Was die Religionen im Innersten zusammenhält

Die Frage nach dem Verbindenden und Verbindlichen zwischen und in den Weltreligionen hat enormes Potential. Religionen stellen Ressourcen für Sinnfindung und Motivationen in Bezug auf ethische Handlungsweisen zur Verfügung. Text: Gian Rudin

Das von Hans Küng initiierte Projekt Weltethos ist darum bemüht die Gemeinsamkeiten zwischen den Religionsgemeinschaften ausfindig zu machen, insbesondere die gemeinsamen lebensdienlichen moralischen Grundsätze. Das gelingende Leben in der Form eines gerechten und respektvollen Miteinanders zwischen den Menschen ist ein erstrebenswertes Ziel interreligiöser Verständigung. Eine Ausstellung in der Reformierten Kirche Bülach widmet sich im Zuge der Woche der Religionen dieser Thematik und wirft Schlaglichter auf das Projekt Weltethos. Die Idee dazu kam dem Interreligiösen Arbeitskreis Bülach, der momentan aus muslimischen und christlichen Gesprächspartnern*innen zusammengesetzt ist.

Die Menschenrechte im Zentrum

Bereits das Arrangement der Ausstellungstafeln zeigt den Grundgedanken der Initianten. Die Tafel in der Mitte zitiert aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO aus dem Jahre 1948 und eröffnet damit den politischen Horizont ethischer Gesinnung. Nach der Bedrohung und Zerrüttung der Menschlichkeit im Grauen des Weltkrieges will diese Resolution eine solide Grundlage für den Zusammenhalt und die gegenseitige Achtung des Menschengeschlechtes legen. Auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949 formuliert die markante Definition der Unantastbarkeit der menschlichen Würde. Mit dem Wort Grundgesetz ist ausgedrückt, dass die deutsche Verfassung fundamentale Orientierungshilfen für die soziale Eintracht bereitstellen will. In diesem Zusammenhang spricht Jürgen Habermas dann auch von einen Verfassungspatriotismus. Neben diesen politischen Leitplanken kommen auch wichtige Stimmen aus der Geistesgeschichte zu Wort. So spricht Thomas Mann von der Notwendigkeit allgemeinverbindlicher Grundwerte, um so die Achtung der menschlichen Person zu garantieren. Der englische Moralphilosoph Richard M. Hare fordert die Menschen dazu auf, die eigenen Handlungen derart auszuführen, wie man selbst von ihnen betroffen wäre. Als einer der gewichtigen Philosophen im 20. Jahrhundert, der sich mit Fragen der Metaethik auseinandergesetzt hat, ist seine Stimme besonders relevant. Metaethik untersucht die allgemeinsten moralischen Prinzipien und vermittelt so die wichtigsten Wesensmerkmale ethischer Urteilsbildung. Flankiert wird diese Haupttafel von Seitentafeln, auf denen einerseits religiöse Traditionen und andererseits ethische Werte illustriert sind. Einen Blick auf die Tafeln oder Schaubilder der verschiedenen Weltreligionen offenbart einen breiten Konsens in der Vorstellung über das Gute.

Sich am Guten orientieren

Damit politische Visionen wirklich werden können wird ein gewisser Grundbestand an vorpolitischen Überzeugungen benötigt. Die Religionen entwerfen wirkmächtige Leitbilder und veranlassen die Menschen sich am Guten zu orientieren. Deshalb ist die Leitidee des Projektes Weltethos, die gemeinsamen Vorstellungen in Bezug auf die moralische Berufung des Menschen zusammenzutragen eine zukunftsträchtige Sache. Neben bestimmten identitätsrelevanten Kennzeichen der Religionen werden auf den Tafeln die wichtigsten, das menschliche Zusammenleben normierenden Grundsätze mit Zitaten dargelegt. So gehört in der jüdischen Tradition neben der Selbst- und Gottesliebe die Liebe zum Mitmenschen zum Grundbestand der sittlichen Lebensführung. Aber der Mitmensch ist eben nicht nur der Nächste im Sinne des Nachbarn oder Freundes, sondern wie im Buch Levitikus betont wird, insbesondere auch der Fremdling. Jesus spricht in der Bergpredigt von der Liebe zum Feind, welche den Hass überwindet und so die universelle Geltung des Liebesgebotes betont. Die Eröffnungssure des Korans erwähnt den rechten Weg, welcher die Gottesfürchtigen zu gehen haben, und stellt somit die gewissenhafte Lebensgestaltung in den Vordergrund der koranischen Verkündigung. Auch die im 4. vorchristlichen Jahrhundert sich in China zu entwickeln beginnende konfuzianische Ethik legt das Hauptaugenmerk auf eine tugendhafte Lebensführung. Die gegenseitige Achtung der eigenen Individualität (shu) ist die Grundlage gelingender sozialer Beziehungen. Auch im Daodejing, der Hauptschrift des Daoismus werden drei Werte als heilig bezeichnet: Güte, Genügsamkeit und Bescheidenheit. Auch hier zeigt sich wiederum das fruchtbare Zusammenspiel von Liebe und Gerechtigkeit, dass dem Menschen zu einem erfüllten Leben verhilft.

Religionen wollen Menschen nicht nur zu einem rechtmässigen Lebenswandel anleiten, sondern warnen auch vor Irrwegen und Sackgassen.

So kennt die religiöse Tradition Indiens sieben soziale Sünden, welche das Miteinander vergiften. Geschäfte ohne Moral werden kritisiert und Genusssucht ohne Gewissenhaftigkeit angeprangert. Das qualitativ hochwertige Leben orientiert sich also nicht nur am eigenen Vorteil, sondern auch am Wohl der Nächsten. Auch der Buddha ermahnt die Menschen in einer seiner vielen Lehrreden zur stetigen Läuterung des Geistes, um die Ausrichtung auf das Gute nie aus dem Blick zu verlieren. Die Durchsicht der Tafeln erinnert an ein vielstimmiges Konzert, welches im Zusammenklang doch ein harmonische Ganzheit bilden.

4 Gedanken zu „Was die Religionen im Innersten zusammenhält“

  1. Als Nochimmermitglied der evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt fehlt mir der Hinweis auf eine Sinnfindung ohne Gott. Kirchen sind in meinen Augen wichtiger als Wertegemeinschaft denn als Glaubensgemeinschaft. Wenn sie das nicht wären, wäre ich als Agnostiker längst ausgetreten.

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    • Sehr geehrter Hansruedi Hartmann-Wirz,
      Ihr Beitrag lässt mich weiter über „Weltethos“, genauer über dessen Bedeutung, nachdenken. Ihre Frage nach einem Hinweis zu einer „Sinnfindung ohne Gott“, scheint mir das Kernproblem des Berichtes über die Ausstellung zu sein. Vom Bericht ausgehend, wäre zu fragen, was dort als Sinnfindung gesehen wird oder sein könnte. Es könnte sein, dass der Begriff „Sinnfindung“ bei Ihnen anders definiert ist als in dem Bericht; es könnte aber auch sein, – strikt philosophisch am Bericht entlang -, dass es weder einen Sinn noch einen Gott gebe. (Nicht meine Position.)
      Das andere Problem sehe ich in „Wertegemeinschaft“ versus „Glaubensgemeinschaft“. Meine Frage: “Was kommt zuerst?“ Kann es eine „Wertegemeinschaft“ ohne „Glaubensgemeinschaft“ geben? Es könnte ja sein, dass man einer „Wertegemeinschaft“ folgt, die einer Werte schöpfenden „Glaubensgemeinschaft“ entspringt, ohne diese „Glaubensgemeinschaft“ voll wahrzunehmen?
      Im allereinfachsten Fall einer „Glaubensgemeinschaft“ scheint es mir so zu sein, dass man sich als geschöpflich sieht, nicht als Schöpfer. Die Negation dieser Ordnung wäre dann, wie biblisch in der „Genesis“ beschrieben: „Sie wollten sein wie Gott!“

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  2. Sie sind beeindruckend, diese Zielsetzungen der Religionen. Doch mir scheint – wir sind immer gleich weit von einer Erfüllung entfernt. Um nur ein Beispiel von vielen zu nenen: Da laufen Millionen von Amerikanern einem selbsverliebten Lügner und Ignoranten nach, ein neuer Messias, dieser Trump.

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  3. Nachdenklich!

    Der Bericht ist voller guter Ansätze zu einer besseren Welt, lässt aber offen, was ein „Weltethos“ ist, wo es eng wird. Es hat aber mit Religion zu tun.

    Ein grob orientierendes Raster findet sich bei „Wikipedia“. Dort stößt man unter „Ethos“ auf „Sitte“ und dann auf „Ethik“, und zwar Ethik als philosophische Disziplin zur Begründung oder Kritik eines Ethos. „Weltethos“ ist dort ebenfalls aufgeführt, wie es in den Grundlinien gedacht ist.

    Gemäß den Ausführungen zu der Ausstellung bestehen auf der Ebene der Sitte, der Moral, in den kodifizierten Geboten und Verboten keine wesentlichen Unterschiede. Vordergründig reichte es schon für ein gutes Zusammenleben, dass alle Anhänger der jeweiligen Religionen gemäß ihrer Moral handelten.

    Die unüberwindliche Schwierigkeit, die in der Ausstellung nicht deutlich wird, besteht in der unterschiedlichen Interpretation der Gebote als Ausfluss eines je anders gesehenen Bildes Gottes. Ein klassisches Beispiel gibt der „Dekalog“.

    Die unterschiedlichen Bilder Gottes müssten für ein „Weltethos“ vereinheitlich oder insgesamt verworfen werden, das lässt sich mit Freiheit nicht machen.

    Ein „Weltethos“ als durchgängige Sitte ist dennoch denkbar; dieses bräuchte nur eine strikte Lenkung (Macht) und einen diese Lenkung begründenden Klerus. Am Ende stünden dann Orwell‘s 1984 und / oder Huxley‘s „Schöne Neue Welt“.

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