Schluss mit den Monologen

Pfarrerin Kathrin Bolt zersägt mit einer Motorsäge die Kanzel und baut daraus einen Tisch der Sehnsucht.

Dass sie so weit gehen würde, konnte nun wirklich niemand ahnen. Als meine St. Galler Pfarrkollegin Kathrin Bolt für eine Motor-Sägen-Challenge nominiert wurde, war noch nicht abzusehen, dass aus dieser Nominierung etwas so Einschneidendes entstehen würde. Die Zwillingsbrüder Frank und Patrik Riklin, Gründer des «Atelier für Sonderaufgaben», haben eine Motor-Sägen-Challenge ausgerufen.

Von Uwe Habenicht*

Die Aufgabe für die Nominierten: Säge mit einer Motor-Säge ein Stück Realität irgendwo heraus und schaff daraus etwas Neues. Kathrin Bolt traf die Nominierung völlig unvorbereitet. Auch hatte sie bisher noch nie mit einer Kettensäge gearbeitet. Sie brachte die Herausforderung in unsere Teambesprechnung ein. Wir waren gerade dabei, eine zweite Experimentierphase mit predigtfreien Gottesdiensten zu planen.

Im Mai 2019 hatten wir für vier Wochen auf das Besteigen der Kanzel verzichtet und stattdessen neue partizipative Kommunikationsformen im Gottesdienst erprobt: Impro-Theater, Schweigen, Gespräch, Diskussion. Auslöser war ein Artikel einer jungen Kollegin, die den Sinn von Predigten grundsätzlich in Frage stellte. Provokativ hatte Hannah Jacobs damals ihre Überlegungen mit der Überschrift versehen:

«Herr Pfarrer, lassen sie Ihre Predigt stecken.»

Pfarrerin Kathrin Bolt. Fotos: Uwe Habenicht

Ist die Zeit der Kanzelrede wirklich vorbei? Wir hatten es für vier Wochen ausprobiert und waren durch dieses Experiment sehr intensiv mit unseren Gottesdienstbesucherinnen und – besuchern über das Hören und Erleben von Predigten ins Gespräch gekommen. Auch wird seitdem viel intensiver und aufmerksamer in unseren Gottesdiensten gebetet. Nach knapp drei Jahren wollten wir diese – wie wir es einmal nannten – «Operation am offenen Herzen des Gottesdienstes» wieder aufnehmen. Warum die Motor-Sägen-Challenge nicht als Anlass nehmen, wirklich etwas Neues und Sichtbares zu schaffen? Warum nicht das Monolog-Möbel zersägen und daraus ein Symbol der Gemeinschaft schaffen? Es dauerte nicht lange bis wir in einem unserer Gemeindehäuser eine alte Kanzel fanden. Und dann ging es los.

Kathrin Bolt erinnert sich an den Moment kurz vor dem entscheidenden Schnitt: «Noch nie zuvor hatte ich eine Motorensäge in der Hand. Ich bin aufgeregt. Ob ich dieses Gerät überhaupt zum Laufen bringe?» Mesmer Daniel macht es mir vor: «Hier musst du ziehen. Mit einem kräftigen Ruck. schon brummts.» «Beim dritten Mal klappt es. Mit Visier, Ohrenschutz und dicker Latzhose mache ich mich ans Werk», erzählt Pfarrerin Bolt. «Ich ziehe den Bauch ein, wie ich es im Pilates gelernt habe, um möglichst präsent und konzentriert zu sein. Und mache den ersten Schnitt ins Holz. Ja, es kostet mich schon etwas Überwindung. Ich spüre eine gewisse Ehrfurcht. Frage mich, ob das, was ich hier mache, moralisch vertretbar ist. Und finde: Ja. Das ist es. Es ist sogar sehr lust- und sinnvoll…»

Nach dem Sägen schieben wir die zwei Teile auseinander – und erahnen schon den Tisch, der daraus entstehen wird. Das Monolog-Möbel wird zum Tisch der Sehnsucht, zum Ort des Austauschs und des Gesprächs werden.

Auf Augenhöhe, nicht von oben herab, wollen wir mit anderen an diesem Tisch ins Gespräch kommen, diskutieren, vielleicht sogar streiten, schweigen und feiern.

Uwe Habenicht

Das Pfarrteam hinter dem Projekt (v.l.n.r.): Regula Hermann, Kathrin Bolt, Uwe Habenicht und Carl Boetschi.

Das Tanzensemble des St. Galler Theaters hat gerade Premiere mit seinem neuen Stück «»The Banquet» inszeniert vom Choreografen Kinsun Chan. Das ganze Leben, alle Lebensphasen, so zeigt das Stück, spielen sich rund um einen Tisch ab. Genau das ist es, was auch wir in unseren Gottesdiensten erlebbar machen möchten: Eine Tischgemeinschaft, in der keine Monologe gehalten werden, sondern das Leben geteilt wird.

Wenig später machen sich im Kirchenkeller fünf Jugendliche zusammen mit unserem Mesmer und mir an die Arbeit: sägen, bohren, messen, schleifen und anpassen. Wie soll die Tischplatte aus alten Hölzern aussehen? Die Jugendlichen überlegen und schieben und wenden die Hölzer hin und her. Diesem Tisch sieht man an, dass er eine lange und wechselvolle Geschichte hinter sich hat, so wie wir, die wir bald an ihm sitzen werden. Mal sehen, ob unser Motto «Die Verwandlung – Vom Monolog zur Tischgemeinschaft» wahr wird.

Film «Die Verwandlung – Vom Monolog zur Tischgemeinschaft»

Weitere Informationen zu den einzelnen Gottesdiensten im Februar finden Sie auf www.straubenzell.ch

*Pfr. Uwe Habenicht ist einer der drei Seelsorgenden, die mit Kathrin Bolt in St. Gallen Straubenzell arbeiten; er schliesst demnächst seine Ausbildung zum Predigt -Coach ab. Im März erscheint sein drittes Buch: «Draussen abtauchen. Freestyle Religion in der Natur» (Echter Verlag)

Die aufbruch-Redaktion plant ein Pro und Contra zur Frage: Sind predigtfreie Gottesdienste eine valable Alternative zur traditionellen Kanzel-Predigt? Diskutieren Sie online mit. Die Redaktion freut sich auf Ihre online-Kommentare.

8 Gedanken zu „Schluss mit den Monologen“

  1. Es ist der Beginn einer wirklich authentischen Kommunikation in einer Gemeinde – das finde ich sehr gut!! Es muß noch viel mehr Phantasie
    geboren werden innerhalb der traditionellen Räume, um genuin Beziehung aufzubauen zu Gott und denen, die Sehnsucht nach IHM haben.

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  2. Alles, was uns zusammenbringt, ist ein guter Weg.
    Die wirklich wichtigste Frage im Leben ist: „wie gehen wir miteinander um?“
    Gratulation zu Idee und Tat; nicht nur zum Zersägen und Tischbauen, sondern zu Gemeinschaft wagen und Gemeinschaft bauen!

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  3. Gute Aktion. Ich frage mich, was könnten wir bei uns Katholiken tun? Unsere Kanzeln kamen ja schon vor 60 (Konzil!) herunter.
    Ich könnte mir vorstellen, dass unsere Feiern zu realen Mahlfeiern ver-wandelt würden. Dann bräuchte es keine Priester mehr. Alle übernähmen Aufgaben, je nach Fähigkeit und Möglichkeit. Und die Theologinnen und Theologen? Sie begleiten und unterstützen mit ihrem Wissen über die grosse Erzählung.

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  4. Gespräche um einen Tisch , im Dialog miteinander sein finde ich wichtig und warum ich schon lange nicht mehr (katholische) Gottesdienste besuche ist, weil frau nichts dazu sagen, nichts dazu beitragen kann, sich nicht einbringen kann. Angepredigt werden ist nichts mehr für mich. Obwohl ich durch meinen Schweizer Lebensgefährten (leider vor Weihnachten verstorben) öfters reformiere Gottesdienste in der Schweiz erlebte, bei denen die Predigten gehaltvoll waren.
    Ich selbst habe mich schon 1998 – 2000 zur Ritualleiterin ausbilden lassen, biete diese zu 8 Punkten im Jahr an. Alles viel mit und in der Natur auch und mit gemeinschaftlichen internationalen Reigen- und Bachblüten-Tänzen. Das findet alles in kleinen Kreisen statt.
    Christine Schaffer-Reinsperger
    Klosterrotte 10
    A-3180 Liliebfeld
    Austria

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  5. Ist nicht der Talar das Symbol der Überheblichkeit? – Die „Ermächtigung zu predigen schlechthin?
    „Schlecht-hin“ oder „schlecht-in“? dies müsste die eigentliche Frage sein! –
    Der INHALT eines Gesprächs – sei es ein monologisch Ganzes oder seien es „monologische Teile“ als Abfolge von Beiträgen, welche schlussendlich nur in allseitigem Einbezug der einzelnen Monologe ein Gespräch ergeben.
    Schön, wenn ein Monolog zu einem Dia- oder Multi-Log würde!
    Als erstes würde ich mal – mit oder ohne Kettensäge – diese idiotischen Kostüme demontieren.
    Dass diese PromotorenInnen nicht selbst auf diese Idee kommen und sich ganz konterkariert-demonstrativ in ihren komisch-ehrerbietigen Klamotten um eine Kettensäge versammeln, empfinde ich als eine sehr deutliche Bildsprache der überheblichen Hilflosigkeit.
    Vielleicht kann mir jemand nachempfinden, dann muss ich nicht noch deutlicher werden.

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  6. Christina Bamberger ist mein Name.
    76 Jahre lebe ich und brachte 4 Kinder zur Welt.
    Die Älteste starb 19 jährig an einem Verkehrsunfall.
    Ich bin geschieden und wieder verheiratet – glücklich.
    Mein Mann ist evangelisch, ich katholisch.
    In beiden Kirchen erleben wir das religiöse Leben, eben ökumenisch.
    Ich empfinde das Predigen in beiden Religionen zu oft alltagsfremd.
    Ich kann davon nichts mitnehmen.
    Die wirklichen Alltagsprobleme bleiben draußen.
    Hauptsächlich den Konfirmaten, die ihre Gottesdienste absolvieren sollen / müssen, ist Predigen fremd.
    Doch hatten wir im evangelischen Bereich schon einmal einen Predigttext, zu dem die Gemeinde sich äußern konnte.
    Dazu ist noch eine zu große Unsicherheit vorhanden.
    Oder es gäbe andere Alternativen, die ich begrüßen würde.

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  7. Ich bin ein Freund des Dialogischen, nicht des Monologs. Und gerade deswegen befremdet mich die beschriebene Aktion. Aus mehreren Gründen:
    1. Sie ist drastisch und Aufmerksamkeit erheischend. Das entspricht den Regeln moderner Kommunikation (die zuweilen doch sehr monologisch geartet ist). Aber führt dies ins Überdenken und in den Diskurs? Doch viel eher in die emotionale Zustimmung oder Ablehnung (und wir erfahren doch die Schattenseiten solcher Kommunikation zuhauf)…
    2. Mit dieser Aktion wird ein Missverständnis der Predigt befördert und zementiert. Denn die gelungene Predigt ist dialogisch. Sie provoziert ein inneres Gespräch, Widerspruch, Weiterdenken, Abschweifen … Kollegin Bolt geht von einem plumpen, defizitären und missbräuchlichen Verständnis der Predigt aus („von der Kanzel herab“). Das ist aber ihr Missbrauch.
    Und dazu: auch das Symbol des für etwas falsch Empfundenen sollte nicht zerstört werden. (Es gibt Raffinierteres, Dialogischeres und Humorigeres als heilige Eichen zu fällen.)
    3. Wir sind als Kirche offensichtlich in dem Masse ein Non-Valeur (Gott Dank, vielleicht), dass selbst der Kanzelsturm und die Zerstörung der Kanzel von kirchlich Besoldeten sebst in einem Happening in Szene gesetzt werden muss. – Auch eine Unfähigkeit zu trauern? Oder: viel Kettensägen-Lärm in der Blase?

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  8. Mir gefällt es, dass aus einer alten Kanzel ein Tisch geworden ist zum Dialog. Sehr schön finde ich auch, wie die Pfarrerin junge Helfer bekam, zur Anfertigung. In der Katholischen Kirche sollte jemand auf die Idee kommen aus einem Altar einen normalen Tisch zu machen. Es ist doch total falsch, dass man den Messias die ganze Zeit opfert.

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