Slam-Poeten gegen Prediger … und es funktioniert!

So, dass die Kirche proppenvoll ist. Und zwar voller Leben! Kinder, Jugendliche, Junge, Junggebliebene, Alte – alle gehen mit, lassen sich von der Atmosphäre mitreissen, werden vom Dargebotenen berührt.

von Christian Urech

Die Heiliggeistkirche in Bern – jede und jeder, der mit dem Zug in die Bundesstadt fährt, kennt sie, weil sie gleich neben dem Bahnhof steht – ist an diesem regnerischen Samstag, dem 25. April 2015, gefüllt bis auf den letzten Platz. Gefüllt mit Leuten, die gespannt zuhören, lachen, klatschen, johlen, stampfen… Die Augen von Andrea Meier, die den Anlass aus der Taufe gehoben hat, leuchten: Sie kann es fast nicht glauben, dass das, was für sie als Experiment, ja als Wagnis begonnen hat, zu solch einem Erfolg wird. Es geht also doch: Kirche kann begeistern!

Eingebettet ist der Anlass in den Aktionstag «Cantars Rap and Poetry» im Rahmen des ökumenischen Kirchenmusikfestivals Cantars. Als ich in der Heiliggeistkirche eintreffe, ist die Breakdance Battle in vollem Gang. Die Jungs fliegen durch die Luft, drehen sich auf dem Kopf, Arme und Beine und andere Körperteile wirbeln durcheinander, was das Zeug hält. Breakdance und Kirche – passt das zusammen? Ich war auch skeptisch, aber jetzt muss ich sagen: und wie! Eine stimmungsvollere Kulisse als der Innenraum dieser wunderbaren Kirche ist kaum vorstellbar, und man meint das ehrwürdige Gebäude geradezu aufatmen zu hören vor Dankbarkeit, dass sie endlich wieder mal so richtig mit Vitalität und Lebensfreude gefüllt wird (verzeihen Sie mir die etwas gewagte Personifikation). Die Kirche wird heimelig im Sinn von heimatlich: zum Begegnungsort.

Berndeutsche Wortkaskaden

Manillio
Mundartrapper Manillio aus Solothurn.

Junge Künstler, 12-, 13-, 14-Jährige aus dem HipHop Center Bern, rappen. Mit grosser Selbstverständlichkeit bringen sie ihre scheinbar mühelos konstruierten, meist berndeutschen Wortkaskaden mit vollem Körpereinsatz ans Publikum – nahtlos abgelöst vom Mundartrapper Manillo aus Solothurn, von dem der Blick in seiner gewohnt grossmäuligen Art geschrieben hat: «Nur Madonna kann diese Jungs aufhalten» (mit «Jungs» sind neben Manillo die anderen Mitglieder der Band Eldorado FM gemeint). Völlig falsch! Manillo mit Madonna zu vergleichen, ist etwa so schräg wie der Vergleich zwischen einer Gurke mit einer Banane. Manillo fühlt sich anfangs im ungewohnten Rahmen etwas gehemmt (auch für ihn ist es der erste Auftritt in einer Kirche), aber als er merkt, wie begeisterungsfähig das Publikum ist, taut und dreht er auf, bringt die Jungs und Mädels dazu, die Arme in der Luft zu schwenken und mit zu klatschen. Wer hat gesagt, dass die Berner gemächlich seien? Die Berner haben fast noch mehr Pupf im Füdli als die coolen Zürcher, will mir scheinen.

Nach einer kurzen Pause füllt sich der Kirchenraum noch mehr: Viele sind extra wegen dem «Wettkampf» zwischen Predigern und Slammern gekommen. Die Spielregeln werden von der bekannten Moderatorin Fabi N. Käppeli, die zwar nicht Kopfrechnen kann, aber selber eine lustige Nummer ist, so erklärt: Drei Slammer treten gegen drei Preacher an. Jeder Auftritt wird von sieben spontan ausgewählten Juroren mit Noten von 1 bis 10 bewertet. Die jeweils beste und schlechteste Note wird gestrichen, der Rest zusammengezählt. Der bestbenotete Slammer tritt im Final dann gegen den bestbenoteten Preacher an. Der Sieger des Abends, der für einmal keinen Whiskey gewinnt, sondern sechs Flaschen Mönchsbier, wird vom Publikum per Akklamation gekürt (es gewinnt also die Person, die am meisten Lärm auslösen kann).

Schwergewichte ihres Fachs

Reanto_Kaiser_Bern
Slammer Renato Kaiser aus St. Gallen.
Marguerite_Meier
Marguerite Meier hat den Capital Slam in Bern gegründet.

Drei Slam-Schwergewichte, der soeben (wieder-)ernannte Poetry-Slam-Schweizermeister Christoph Simon (er spricht echt Bärndütsch), der Schweizermeister von 2012, der auch schon bei Giacobbo/Müller aufgetreten ist, Renato Kaiser (St. Galler-Dialekt), und last but not least die zürcherische Aargauerin (oder aargauische Zürcherin) Marguerite Meier, Initiatorin und Moderatorin des Capital Slam, eines monatlich in der Berner Reitschule stattfindenden Slam-Wettbewerbs. (Dazu ein Hinweis in eigener Sache: Am 12. Mai werde ich selbst beim Capital Slam mitmachen. Sie sehen also, das – oder der? – Virus hat auch mich gepackt.)

Auf Preacher-Seite sind nicht minder schwergewichtige (im metaphorischen Sinn gemeint) Theologen: Philipp König; reformierter Pfarrer in Bern-Bümpliz und aufbruch-Mitarbeiter; Martina Schwarz, reformierte Pfarrerin in der Berner Kirchgemeinde Johannes, und der katholische Andreas Kessler, Dozent für Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Universität Bern und Fachdidaktiker für «Religionslehre» an der PH Bern.

Preacher-Slam: Philipp König, Pfarrer und aufbruch-Mitarbeiter.
Ich bin auch ein Ameisenhaufen: Philipp König, Pfarrer und aufbruch-Mitarbeiter.
Erster Auftritt an einem Slam-Poetry-Wettbewerb: Die Berner Pfarrerin Martina Schwarz
Erster Auftritt an einem Slam-Poetry-Wettbewerb: Die Berner Pfarrerin Martina Schwarz

Philipp König ist keine Billardkugel, sondern ein Ameisenhaufen und bittet darum, nicht von Billardstöcken gestochen zu werden. Christoph Simon nimmt ironisch, auch selbstironisch, die Männlichkeit auf die Schippe und erklärt, wie sich ein Mann verhalten muss, damit ihm garantiert alle Freundinnen davonlaufen. Marguerite Meier stellt in einem tiefsinnigen Text die Frage: «Was ist Freiheit?» und kommt zum Schluss: wohl alles Mögliche – aber wir kennen die Freiheit nicht, weil wir in und mit ihr aufgewachsen sind. Renato Kaiser bezieht sich in seinem Beitrag auf die Aussage von Papst Franzskus, Eltern könnten ihre Kinder mit Schlägen bestrafen, es dürfe nur nicht ihre Würde verletzen, und eine andere Aussage, die folgendermassen zitiert wird: «Wer meine Mutter beleidigt, erwartet einen Faustschlag.» Dies veranlasst Kaiser zu einem fulminanten, witzig-bösen Brief an den Papst, in dem er ihn um Erziehungsratschläge bittet. Und Andreas Kessler schildert auf humorvolle und tiefsinnige Weise den «typischen Grillabend» eines Theologen, der mit kirchenkritischen Aussagen anfängt und mit Bekenntnissen zu eigenen spirituellen Erfahrungen endet. In der Zusammenfassung klingt das nüchtern, aber wie Kessler das formuliert und vorträgt – brillant.

Der Sieg des Theologen

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Slam-Schweizermeister 2014 Christoph Simon.

Am Schluss haben Christoph Simon und Andreas Kessler die meisten Punkte geholt. Sie müssen nun noch einmal mit einem zweiten Text gegeneinander antreten. Kessler wählt wiederum ein theologisches Thema – die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies. Und er schildert unsere Sehnsucht nach einer Rückkehr ins Paradies und meint, dass vor jedem Eingang zu diesem Paradies ein Engel mit gezücktem Schwert stehe, der uns den Eintritt verwehrt, worauf wir die Abkürzung zu selbstgebastelten Paradiesen suchen, in denen wir einfache Antworten serviert bekommen. Und Christoph Simon sinniert über das Glück, das darin besteht, dass man nicht zum Zahnarzt geht, weil man muss, sondern weil man will, vor allem, wenn der eigene Vater Hobby-Zahnarzt (!) ist.

Andreas_Kessler
Der Theologe Andreas Kessler hat den Poetry-Slam-Wettkampf für sich entschieden.

Andreas Kessler lag im Schlussapplaus deutlich vorn und entschied den Wettkampf für sich. Ich finde: zu Recht, auch deshalb, weil es (wie übrigens auch für Martina Schwarz) sein erster Auftritt an einem Slam-Poetry-Wettbewerb war und er im Vorfeld mehr als skeptisch war, ob das alles gut komme. Nun, es ist gut gekommen, und wir hoffen, dass Andreas Kessler diesen neuen Tätigkeitszweig wachsen und gedeihen lässt und sein Talent als Slam-Preacher auch weiterhin pflegt.

Der Pfarrer der Heiliggeistkirche, Andreas Nufer, der den ganzen Aktionstag zusammen mit Andrea Meier moderierte, hat auf die Poeten gesetzt, Andrea Meier auf die Prediger. Gewonnen hat letztlich vor allem das Publikum, das sich begeistert zeigte. Was hoffentlich zur Erkenntnis führt, dass sich eben doch viele Menschen für theologische Fragen interessieren (und für brillante Texte und für gekonnte Vortragsweisen) und dass sie sogar in die Kirche kommen, um sich damit auseinandersetzen – wenn sie ernst genommen und dort abgeholt werden, wo sie eben stehen und gehen, und nicht mit gähnender Langeweile bestraft werden.

Fazit: Das Experiment ist geglückt. Eine Fortsetzung folgt hoffentlich bald.

Alle Bilder: Christian Urech

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