen Moderator zu wählen, damit transparent informiert und kritische Fragen offen gestellt werden könnten. Küng hat nicht auf die Ratschläge des Pfarreirats gehört und eine Zusammenarbeit bei der Vorbereitung des Informationsabends abgelehnt.
Pfarreirat enttäuscht von der Arbeitsweise der Pfarrwahlkommission
In einer anschliessenden Mitteilung formuliert der Pfarreirat: „Wir sind enttäuscht über den Arbeitsstil der Wahlkommission, die Intransparenz am Informationsabend vom 10. Januar 2019 und über die Respektlosigkeit im Umgang mit kritischen Meinungen. Unabhängig von der persönlichen Einstellung sind wir alle Teile derselben Gemeinde.“ Wie bereits im September versprochen, lud Stefan Küng jedoch erst auf den 15.Januar 2019 zum Informationsabend ein. In dieser Zeit kam es in der Pfarrei zu einer Spaltung. Die Pfarrwahlkommission votierte für eine stille Wahl. 132 Kirchenmitglieder wollten eine öffentliche Wahl. Als Wahltermin wurde der 10.2. festgelegt.
Der Informationsabend misslang gründlich
Eine Synodalin äusserte ihren Eindruck, die „Intransparenz“, wie Stefan Küng in die Pfarrei Riehen gekommen sei, habe die Pfarrei gespalten. Zwei der kritischen Stimmen beklagten aggressive Reaktionen ihnen gegenüber. Stefan Suter, Jurist und Präsident der Pfarrwahlkommission fasste die Umstände des Strafverfahrens zusammen, das die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau in den Jahren 2010 bis 2012 gegen Stefan Küng geführt hatte. Suter sagte, die Fussmassage an einem Jugendlichen wenige Wochen vor dessen 16. Geburtstag sei „nicht sehr schlau“, aber seiner Meinung nach nicht strafbar gewesen. Es sei ein Fehler gewesen, dass Küng den Strafbefehl, der eine bedingte Geldstrafe enthielt, nicht angefochten habe. Die Glaubenskongregation in Rom habe ihn kirchenrechtlich freigesprochen, drei Gutachten seien zum Schluss gekommen, dass von ihm keine Gefahr ausgehe. Suter zitierte aus dem vom Bischof in Auftrag gegebenen Gutachten des Forensischen Instituts Ostschweiz (forio), das in Küngs Handeln keine sexuelle Motivation erkannt, ihn in die tiefste Risikokategorie eingestuft und ihn uneingeschränkt zur Wahl als Pfarrer empfohlen habe. Daraufhin habe der Bischof entschieden, dass Stefan Küng Pfarrer sein könne. Drei Gutachten seien zum Schluss gekommen, dass von ihm keine Gefahr ausgehe. Stefan Küng soll Pfarrer in Riehen werden, ist aber wegen einer Fussmassage bei einem Jugendlichen vorbestraft. Am Informationsabend gingen die Wogen hoch, die Pfarrei ist gespalten. Küng bekommt auch Rückhalt. Kritische Fragen und Voten gab es, doch sie hatten es an diesem Abend schwer. Den Auftakt machte Stefan Suter, Präsident der Pfarrwahlkommission. In einem langen Statement rollte er den Werdegang von Stefan Küng auf und erklärte die Beweggründe, die zur Wahl von Stefan Küng führten. Den Abend eröffnete Stefan Suter, Präsident der Pfarrwahlkommission. In einem langen Statement rollte er den Werdegang von Stefan Küng auf und erklärte die Beweggründe, die zur Wahl von Stefan Küng führten.
Suter beschrieb Küng als „hervorragenden Priester und Seelsorger“ und lobte seine „wunderbaren Liturgien“. Ausführlich rollte er den Vorfall auf, der 2012 im Kanton Thurgau, wo Stefan Küng Pfarrer tätig war, zu einem Strafbefehl, einer einmonatigen Untersuchungshaft und einer bedingten Geldstrafe auf Bewährung führte.
Ein Fuss ist kein Sexualobjekt. Stefan Suter verschweigt, was er weiss
Eine Fussmassage bei einem knapp 16-Jährigen wurde damals vom Staatsanwalt als pädophiler und sexueller Akt angesehen. Küng verzichtete damals auf einen Rekurs gegen das Urteil. „Ein Fehler“, wie Stefan Suter mehrfach betonte. Denn seiner Meinung nach wäre Stefan Küng vor Gericht freigesprochen worden. „Der Fuss ist kein Sexualobjekt“, rief er ins Publikum. Was genau im Strafbefehl stand, was mehrere Votanten gerne gewusst hätten, darüber schwiegen sich Suter und Küng aus. Mehrere Gutachten zeigten aber, dass Stefan Küng keinerlei pädophile Neigungen aufweise. Nachdenklich macht aber die Beobachtung, dass Küng, obwohl er von den fünf Gutachten entlastet wurde, den Inhalt des Strafbefehls nicht bekannt gab. Glaubte er selber nicht an deren Inhalt? War ihm klar, dass die darin enthaltenen Aussagen keine Möglichkeiten liessen, noch einmal eine missio zu erhalten?
Stefan Suter hielt seine Ansprache in launiger Art und Weise. Immer wieder sorgte er im Publikum für Lacher. Dies irritierte auch eine Frau und ein Mann, die während Suters Erklärungen aufsprangen und ihm laut vorwarfen, „die Sache zu verhöhnen“. Christoph Schneider, ein ehemaliger Mitarbeiter der Pfarrei, blies ins gleiche Horn. „Sie nehmen die Opfer in der katholischen Kirche nicht ernst.“ Er und weitere Kritiker hätten massive Drohungen von Pfarreiangehörigen erfahren, weil sie es wagten, die Wahl von Stefan Küng in Frage zu stellen. Von einer „gespaltenen Pfarrei“ sprach eine ältere Frau. Woraufhin ein Mann aufstand und ihr entgegnete: „Es sind nur ein paar wenige, die wüst tun!“
Die klaren Vorgaben des Bischofs
Schon 2017 teilte die Pfarrwahlkommission Riehen dem Bischof mit, dass sie Küng zu ihrem Pfarrer gewählt hatten und verlangte vom Bischof, den Priester zum Pfarrer von Riehen zu ernennen. Nun musste der Bischof in die Zukunft schauen und durch Experten prüfen lassen, ob nach menschlichem Ermessen Übergriffe ausgeschlossen werden können. Im Sommer 2018 teilte der Bischof der Pfarrwahlkommission mit, dass er den demokratischen Wahlprozess respektiere und die Ernennung zum Pfarrer vornehmen werde, falls die Wahl definitiv zu Stande kommt. Zudem forderte er von Küng, seine Situation gegenüber der Pfarrei vollumfänglich offen zu legen. Das geschah aber auch am Informationsabend nicht. Zudem legte der Bischof weitere Bedingungen fest: supervisorische Begleitung und keine Kinder- und Jugendarbeit. Dem Bischof war „klar, dass eine berufliche Wiedereingliederung nur über Transparenz möglich wäre. Soweit es mir die Gesetze des Persönlichkeits- und Opferschutzes erlaubten, kommunizierte ich alles, was ich wusste. Bis zur Offenlegung des Strafbefehls durch den Thurgauer Staatsanwalt war Küng die einzige Person, die über den Inhalt des Strafbefehls hätte Auskunft geben dürfen. Das hat er jedoch nicht getan.“ Der vorenthaltene Teil des Strafbefehls warf ein neues Licht auf Küng. „Mit gespreizten Beinen setzte sich Stefan Küng nach Abschluss der Massage hinter den Jungen, umarmte ihn und legte seine Hände unter dem T-Shirt auf dessen Bauch. Anschliessend hat er den Oberkörper des Jugendlichen mit seinen Händen massiert.“ Auch ein kurzer Kuss auf den Nacken hat stattgefunden. Knapp zehn Minuten später hatte Stefan Küng laut Strafbefehl vom Oberkörper des Jungen abgelassen und die Fussmassage fortgesetzt.
Stefan Küng hat Bischof Felix Gmür enttäuscht, da er sich nicht an seine Bedingungen gehalten und so der Kirche Schaden zugefügt hat. Durch Barmherzigkeit wurde eine zweite Chance geschaffen, was der vom Papst ausgesprochenen Nulltoleranz zum widerspricht. Für den Bischof geht es um Gerechtigkeit und Toleranz. Gesellschaftlich gilt die Nulltoleranz, in Bezug auf die Barmherzigkeit als Kern des christlichen Glaubens könnte man die Chance eines zweiten Anfangs versuchen. Der Bischof wollte das auch, merkte aber, dass das in der gegenwärtigen kirchlichen Lage gar nicht möglich ist.
Pfarreien sind überfordert, mit sexuellem Missbrauch umzugehen.
Wer trägt die Verantwortung für die Scherben in Riehen und den Graben quer durch die Pfarrei? Das war meine Eingangsfrage. Dieser Bericht zeigt, dass es Stefan Küng ist, der Teile des Strafbefehls zurückhielt, Rolf Stöcklin, der den Priester Küng in die Pfarrei einführte und Stefan Suter, der alles inszenierte.
Sexueller Missbrauch und der Umgang damit schaffen eine komplexe Situation. Es gilt verschiedenste Aspekte zu analysieren. Die demokratischen Rechte und Pflichten sind zu berücksichtigen. Es dürfen auf Kosten der Opfer und Täter keine kirchenpolitischen oder andere Ziele verfolgt werden. Alle, die in den Pfarreien Verantwortung tragen, müssen darauf hin sensibilisiert werden und sich das nötige Wissen aneignen können.
Xaver Pfister, Theologe und Publizist
(Quellen: Kirche heute, basellandschaftliche Zeitung, mündliche Gespräche, Bistum )
Der Bericht von Xaver Pfister ist ehrlich und schonungslos um eine endliche Besserung bemüht. Dass es immer noch die Minderheit ist, die sich offen und konstruktiv um eine Überwindung dieses katholischen Traumatas bemüht, dass gibt auch mir zu denken.
„Drei Gutachten seien zum Schluss gekommen, dass von ihm keine Gefahr ausgehe.“ – Das ist ein mageres Anforderungsprofil an einen Priester. Von einem Seelsorger sollte nicht bloss keine Gefahr ausgehen, sondern gefragt wäre ein gut gefülltes Mass an persönlicher Reife, und dies schon vor der Priesterweihe. Die Verpflichtung zum Zölibat allein reicht halt leider nicht.
Leider sind einige Stellen dieses Berichts redundant; -ein besseres Lektorat wären dem Blog zu empfehlen!
Dass es sich beim Übergriff nicht einfach um eine Fussmassage gehandelt hat, ist dem Strafbefehl, wie er auch der ‚Rundschau‘ vorlag, offenbar deutlich zu entnehmen. Um einen solchen zu begehen, muss ein Mann nicht pädophil sein (woher auch immer diese Begriffsverwirrung?), sondern einfach in der Situation, seine allzu menschlichen Bedürfnisse nach Nähe und Intimität durch unstattmässige Befriedigung an Schutzbefohlenen zu vollziehen.
Aus der Ferne und in keiner Weise eingebunden, sehe ich zwei Schlüsselbegriffe. Nachdem diese nicht angemessen beachtet worden sind, mag man sie auch Reizworte nennen.
Der eine heißt Persönlichkeitsschutz. Die, die ehrlich mitspielen, müssen in erforderlichem Umfang
klären, was eine Persönlichkeit für den angestrebten Posten ist und sie dürfen sich entsprechend erkundigen. Wer dies schmälert, hat in dieser „causa“ nichts zu suchen.
Das ist andere ist Barmherzigkeit. Das ständige Reden über Barmherzigkeit, auch an höchster kirchlicher Stelle, kaschiert eher ein verantwortungsschwaches Verhalten, wo Klarheit, notfalls auch Härte, erforderlich ist. [Gott ist nicht nur allbarmherzig, sondern er ist auch allgerecht.]
Ich habe während meines Theologie-Studiums zeitweise im Priesterseminar Luzern gewohnt, zur gleichen Zeit wie Stefan Küng. Einige der Priesteramtskandidaten haben mir geklagt, dass das Thema ‚Sexualität‘ ein Tabu sei. Verdrängen heisst nicht, sich damit auseinandersetzen!
Als Seminarist wurde ich von einem Theologen in Rom, einem späteren höchst angesehenem Kardinal mit der der Frage in der Beichte bedrängt, wie oft ich masturbiere. Am Krankenbett, mit seiner Hand an meinem Knie. Ich habe ihn zum Teufel gejagt. Der Sprecher der schweizerischen Bischofskonferenz umarmte mich innig als er mich einem Kardinal vorstellen wolle. Ich habe das Priesteramt wegen einer Frau verlassen, ich wollte nicht unglaubwürdig sein vor meiner Gemeinde. Meine homosexuellen Kollegen und solche, die noch immer in Partnerschaft mit einer Frau leben, die blieben im kirchlichen Dienst, in hohen Ämtern zum Teil. Das System ist verlogen, menschenverachtend, die Karriere zählt. Kirche in der Schweiz im Jahr 2019. Zum Teufel mit dieser Kirche!
WIe recht Sie doch haben CHMartin! Ein Dominikaner an der Uni Fribourg, welcher mit einer Frau zusammenlebte, verlor durch Denunziation durch einen Mitbruder (sic!) seinen Lehrstuhl. Dieser wiederum (ehemals Sekretär der SBK) hat einem Kollegen von mir unzweideutige Avancen gemacht. Auf dessen Frage, ob dies nicht mit dessen Keuschheitsgelübde kollidiere, meinte der, das sei für ihn einfahc Nächstenliebe. Doppelbödiger geht nimmer!