Es gibt einen volkstümlichen Islam, jenseits starrer institutioneller Vorgegebenheiten. Formen der Volksfrömmigkeit stellen auch in der muslimischen Religion einen wichtigen Bestandteil gelebter Alltagskultur dar. Diese vielleicht ungewohnte Herangehensweise hat sich der Ethnologe, Islamwissenschaftler und Schriftsteller Jürgen Wasim Frembgen zu eigen gemacht. Seine Beobachtungen hat er im Rahmen einer musikalisch umrahmten Abendveranstaltung einem bunt durchmischten Publikum präsentiert. Das Zürcher Institut für den Interreligiösen Dialog (ZIID) hat den Abend veranstaltet und eröffnete damit eine erkenntniserweiternde Perspektive auf die mystische Ausformung muslimischer Gottergebenheit.
Von Gian Rudin
Mit den Sinnen Gott entgegen
Die islamische Mystik will den Menschen zur Offenheit für die Nähe Gottes sensibilisieren und ihm dadurch eine authentische und ungetrübte Selbstsicht vermitteln. Dies gelingt, indem das Ego zu Staub zerstossen wird, wie Frembgen dies poetisch formuliert. Diesem Akt der Destruktion folgt aber wiederum die Verschmelzung mit dem Gegenüber Gottes. Dies ist aber nun nicht im klassischen Sinn ein asketisches Unterfangen, sondern erfordert die Wachheit der Sinne. Die im gesamten islamischen Kulturraum bedeutsame Farbe Grün symbolisiert dabei die paradiesische Sehnsucht und Bestimmung des Menschen. Die Praktiken der Sufis sind also Wegmarken in Richtung Paradies. Ganz im Sinne eines mystischen Vokabulars spricht Frembgen hier von einer Ent-Werdung ins Göttliche Hinein. Auch das in diesem Zusammenhang geübte Schweigefasten dient der Schärfung der durch den Lärm der Geschwätzigkeit abgestumpften Wahrnehmung. Im Facettenreichtum der Welt die Einheit und Einzigartigkeit Gottes erkennen, das ist das Fernziel der Gottestrunkenen.


Im Bannkreis heiliger Worte
Im Islam spielt das schriftlich fixierte Wort eine tragende Rolle. Dies zeigt sich auch in der wohl bekanntesten Form sufistischer Mystik: Die wiederholende Rezitation des Gottesnamens (dhikr) will den Meditierenden in die Tiefe des göttlichen Geheimnisses einführen. Das Angedenken des Namens führt den Betenden in die Präsenz Gottes. Der Körper dient dabei der inneren Ausrichtung und intensiviert das Erlebnis. Der Drehtanz ist mittlerweile ein Phänomen des elaborierten Kulturgenusses und füllt Konzertsäle. Insgesamt tut sich der Sufismus, wie die mystischen Traditionen im Allgemeinen, durch eine ausdrucksstrake Bildsprache hervor. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die Erfahrung der göttlichen Herrlichkeit das Sagbare übersteigt und das Fassungsvermögen menschlicher Sprachfähigkeit sprengt. Die lyrische Kurzform Ghazal spielt vor allem im persischen Sprachraum eine herausragende Rolle bei der Umschreibung des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch. Hier zeigt sich eine rauschhafte Liebeslyrik, welche die Hingabe an Gott seitens des Menschen und die von diesem ausstrahlende Erhabenheit in Worte giesst. Die Unvergleichbarkeit Gottes drückt sich aber auch in Phänomenen der Kalligrafie (Schönschrift) und gesanglichen Koranrezitation aus. Dabei rückt dieser volksnahe Islam in einer erkennbare Distanz zu fundamentalistischen Religionsausprägungen wie dem Wahhabismus oder dem Rigorismus der Taliban (welche gemäss Frembgen ihren eigentlichen Ursprung auch im Sufismus haben). Hier wird Musik als weltliches Zerstreuungsmittel abgewertet, an den Sufi-Schreinen, insbesondere in Pakistan, sind die spirituellen Klangwelten unabdingbarer Bestandteil der mystischen Erfahrung und haben einen gewichtigen Anteil bei der Vergemeinschaftung der Menschen untereinander.
Der Abend hat Einblicke in eine reichhaltige und unbekannte Welt ermöglicht, das musikalische Duo Zazat & Dimarek haben das Gehörte sinnlich vertieft und das Schweifen der Gedanken begünstigt.
