Aus Fehlern nichts gelernt

Gewinnverschiebungen multinationaler Konzerne in die Schweiz schädigen die Länder des globalen Südens massiv. Die vorliegende Steuervorlage 17 (SV17) wird dies nicht ändern – im Gegenteil. Dies zeigt die Recherche von Alliance Sud.

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Bild: Stephanie Weiss

Das Fazit der am 10. September veröffentlichen Alliance Sud-Recherche über Instrumente zur Gewinnoptimierung und Steuervermeidung durch internationale Konzerne lautet:

Die Schweiz darf nicht länger auf ein Steuersystem setzen, das anderen Ländern Steuereinnahmen entzieht. Sie muss vielmehr einen Umbau ihrer Unternehmenssteuerpolitik in Angriff nehmen, der zur Erreichung der UNO-Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 beiträgt.

Die Recherche von Alliance Sud zeigt, dass die Steuervorlage 17 (SV17) die bisherige Schweizer Tiefsteuerstrategie für Konzerne fortsetzt, entgegen den Behauptungen vieler BefürworterInnen im Parlament. Der Übergang von der sog. «Swiss Finance Branch» zur zinsbereinigten Gewinnsteuer zeigt etwa, dass dieselben Steuerdumpingvehikel mit der SV17 einfach unter anderem Namen weiterlaufen. Die Analyse der «Gewinnwäscherei» und der doppelten Nullbesteuerung mit Hilfe des Beteiligungsabzugs zeigt zudem, dass zentrale Schlupflöcher in transnationalen Offshorestrukturen, in denen Schweizer Tochterfirmen eine zentrale Rolle spielen, mit der SV17 nicht gestopft werden.

Mit der sofortigen und ersatzlosen Streichung der alten Sondersteuerregime könnte die Schweiz stattdessen einen äusserst effektiven Beitrag zu einer sozial und ökologisch nachhaltigen Entwicklung der Welt leisten. Die Schweizer Politik hat es in der Hand, die globale Abwärtsspirale bei den Unternehmenssteuern zu bremsen; als führende globale Finanz- und Handelsdrehscheibe hat sie dafür ein paar wirtschaftspolitische Hebel in der Hand. Umso früher sie diese einsetzt, desto kleiner der Schaden für alle.

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Die effektive Durchschnittssteuerbelastung 2017 in den Kantonshauptorten im internationalen Vergleich (in % des Gewinns).
Quelle: SGB, Daten ZEW/BAK Basel

Wenn sich die Tiefsteuerländer für Konzerne wie die Schweiz, die Niederlande, Luxemburg, Irland oder auch die USA «die heisse Kartoffel» unendlich gegenseitig zuwerfen, wird die Welt irgendwann gar keine Unternehmenssteuern mehr kennen. Ein Race to the bottom aber, das tatsächlich auf Grund laufen würde, hätte katastrophale Auswirkungen. Es würde die Bekämpfung der grassierenden sozialen Ungleichheit in der Welt verunmöglichen, hätte einen Kahlschlag in der öffentlichen Infrastruktur auf dem ganzen Globus zur Folge und würde damit letztlich auch alle Bemühungen unterlaufen, demokratische Strukturen in den Nationalstaaten zu erhalten und weiterzuentwickeln, die schon heute vielerorts massiv unter Druck stehen.

Was Alliance Sud auf die Argumente der BefürworterInnen der SV17 antwortet, lesen Sie im ausführlichen Fazit am Ende der Recherche.

Die Beiträge an der Medienkonferenz vom 11.9.2018:

von Dominik Gross, Experte für Steuerpolitik, Alliance Sud

vonn Felix Gnehm, Direktor Solidar Suisse

von Ellen Ehmke, Analystin soziale Ungleichheit, Oxfam Deutschland

Medienmitteilung

2 Gedanken zu „Aus Fehlern nichts gelernt“

  1. Ich lese die Zeitschrift Aufbruch regelmässig, nur mit etwas Verspätung, da sie hier die Runde macht. Ich bin zurück aus 40 Jahre Brasilien, wo ich auch für Gerechtigkeit gekämpft habe. Umsomehr leide ich in der Schweiz unter den vielen Ungerechtigkeiten, auch von der einseitigen Information über Brasilien vom SRF-Reporter Ullrich Ackermann. Danke für Ihre Informationen. Ich bin auch in der Konzertverantwortungsinitiative engagiert.

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  2. Alliance sud hat völllig den Überblick verloren. Im Folgenden meine Begründung, warum eine Ablehnung der Steuervorlage keine linke oder internationalistische Forderung sein kann.
    Das Referendum gegen das Steuer/AHV-Paket ist nicht links – im Gegenteil. Wer das Referendum ergreift, verhindert, dass die AHV mit zwei Milliarden solide zusatzfinanziert wird, torpediert so das wichtigste Umverteilungswerk der Schweiz und macht einen Sieg, für den wir 43 Jahre gekämpft haben, zunichte.
    Wer das Referendum ergreift, macht den Weg frei für eine unsoziale Erhöhung der Mehrwertsteuer oder noch Schlimmeres. Zwei Milliarden entsprechen einer Erhöhung des Rentenalters für alle um ein Jahr.
    Wer das Referendum ergreift, verhindert, dass die Verkäuferin für 6.50 Franken, die sie zusätzlich einbezahlt, rund 100 Franken AHV-Rente pro Monat erhält, die sonst gefährdet sind.
    Wer das Referendum ergreift, sorgt direkt dafür, dass die Schweiz im März von der OECD zusammen mit Bananenrepubliken auf die schwarze Liste der Offshore-Paradiese gesetzt wird.
    Wer das Referendum ergreift, kämpft dafür, dass das grösste Steuerschlupfloch der Welt (die Statusprivilegien) NICHT abgeschafft wird und das zweitgrösste Steuerschlupfloch (das Kapitaleinlageprinzip) nicht entschärft wird.
    Wer das Referendum ergreift, unterstützt, dass Firmen in der Schweiz weiterhin dafür belohnt werden, wenn sie Gewinne aus anderen Ländern in der Schweiz verstecken und Kapital, das sie in die Schweiz zügelten, vollständig steuerfrei ausschütten dürfen.
    Wer das Referendum ergreift, verhindert, dass die Unternehmen rund 0.5 Milliarden mehr an den Bund abliefern und rund 1.2 Milliarden an die AHV. Denn letztlich werden sowohl Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberbeiträge von den Firmeneignern finanziert.
    Wer das Referendum ergreift, verhindert, dass Multis, die bisher riesige Steuerprivilegien genossen, rund zwei Milliarden mehr Steuern bezahlen müssen (wegen Abschaffung Steuerstati, Korrektur USR II – und dies trotz Patentbox und F&E-Abzug).
    Wer das Referendum ergreift, stellt sich gegen die höhere Besteuerung von Grossaktionären, denn die Dividendenbesteuerung würde dann beim Bund und in verschiedenen Kantonen nicht angehoben.
    Wer das Referendum ergreift, verhindert zwar Abzüge für Patentgewinne, Forschung und Entwicklung, die alle an Personalaufwand in der Schweiz gebunden sind, tritt aber dafür ein, dass international geächtete Abzüge, die Steuersubstrat aus Südländern vernichten, beibehalten werden.
    Wer das Referendum ergreift, verhindert, dass die Finanzierungsgesellschaften (dank Abschaffung der Steuerstati) höher besteuert werden. Dies selbst in Zürich, wo die zinsbereinigte Gewinnsteuer als neues Instrument eingeführt werden darf.
    Wer das Referendum ergreift, wird den Steuerwettbewerb unter den Kantonen nicht bremsen, sondern befeuern, denn ohne Bundesgesetz werden die Kantone «nicht nur versuchen, die Steuersätze stark zu senken, sondern im Widerspruch zur Steuerharmonisierung auch eigene Steuerprivilegien einzuführen, wie das gewisse neoliberale Ultraföderalisten schon länger fordern. Damit kämen die Steuern in allen Kantonen ins Rutschen.» (Zitat Daniel Lampart, Chefökonom Schweizerischer Gewerkschaftsbund).
    Wer das Referendum ergreift, wird zusammen mit Jungen Grünen und Jungen Bürgerlichen auf dem Podium sitzen, die Märchen erzählen, wie «die Sanierung der AHV über Lohnprozente sei schlecht für die Jungen».
    Wer das Referendum ergreift, wird nach gewonnener Abstimmung Monate lang mit Magdalena Martullo darüber streiten, welche Schlüsse zu ziehen sind, während die AHV den Bach runter geht.
    Wer das Referendum ergreift, verhindert, dass wir eine Umkehr der unsäglichen Unternehmenssteuerpolitik der letzten 20 Jahre bewirken: Die Vorlage enthält nämlich eine Teil-Rückgängigmachung der Unternehmenssteuerreform I, II UND III. DAS ist es was wir wollen. DAS ist linke Politik – ein schrittweiser Ausstieg aus diesem erpresserischen System.
    Wir legen euch ans Herz, das Referendum nicht zu ergreifen. Die Steuer/AHV-Vorlage ist ein linker Fortschritt. Sie entschärft die zwei dringendsten Probleme der Schweiz: das rasch wachsende Loch in der AHV-Kasse u nd die international geächtete Steuerpraxis der Schweiz. Die Vorlage macht weder die Unternehmensbesteuerung vollständig gerecht noch saniert sie die AHV für immer. Aber sie geht wichtige Schritte in diese Richtung und gibt uns Zeit, weitere Schritte seriös und mit der Bevölkerung vorzubereiten.
    Wir werden weiterkämpfen – bis auch das letzte Steuerprivileg des Kapitals abgeschafft ist. Und wir werden in den Kantonen kämpfen, damit die allgemeinen Unternehmenssteuern nicht zu stark gesenkt werden und vergangene kantonale Senkungen von Kapitalsteuern rückgängig gemacht werden. Denn dort spielt die Musik, dafür brauchen wir die Energie.

    Beat Jans, Nationalrat, stv. Fraktionsvorsitzender der SP

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