Sorgfältig und süffig

«Beben über der Reuss» – der neue Roman zu Anna Bullingers bewegter Lebensgeschichte lässt die Leserschaft in die Welt der Reformation abtauchen. Informativ, akribisch und doch süffig.

Von Cristina Steinle.

In „Beben über der Reuss“ erzählt Catherine Meyer die bewegte Geschichte von Anna Bullinger, geborene Adlischwyler, der Frau des berühmten Reformators und Pfarrers Heinrich Bullinger, einem Weggefährten Zwinglis. Als Dreh- und Angelpunkt der Erzählung dient der Autorin das Amtsgebäude des Klosters Muri, der „Muri-Amthof“, welcher in Bremgarten über der Reuss thront. Seit 1870 befindet sich das Bremgartner Wahrzeichen in Besitz der Vorfahren Catherine Meyers. Die Autorin selbst wuchs ebenfalls dort auf. So schreibt sie: „Die Geschichte des Hauses wiegt schwer, sie erdrückt mich manchmal beinah. Wie Schwaden von Erinnerungen umgibt sie mich.“ Dabei durchbricht Meyer die Erzählung rund um die historische Figur Anna Bullinger regelmässig durch kurze, fast stichwortartige Anekdoten aus ihrer eigenen Kindheit und der Familiengeschichte.

Der Roman beginnt mit Anna Bullingers Besuch 1530 im Amthof. Abt Laurenz von Heidegg lädt sie zum Gespräch: Der Katholik interessiert sich für die Ansichten der ehemaligen Bewohnerin eines Zürcher Dominikanerinnenklosters, die seit Kurzem mit einem protestantischen Pfarrer verheiratet und nun verantwortlich für die Mädchenbildung in der Stadt ist. Über 340 Seiten zeichnet Catherine Meyer ein ausführliches Bild Anna Bullingers: von ihrer Kindheit über die Zeit im Kloster bis hin zum Familienleben der 11-fachen Mutter. Es geht um Glaubens- und Machtkämpfe, das Grauen der Pest-Epidemie, aber auch Freundschaft, Liebe und Bildung.

Die auktoriale Erzählerin verflechtet dabei historische Informationen mit fiktiven Handlungen. So beschreibt sie beispielsweise anhand des Treffens von Anna und Abt Laurenz nicht nur deren Absichten, Gefühlslage oder Erinnerungen, sondern auch deren Umgebung, das Ambiente, die Lebensweise. Mit diesem literarischen Kunstgriff wird den Leser:innen ein tiefes Abtauchen in die Welt zur Zeit der Reformation – und ganz besonders in die Lebenswelt einer Frau aus besserem Hause.

Catherine Meyer, Beben über der Reuss. Historischer Roman, efef-Verlag 2022, 340 Seiten, ISBN 978-3-906199-23-8
Muri-Amthof in Bremgarten, Quelle: wikimedia.org

Während von Heinrich Bullinger Predigten, über hundert Werke und mehr als 10’000 Briefe überliefert sind, existiert von seiner Frau lediglich noch ein einzelner Brief. Umso wichtiger erscheinen da die umfassenden Recherchen Catherine Meyers, welche das nicht minder interessante Leben der Anna Bullinger in Erinnerung rufen: Einer gebildeten Frau im 16. Jahrhundert, die sich am Weltgeschehen beteiligte, sich mit anderen starken und gelehrten Frauen überregional vernetzte, sich einsetzte für die Bildung junger Frauen und den Erhalt wertvoller Schriften. Ein historischer Roman, informativ, akribisch und doch süffig.

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