«Und dann wird es gefährlich»

Nicht Kritik an der katholischen Kirche, sondern die Botschaft Jesu von der bedingungslosen Liebe zu den Menschen stellte Theologe und Psychoanalytiker Eugen Drewermann ins Zentrum seiner Predigt in der mit über 300 Zuhörerinnen und Zuhörern brechend vollen Basler Predigerkirche. Freilich ruft diese Botschaft fundamentale Kritik an Kapitalismus, Krieg und Ausgrenzung auf den Plan.

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«Du bist doch mein Sohn, was auch immer passieren wird, ich verurteile dich nicht.» Dieser Kernsatz zog sich wie ein roter Faden durch den fesselnden Vortrag des Paderborner Theologen. Ob Hure, ob Bettler, ob Säufer, Jesus lädt alle ein unabhängig, «egal welcher Konfession und Überzeugung». Leidenschaftlich unterstrich der Theologe und Psychoanalytiker, dass der Mann aus Nazareth den Menschen einen Raum des Vertrauens wider alle Angst eröffnet, «in dem wir gemeint sind. Das ist sein revolutionäres Anliegen, ein Kontrastprogramm zur Gesetzesgerechtigkeit der Gesellschaft».

Von Drohung, Angst und unbarmherziger Gesetzesstrenge wie sie der alltäglichen Erfahrung heute entspreche, könne kein Mensch wirklich leben. Die Sache Jesu werde vielmehr zurückgedreht auf eine bürgerliche Ethik, die nur die Befolgung der ausschliessenden Gesetze unter Androhung drastischer Strafen durchsetze. Schaue man aber wie Jesus in die Herzen der Menschen, nicht auf die Hände, dann sehe man die Verzweiflung, die Verlorenheit, das Ausgeliefertsein gegenüber dem Tod.  Demgegenüber «geht es darum, vertrauen zu lernen wie die Kinder und als Grundgefühl wieder zu gewinnen, das durch die Gitterstäbe dieser Welt fällt».

Gesellschaftliche Bedeutung der Botschaft Jesu

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Wie rettet Jesus aber die Verzweifelten? Drewermann zieht die biblische Geschichte vom Zöllner Zacharias heran, der als verachteter Steuereintreiber wider alle damals gängigen gesellschaftlichen Koordinaten der Pharisäer gerechtfertigt nach Hause ging, weil er auf Jesus setzte und ihm vertraute: «Nicht bewerten, nicht verurteilen, nicht moralisierend rechtfertigen – das ist das Mittel, das gegen Angst und Verzweiflung hilft», ruft der 78jährige mit bebender Stimme der Zuhörerschaft in der 750 Jahre alten, seit 1877 christkatholischen Predigerkirche zu. Und die Geschichte vom barmherzigen Samariter, dem von der Priesterkaste ausgeschlossenen «Erzfeind der Juden» mache klar: «Wir können da sein für Menschen – grundlos, unbedingt, absolut!» Drewermann hebt seine Hand, macht eine rhetorische Kunstpause und wiederholt: «Du bist doch mein Sohn –  Gott wohnt da, wo ein Mensch auf die Not eines Menschen eingeht. Und dann wird es gefährlich.» Damit kommt der vom katholischen Lehramt Verfemte – der Paderborner Erzbischof belegte Drewermann bereits in den 90er Jahren mit Auftritts- und Redeverbot in katholischen Institutionen – zur gesellschaftlichen Bedeutung der Botschaft Jesu.  

Drewermann, der gleichwohl auf Einladung der katholischen Kirche Basel-Stadt in Zusammenarbeit mit der christkatholischen Kirche referierte,  erinnert zunächst an Papst Franziskus Diktum, der «Kapitalismus ist mörderisch». Das Geld werde zu Kapital, erklärt der schmächtige, wortgewaltige Mann, wenn es sich auf Kosten anderer vermehrt. «Die Not des anderen ist nichts weiter als die Möglichkeit, den anderen zu erpressen», kritisiert er beinahe bebend.

Leihgabe des Himmels

«Wer Geld gegen Schuldzinsen verleiht, um sich zu bereichern, verliert sein Herz!» Schon der Philosoph Walter Benjamin habe in den 20er Jahren den Kapitalismus eine Religion genannt. «Da hat er Recht.» «Doch», schmettert Drewermann weiter, «Kapital will die Verschuldung». Denen, die einwenden, das Geld gehöre ihnen, denn sie hätten dafür schliesslich gearbeitet, widerspricht der Kapitalismuskritiker zwar nicht, gibt indes aber zu bedenken, dass sie ihre Arbeitsfähigkeit als Voraussetzung zum Geldverdienen nicht sich selbst zu verdanken hätten. Entsprechend seien Dankbarkeit, nicht Ansprüche angebracht. «Arbeitsfähigkeit ist eine Leihgabe des Himmels auf Zeit, ein Geschenk, auf das niemand Anspruch erheben kann». Wer aber den Kapitalismus akzeptiere, der akzeptiere, dass Menschen, die durch ihre Voraussetzungen besser ausgestattet sind, «aus der Not anderer mit weniger guten Voraussetzungen Profit schlagen», klagt Drewermann prophetisch.

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«Deshalb gibt es keinen Frieden, solange der Kapitalismus regiert.» Zudem gebiert Gewalt nur neue Gewalt. «Gewalt kann nicht richtig sein», wie die biblische Erzählung von der rechten und der linken Wange klar mache. «Jesus wischt die `balance of power` von der Tafel der Geschichte, denn niemals endet die Gewalt im Frieden.» Auf heute übertragen bedeutet das, «nicht noch mehr rüsten, sondern einseitig abrüsten». Die USA gäben pro Jahr eine Billion für Rüstung aus, Deutschland viele Milliarden – «was könnte man damit alles machen?» Drewermann nennt denn auch die Menschen glücklich, die wehrlos sind. Und dazu singt «die Lerche oben am Himmel das Lied vom Reich Gottes».

 

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2 Gedanken zu „«Und dann wird es gefährlich»“

  1. Die Predigt geht um Leben und Liebe, Eugen Drewermann stellt daher die Botschaft Jesu von der bedingungslosen Liebe konsequent ins Zentrum. Denn einen größeren als Jesus von Nazareth haben wir – und hat auch er – nicht. Jesus steht als Gegenpol zu harter Gesetzesstrenge, zu Unterdrückung und Verzweiflung. Eugen Drewermann listet die Hauptbedrohungen auf, die großenteils von Menschen ausgehen, sich aber lösen, wenn wir Jesu Versprechen von Vertrauen und Hoffnung annehmen. – Alles gut!

    Eines bleibt dennoch zu bedenken, nämlich das Ausgeliefertsein gegenüber dem Tod. Hier schweigt der Prediger, so dass nach dem Grund der Hoffnung, nach Jesus selbst, zu fragen ist, Der Mann aus Nazareth wird „Gottes Sohn“ genannt, doch sind wir nicht alle Söhne (und Töchter) Gottes? Oder ist da etwas, was über einen begnadeten Menschen, einen Religionsgründer oder Sittenlehrer hinausgeht? Ist dieser Jesus Herr über Leben und Tod, ist er Gottmensch, Gott mit dem Vater und dem Heiligen Geist, wie es das Trinitarische Bekenntnis lehrt?

    Wenn er das ist, dann sollte man das sagen, dann geht die menschliche Hoffnung über den Tod hinaus! Will man das nicht sagen (glauben), dann ist diese Predigt immer noch beeindruckend, doch rein diesseitig.

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