«Viele halten das nicht aus»

Glück im Unglück pflastert den Fluchtweg des 19jährigen Guinee Dallio Mamadou Aliou

Mamadou Diallo, Sozialprotokoll PF Nr. 6-1

Für die Schule reichte meiner alleinerziehenden Mutter das Geld nicht. Die Metallbau-Lehre in Nzérékoré, der zweitgrössten Stadt Guineas, kostete dagegen nichts. Auf der Suche nach besseren beruflichen Perspektiven verliess ich 2016 mein Zuhause mit dem Ziel Deutschland. Heute habe ich dank der tollen Unterstützung durch meine Betreuer und Betreuerinnen in Prenzlau seit vier Monaten einen Ausbildungsvertrag bei einer Metallabautechnik-Firma in Eberswalde. Sie halfen mir, dass mein Bewerbungsschreiben in gutem Deutsch formuliert und mit allen nötigen Papieren versehen ist. Und als die Zusage für die dreieinhalbjährige Lehre kam, ging für mich ein Traum in Erfüllung. Bis dahin aber war der Weg sehr sehr lang und steinig.  

Mit kaum Geld in der Tasche landete ich nach Zwischenstationen in Algerien und etlichen Fussmärschen durch die Wüste in den Fängen von lybischen Menschenhändlern. Sie behandelten mich und viele andere Geflohene wie Leibeigene. Über schmale Leitern musste ich schwere Steine und Baumaterial in die oberen Etagen schleppen. Es ist die Hölle. Ich hatte ständig Angst, die Schergen könnten mich zum Krüppel knüppeln. Willkürlich und ohne Grund. Sie brachten uns in einem schwer bewachten Privat-Gefängnis unter. Wer kein Geld hat, wird zur Zwangsarbeit gezwungen, damit er seine `Unterkunft` im Gefängnis oder im Flüchtlingsheim und später für die Weiterfahrt mit dem Boot über das Mittelmeer bezahlen kann.

Sehr schlimm sind auch die viel zu kleinen Räume. Wenn du nachts zur Toilette musst, kannst du nicht raus. Fürs Pinkeln gab es nur eine grosse Flasche für alle. Die übel stinkende Luft war kaum zum Aushalten.  Zu essen gaben sie uns pro Tag nicht mehr als ein trockenes Brötchen. Wie Heuschrecken kamen die Privat-Polizisten bewaffnet in die Unterkünfte und nahmen alles mit, was sich zu Geld machen lässt. Besonders schlimm dran sind die, die an Beinen, Füssen oder Armen ohnehin schon verwundet sind und kaum mehr laufen können. Die lybischen Aufseher machen diese Flüchtlinge kaputt. Sie richten sie derart zu, dass sie weder nach Hause zurück noch weiter nach Europa fliehen können. Und wer versucht wegzulaufen, auf den schiessen die Schergen. Viele Geflohene halten das nicht aus. Jeden Tag gibt es Leichen – Frauen, Männer, Kinder – jeden Tag, jeden Tag. Diese menschenverachtenden Zustände erreichen kaum je das Licht der Öffentlichkeit, weil Journalisten und Kameras nie Zutritt zu diesen privaten Gefängnissen und Flüchtlingsunterkünften bekommen.

Als ich in Lampedusa mit 134 anderen Bootsflüchtlingen ankam, konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Hungrig, orientierungslos, physisch und psychisch völlig am Boden, versorgt nur mit dem Nötigsten schickten uns die Italiener mit dem Bus weiter nach Mailand in ein Asylheim. Zwei Wochen später an der Grenze in Chiasso hatte ich wieder Glück. Die Schweizer Grenzwächter glaubten mir, dass ich meinen Asylantrag in Deutschland stellen wollte. In Basel angekommen kaufte mir ein Landsmann, den ich im Zug zufällig getroffen hatte, eine Fahrkarte nach Lörrach. In der S-Bahn fiel ich Marianne Baitsch auf, weil ich Reisende hilfesuchend auf Französisch, der Amtssprache der ehemaligen Kolonie Guinea, ansprach. Bei der pensionierten Krankenschwester, die sich im Solinetz Basel engagiert, fand ich Gehör. Sie nahm mich mit, gab mir ein Dach über den Kopf, zu essen und stellte den Kontakt zu den Behörden in Lörrach her.

Schliesslich landete ich zusammen mit einem Fluchtgefährten aus Guinea – inzwischen sind wir dicke Freunde – in Berlin. Ich setze alles daran, gut Deutsch zu lernen und keinen Anlass zu Beanstandungen zu geben. Das ist nicht einfach, weil die Betreuer und die Arbeitskollegen weder in meiner Muttersprache noch Französisch mit mir reden. Sehen die Lehrer, dass man ernsthaft Deutsch lernen will, unterstützen sie einen zum Glück voll. Das Asylverfahren läuft noch. Aber mit einem Lehrvertrag als Metallbautechniker in der Tasche habe ich Zukunftsaussichten, auf die ich während meiner Flucht kaum mehr zu hoffen wagte.                                 

Protokoll: Wolf Südbeck-Baur

3 Gedanken zu „«Viele halten das nicht aus»“

  1. Einige dieser Elenden, die in Italien registriert wurden, jedoch keine Chance für eine Lehrstelle im Land erhielten, versuchen später ihr Glück in der Schweiz, wo sie aber aufgrund des Dublin-Abkommens stracks in der Ausschaffungsschlaufe landen, denn Italien gilt den Schweizer Behörden immer noch als Land, das alle Bedingungen für ein korrektes, zumutbares Asylverfahren erfüllt.

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  2. Es ist endlich an der Zeit, dass Europa das darwinistisch unterlegte Flüchtlingssystem aufgibt und der Welt klar macht, dass es Migration nicht nach „survival of the fittest“ duldet. Wer nach Europa will, muss im Heimatland einen Antrag stellen und, falls aufgenommen, mit dem öffentlichen Verkehr nach Europa gelangen. Alles andere ist höchst zynisch und verbrecherisch und heuchlerisch.

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