Kann der Synodale Prozess die Kirche aus ihrer Glaubwürdigkeitskrise führen?

Gross sind die Hoffnungen, die Papst Franziskus und die Bischöfe in den weltweit laufenden Synodalen Weg setzen. Doch gewichtige Stimmen bezweifeln, dass dieser inzwischen zentralisierte Prozess die Glaubwürdigkeit der römisch-katholischen Kirche erneuern kann.

Wichtig ist, dass wir unterwegs sind

Joseph Bonnemain ist seit 2021 Bischof von Chur. Zuvor arbeitete der 72-Jährige als Spitalseelsorger und Offizial. Bonnemain ist Mitglied des Opus Dei.

Foto: Christoph Wider

Die Kirche sollte sich nicht um ihre Glaubwürdigkeit kümmern. Sie ist kein Unternehmen. Die Gläubigen sind die Kirche. Unser Glaube ist grundsätzlich Beziehung zu Christus, was nur in einer liebenden Beziehung zu den Menschen echt sein kann. Der Synodale Prozess will diese Beziehungsdynamik wiederbeleben und weiterentwickeln. Der Mensch ist das Wesen, das sich nur ausserhalb seiner selbst findet. Der Synodale Prozess fördert dieses Umdenken, eine persönliche Redimensionierung, ein Abrücken von sich selbst, ein »verrückt « sein. Wichtig ist nicht nur, was die Synode am Ende erreicht, sondern dass wir bereits unterwegs sind im gemeinsamen Ringen um Synodalität. Dabei gewinnen wir an persönlicher und gemeinsamer Weitsichtigkeit; zeigen uns offen für Austausch, Dialog und Zuhören. Wir werden anziehende Zeugen:innen der Frohbotschaft, was schliesslich die Glaubwürdigkeit ausmacht.

Wir müssen auch nicht aus der Krise herauskommen. Was uns in Frage stellt, bringt Dynamik, Wachstum und Umdenken. Krisen laden zu einer Standortbestimmung und zur Entwicklung ein. Wer nicht erkennt, in einer Krise zu sein, bleibt in einem pubertären Glauben stecken. Wo alles klar ist und gleich bleibt, kann der Heilige Geist nicht viel bewegen. Synodalität bedeutet, dauernd in einer Krise zu sein, sich in Frage stellen zu lassen. Was nicht gut ist, sind Konflikte. Konflikte blockieren, verstärken das Starren in den eigenen Positionen, schüren Rivalitäten und vertiefen die Gräben. Die Polarisierung in der Kirche entsteht nicht wegen Krisen, sondern aufgrund von Konflikten. Zu lernen einander zuzuhören, um gerade dadurch die leise Stimme des Heiligen Geistes wahrnehmen zu können, hilft uns, aus den Konflikten konstruktiv herauszukommen.

Der Synodale Prozess ist somit sehr zu begrüssen, weil er uns durch eine heilsame und fruchtbare Krise begleitet und uns hilft, uns nicht zu sehr um die Glaubwürdigkeit der Institution Kirche zu kümmern.

Bitte kein leeres Versprechen

Erwin Koller, Theologe, Publizist und aufbruch-Ehrenpräsident. Bis 2020 präsidierte der 80-Jährige die Herbert-Haag-Stiftung für Freiheit in der Kirche.

Foto: Südbeck-Baur

Wenn Kirche aus Menschen besteht, die miteinander unterwegs sind, getrieben von einer gemeinsamen Hoffnung, dann müssen diese Menschen auch mal Halt machen, sich beraten, Meinungen austauschen, Beschlüsse fassen. Wie sonst könnten sie ihren Weg ausmachen. Nichts anderes meint Synode.

Die Frage ist nicht, ob man das soll, sondern ob man es will. Sollen diese Menschen – das Konzil nennt sie Volk Gottes – wirklich mitbestimmen, wie es mit der Kirche weitergeht? Alle Erfahrungen sprechen dagegen.

Wenige Jahre nach dem Konzil führten die Schweizer Diözesen die Synode 72 durch. Mehrere Jahre. Reiche Früchte. Was wurde umgesetzt? Nichts.

Vor gut zwei Jahren die Amazonas-Synode. Bischöfe, Seelsorgerinnen, engagierte Laien beraten in Rom gemeinsam und fassen Beschlüsse. Ein Herzensanliegen von Papst Franziskus. Dann gibt ihm der alte Papst einen Schuss vor den Bug, und Franziskus wagt nicht, auch Männer und Frauen aus dem Volk mit der Feier der Eucharistie zu beauftragen. Verloren haben beide: die Völker Amazoniens und die Glaubwürdigkeit des Papstes.

Vor zwei Jahren haben auch Deutschlands Katholiken einen synodalen Weg begonnen. Bischöfe packten den Strohhalm, um aus der katastrophalen Vertrauenskrise des sexuellen Missbrauchs herauszukommen. Doch auch hier: Der Papst warnt. Kardinäle poltern.

Als erprobte Demokraten wissen wir: Volksentscheide können falsch ausfallen. Doch wir machen nicht den Kurzschluss, Chefs seien weniger fehleranfällig. Genau dies aber ist die Krankheit des katholischen Systems. Selbst in tiefster Krise herrscht ein hochmütiger Klerikalismus: Nur wir sind berufen, zu entscheiden.

Ich sehe keinen Anker, auf den sich die Synode verlassen könnte. Lasciate ogni speranza! Wenn aber doch: Betet vor jeder Sitzung das Magnifikat: »… die Mächtigen stürzt er vom Thron«!

Bischof Bonnemains Bärendienst an der Glaubwürdigkeit

Lesen Sie in diesem Blog-Beitrag eine Replik von Amira Hafner-Al Jabaji

4 Gedanken zu „Kann der Synodale Prozess die Kirche aus ihrer Glaubwürdigkeitskrise führen?“

  1. Vor einiger Zeit fand ich im Pfarrblatt einen Artikel mit der Überschrift: „Wir brauchen Zeit“. Ich habe daraufhin den nachstehenden Text verfasst, der ebenfalls im Pfarrblatt veröffentlicht wurde:
    „Wir brauchen Zeit“, sagte Papst Franziskus anlässlich eines Besuchs der Mitglieder der Schweizerischen Bischofskonferenz in Rom.
    Wenn der Papst und die Vatikanbehörden für notwendige Veränderungen Zeit verlangen, dann ist darunter wohl eine Zeitspanne von 10 – 20 Jahren zu verstehen.
    Hat die Kirche wirklich so viel Zeit, fragt sich der besorgte Mitdenker?
    Es zeigt sich doch Sonntag für Sonntag, dass die einfachen Gläubigen eine rasche Lösung der anstehenden Probleme fordern. Die Kirchen leeren sich immer mehr und an vielen Besuchern, die sonntags noch in die Kirche gehen, läuft die christliche Botschaft ab, wie Wasser an der Regenjacke.
    Es müssen also meines Erachtens für die anstehenden Probleme rasch Antworten gefunden werden. Beispiele hierfür: Ordination von Frauen, Zölibat, Unfehlbarkeit des Papstes, Kommunion und viele weitere Fragen, die alle einer Lösung harren. Früher oder später werden die geforderten Neuerungen von „unten“ mit oder ohne den Segen der Amtskirche eingeführt werden.
    Der Ausdruck „Wir brauchen Zeit“ ist in diesem Zusammenhang ohnehin eine Forderung, der nur mit grosser Skepsis oder gar mit Unverständnis begegnet werden kann. Der Papst selber ist zwar noch rüstig, hat aber immerhin Jahrgang 1936. Das Kardinalskollegium wirkt aber, wie man häufig auf Bildern sehen kann, auch nicht gerade jugendlich. Wenn die vom Papst geforderte Zeit verstrichen sein wird, sind nach menschlichem Ermessen sowohl der Papst, als auch die meisten derzeitigen Mitglieder des höheren Klerus nicht mehr am Leben und die Probleme liegen dann bei den Nachfolgern auf dem Tisch.

    Ich überlasse es Ihnen, die aus diesen Darlegungen abzuleitenden Schlussfolgerungen zu ziehen.
    Freundliche Grüsse
    Markus Müller

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  2. Die Kirche steht – aus meiner Sicht – in einer erheblichen Glaubwürdigkeitskriese. Der «Nachwuchsmangel» – nicht nur bei den geistlichen Berufen sondern auch im «normalen Kirchenvolk» (= noch Kirchensteuern bezahlende Gläubige) – ist offensichtlich. Warum haben sich viele unserer Kinder und Geschwister von der Kirche abgewendet? Ja, warum?

    Es könnte sein, dass diese Entwicklung etwas mit der Glaubwürdigkeit einiger der Amtsträger der römisch-katholischen Kirche zu tun haben könnte. Die Glaubwürdigkeit einer Institution hängt von der Glaubwürdigkeit jener Personen ab, welche die Institution prägen. Bevor man diesen Zusammenhang bejaht oder verneint, sollten sich die Amtsträger exakt Rechenschaft über den Begriff «Glaubwürdigkeit» geben. Dann würden sie die verschiedenen Einflussfaktoren auf die Glaubwürdigkeit entdecken, unter anderem auch als kleines Element die Sprache. Sie prägt nicht nur die Kommunikation; sie prägt auch das Denken! Die Amtsträger sollten den Begriff «Glaubwürdigkeit» definieren, bevor sie den Begriff in Urteilen verwenden und aus den Urteilen dann Schlüsse ziehen, wie Bischof Dr.Dr. Bonnemain es getan hat. Wenn Begriffe nicht mehr sauber definiert und der kritische Rationalismus [= «Vernünftigkeit»; Karl Popper (1980)] völlig negiert werden, ist ein Sprechen in der Kirche nicht mehr möglich. Die Amtsträger versprechen, dass der synodale Prozess von ihnen auch im Zuhören bestehe. – Ich lade die Zuhören-Wollenden konkret ein, einmal zu hören, was Glaubwürdigkeit sein sollte, «Vernünftigkeit» wäre und welchen Einfluss die Sprache in der Verkündigung hat.

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  3. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich‘s gänzlich ungeniert!

    Bischof Bonnemain hat Recht, wenn er sagt, dass die Katholische Kirche sich nicht um ihre Glaubwürdigkeit kümmern sollte.
    Das macht frei, die eigenen Problem selbstbestimmt anzugehen, statt über jedes hingehaltene Stöckchen zu springen. Sie muss sich nur zeigen, wie sie ist, andere werden sie dann für glaubwürdig halten oder nicht.
    Ein Problem ist das Geld, also die Versorgung und gegebenenfalls eine Karrieremöglichkeit sowie eine gewisse Deckung, das Scheinheilige dazu bringt, einen Dienst in der Kirche anzustreben, sei es als Kleriker, sei es als Laie.

    Bischof Bonnemain geht offensichtlich von der Eindeutigkeit einer letzten Stellungnahme aus, während Erwin Koller, einer empirischen Wissenschaft analog, letztlich das „Weltethos“ im Sinn zu haben scheint. – Empirische Wissenschaft ist genötigt, ständig ihre Fundamente tiefer zu legen; ist im Prinzip nie fertig.

    Um aus den gegenwärtigen Schwierigkeiten herauszufinden, – oder soll ich „Krise“ sagen –, sprechen sowohl Bischof Bonnemain als auch Erwin Koller von einem synodalen Weg. Sie dürften darunter aber nicht dasselbe verstehen, kenne das aus dem „Synodalen Weg“ in Deutschland.

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  4. Also für mich ist diese Aussage Bonnemains ein Katastrophe! Auch wenn der eine oder andere Gedanke von ihm durchaus akzeptabel wäre. Man braucht nur in den Pfarren fragen, warum die römisch-katholische Kirche so in der Krise ist: Antwort: fehlende Glaubwürdigkeit!!! Und die Jugend und die jungen Erwachsenen erreicht die r,-k.-Kirche über die Glaubwürdigkeit. Wenn das der Bischof Bonnemain nicht versteht, ist er als Bischof fehl am Platz.

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